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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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AUFHORCHEN MACHT, was man diesmal beim Antritt eines neuen Ministers zu hören bekam. Noch nicht ein Programm, ein konkretes Vorhaben, aber in knappen eindrucksvollen Sätzen die Aussage eines modernen sozial- und wi r t- schaftsreformerischen Willens. Bei seiner Amtsübernahme sprach Minister Böck-Greißau von der „Unerhörten Bedeutung“, die einer Arbeitsgemeinschaft innewohne, und er verstand darunter die Vereinigung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die „zusammengeschweißt an die Arbeit geht“ und in der man versteht, „daß die menschlichen Beziehungen zwischen beiden harmonisch gestaltet werden -'"’’sen". Die Herstellung der rechten Beziehung von Mensch zu Mensch, die Würdigung der menschlichen Bedeutung jedes einzelnen, „ohne Rücksicht, auf welchem Arbeitsplatz er steht“, nannte der Minister den „immateriellen Schlüssel zur Erziehung höherer Leistung“, zu der wieder der Weg über die Schonung der Kraft des Arbeiters, die Förderung seiner Wohlfahrt, die Achtung seiner Persönlichkeit geht. Nicht die verbesserte neue Maschine, nicht die technische Rationalisierung des Betriebes ist der schließlich ausschlaggebende Faktor, sondern die planmäßige Pflege der sozialen Rücksicht, des menschlichen Verhältnisses zwischen Betriebsführer, Unternehmer und Arbeiter machen den Fortschritt in der Gemeinschaftsleistung aus. Diese Wahrheit in mannigfachen Experimenten immer deutlicher erarbeitet, vor Unternehmern und Arbeitern in geduldigem Bemühen und doch in verhältnismäßig kurzer Zeit überzeugend herausgestellt zu haben, ist das Geheimnis der heute gigantischen Leistung der amerikanischen Industrie. Dieses Geheimnis wurde durch ein sinnvolles System geformt, indem zum Beispiel das in den Ford-Werken und anderen Stätten der Großindustrie eingeführte „Welfare-Department“ — ein sozialpsychologisches Beobachtungs- und Fürsorgeinstitüt —, der „Industriekaplan“ und andere Einrichtungen planmäßiger Obsorge für die „human relations“, auch in bezug auf die Arbeiterfamilie, ihren Platz haben. — Nun hat sich ein österreichischer Minister zu diesen Grundsätzen als den Bedingungen des gemeinsamen Fortschritts, des solidarischen Wohlergehens bekannt. In einer Reihe von Aufsätzen haben wir seit Jahren, unterstützt von amerikanischen Mitarbeitern, für diese Erkenntnisse gekämpft, die heute nicht mehr bloße Theorie, sondern erprobte Realität bedeuten. Nun hat ein weitschauender, erfahrener Mann der Wirtschaft an rechter Stelle ein Fenster aufgetan. Gott sei Dank. Man atmet auf. Frische Luft strömt herein.

DIE VOLLZOGENE KABINETTSUMBILDUNG hat diesmal den Propheten der österreichischen Innenpolitik recht gegeben. Durch das Revirement in den Reihen der ersten Regierungspartei — der Koalitionspartner glaubte durch eine ungeänderte Liste seiner Regierungsmitglieder Stärke und Geschlossenheit zu demonstrieren — nahmen jene Männer auf der Ministerbank Platz, deren Namen man schon vor dem Entscheid immer wieder zu hören bekam. Bundesminister Kolb ist nun wirklich vom Stalin- auf den Minoritenplatz übersiedelt, Dr. Margaretha hat das dornige Finanzressort an Professor Karnitz abgegeben, und der neue Handelsminister heißt Böck- Greißau. Mit dem Wechsel im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft — hier ist der steirische Landtagspräsident Thoma eingezogen — hat der Niederösterreichische Bauernbund, dessen hervorragende Bedeutung in der politischen Geschichte des österreichischen Landvolkes wohl unbestritten ist, seine eigenen Interessen dem Primat der Partei diszipliniert untergeordnet. Den scheidenden Männern aber weiß die Gemeinschaft Dank. Offenkundig ist der starke wirtschaftliche Akzent, den die Regierung durch die neuen Männer bekommen hat. Mit Fug und Recht. Sind es doch vor allem Fragen der Wirtschaft, die in den nächsten Wochen und Monaten eine entschlossene Antwort heischen. Die Gefahr einer einseitigen Verteilung der Gewichte wird eine Politik bannen, die, wie der neue Handelsminister ausführte, unter dem „Wohl der Wirtschaft" „die Summe der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer versteht“. Ein Schönheitsfehler des Kabinetts Figl-Schärf III. will nicht verschwiegen werden. Während nach den Oktoberwahlen des Jahres 1949 erfreulicherweise die politischen Hilfskonstruktionen der „Staatssekretäre“ nur in bescheidenem Umfang mehr Verwendung fand, griff man diesmal wieder stärker auf sie zurück. Kein Wort gegen die beiden politischen Persönlichkeiten, die nun als Staatssekretäre in die Regierung berufen wurden. Allein die als „oberstes Gebot“ erkannte Ver-

waltungsreform hätte einen besseren Start verdient.

70.000 AUSLÄNDSBRIEFE liegen, so hörte man dieser Tage, ungeöffnet bei der „Alliierten Zensurstelle“ in Wien. Sie warten darauf, geprüft zu werden. Noch mehr warten darauf die Empfänger: Industrielle, Exporteure, Gewerbetreibende, Redaktionen, Wissenschafter, Anwälte und nicht zuletzt die vielen, vielen einfachen Menschen, die im Ausland Verwandte oder Freunde haben, mit denen sie ihre Gedanken und Sorgen austauschen. Schon bei regulärer Abferti gung erfordert durch die Zwischenschaltung der Zensur der Postlauf eines Ausländsbriefes nach Wien das Drei-, Vierfache der reinen „friedensmäßigen“ Postbeförderungszeit. Wann wird aber dieser ungeheure Rückstand aufgearbeitet sein und wann werden diese 70.000 Sendungen in die Hände der Adressaten gelangen? Sieben Jahre nach Kriegsende — aus Sicherheitsgründen, in einem voll abgerüsteten, militärisch besetzten Lande! Denn andere als diese „Sicherheitsgründe“ könnten zur Begründung dieser Institution ja von vornherein nicht angeführt -werden. Da aber solche tatsächlich nicht vorliegen, ist es kein Wunder, wenn sich in der Bevölkerung dann Gerüchte über andere Ziele und Zwecke solcher Zensuren verbreiten. Es ist nicht einzusehen, warum die Abschaffung der Briefzensur, die in drei Besatzungszonen Österreichs bereits seit langem erfolgte, ohne daß sich deshalb die geringsten Unzukömmlichkeiten ergeben hätten, nicht auch in der vierten möglich wäre. Die österreichische Bundesverfassung, die jede Zensur untersagt, gilt für das gesamte Bundesgebiet. «

IN PRAG WECHSELN DIE MINISTER in den letzten Wochen weit schneller als bisher. Dies wäre, mit den Maßstäben des Westens gemessen, nichts Außergewöhnliches. Der Unterschied wird aber sofort deutlich, wenn man die Schicksale der Gestürzten verfolgt. Die Abschiebung in die Slowakei, die sich Landwirtschaftsminister Durii wegen der viel zu langsam fortschreitenden Kolchosierung des Landes gefallen lassen mußte, war sicher das harmloseste. D olansk- s Enthebung von der Leitung des staatlichen Planungsamtes und seine „Beförderung“ zum stellvertretenden Ministerpräsidenten scheint alles eher als ein Hinauffallen, wenn man sich vor Augen hält, welches Übergangsstadium dieser Posten für den einstigen Kriegsminister Svoboda und kurz darauf für den Generalsekretär der KPC, Slänskf, abgab..Um so vielsagender ist natürlich das Verschwinden eines Ministers, wenn es sich ausgerechnet um den für Säuberungen kompetenten Mann, den Polizeiminister, selbst handelt. Und vor allem dann, wenn man weiß, daß dieses Ministerium „für nationale Sicherheit“ vor eineinhalb Jahren eigens geschaffen wurde, um einen passenden Wirkungskreis für Ladislaus Kopriv a zu schaffen, den Tischlersohn aus der Hanna, der der KPC seit der Gründung, seit seinem 24. Lebensjahr angehört, sie schon in der ersten Republik als Abgeordneter im Prager Parlament vertrat und dafür sechs Jahre lang in Dachau zubringen mußte. Und ebenso jäh wie der Sturz der einen ist der Aufstieg anderer: B acilek hat sich bei der Aufspürung des „bourgeoisen Nationalismus" der slowakischen Kommunisten die Sporen verdient, stieg daraufhin zum Vorsitzenden des Rates der Beauftragten für die Slowakei auf, übernahm im September vorigen Jahres das neuerrichtete Ministerium für Staatskontrolle — das eine Art Überministerium darstellt — und tauscht diese Funkion jetzt mit der eines Ministers für nationale Sicherheit ein. So steht Bacilek — dessen äußerer Lebenslauf übrigens dem seines Vorgängers in vielen Einzelheiten ähnelt — immer prompt zur Verfügung, wo gerade ein energisch zupackender, kompromißloser Mann benötigt wird — so wie schon 1944 während de? Kämpfe in der Slowakei, als er sich als Fallschirmabspringer in die Reihen der Partisanen begab.

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