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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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ENTGEGEN JEDER VERNUNFT und im Widerspruch zu einem gesunden staatspolitischen Empfinden tobt der „Bankensturm“ in der Publizistik der beiden Regierungsparteien mit unverminderter Heftigkeit fort. Angriffe von Links wechseln mit Gegenstößen von Rechts ab — und kein Ende, kein gutes Ende ist abzusehen. Dabei gebe man sich ja nicht der Täuschung hin, das breite Publikum folge mit Interesse und Spannung diesen Wilden Kanonaden. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Abneigung und Widerwillen gegen diese Art der Austragung politischer Meinungsverschiedenheiten wachsen, vor allem aber das Unverständnis für einen solchen Konversationston zwischen zwei Parteien auf einer Regierungsbank. Das ist die Stunde, auf die jene Kräfte, die bisher von der politischen Entscheidung ausgeschlossen waren, gewartet haben. Kein Wunder, daß man gerade in diesen Tagen ein Angebot der parlamentarischen Rechtsopposition hörte, in der Frage einiger Wirtschaftsgesetze — zunächst gemeinsam mit der ersten Regierungspartei — den widerspenstigen Partner niederzustimmen. Trotz der parteipolitisch gewiß nicht geringen Verlockung hat die Führung der Volkspartei im vollen Bewußtsein der ganzen Tragweite einer solchen Entscheidung sich diesem Plan versagt. Wie lange wird sie dies noch können, wenn von seiten des Regierungspartners weiterhin unbekümmert die Prügel fliegen? Vor kurzem erst wurde in diesem Blatt der Ruf erhoben, Schluß zu machen mit jenen üblen Praktiken, die in letzter Hinsicht doch die gesamte Regierungskoalition, mehr noch unser ganzes politisches System in Mißkredit bringen. Bis heute jedenfalls ohne sichtbaren Erfolg. Trotzdem sei die Hoffnung nicht aufgegeben, daß über politische und weltanschauliche Schranken hinweg Einsicht und staatspolitisches Denken nicht heimatlos werden in Österreich.

EIN MÄZEN BESONDERER ART, Father Flanagan, der _Gründer von „Boys Town“, führte auf seinem Schreibpapier einen seltsamen Briefkopf. „Jeden Betrag“, hieß es da, „den Sie für Boys Town spenden, können Sie von der Einkommensteuer absetzen.“ Ein seltsamer Briefkopf, möglich nur in den USA, oder vielleicht noch in einigen wenigen anderen Ländern. Unmöglich aber in Österreich. Denn bis heute können Einzelpersonen oder Gesellschaften, die Beträge zugunsten von wohltätigen, wissenschaftlichen oder kirchlichen Stiftungn spenden, nicht einen Groschen von ihrem Steuerbekenntnis absetzen. Dagegen ermöglicht es die derzeitige Steuerpraxis, alle möglichen Dinge unter dem Titel von Investitionen, Werbungskosten usw. von der Steuer abzusetzen. Was ist die Folge? Daß alle jene, die bereit wären, etwas für solche Zwecke zu stiften, ihre Hand verschlossen halten. Und daß es der Staat und immer wieder der Staat ist, der um Finanzierung, um Unterstützung wissenschaftlicher, wohltätiger, künstlerischer Interessen angegangen wird. Wie sehr könnte dagegen die Wissenschaft, die Wohltätigkeit, die Kunst gefördert werden, wenn das so selten gewordene Mäzenatentum durch eine entsprechende Steuerbegünstigung gefördert würde! Andere Länder haben dies getan und beste Erfahrungen damit gemacht. Die Vereinigten Staaten erlauben allen Einzelpersonen und Gesellschaften, die Zuwendungen zugunsten religiöser, wissenschaftlicher, wohltätiger, literarischer Zwecke gemacht haben, diese Beträge von ihrem Steuerbekenntnis abzusetzen, wenn sie jährlich die Höhe von fünf Prozent der steuerpflichtigen Summe nicht überschreiten. Ein ähnliches Gesetz hat die westdeutsche Bundesrepublik erlassen; nach ihm können Stiftungen zugunsten der Wissenschaft sogar die Summe von zehn Prozent der steuerpflichtigen Summe betragen. Großbritannien kennt ein Gesetz vom Jahr 1601, das Steuererleichterungen zu wohltätigen Zwecken aller Art — worunter zum Beispiel auch die Unterstützung junger Geschäftsleute gehört — zuläßt, das bis heute in Geltung ist. Auch das Italien De Gasperis kennt diese Steuerpraxis. Nur Österreich hat ein solches Gesetz noch nicht. Lediglich bei Zuwendungen für Krankenhäuser werden Beträge „abgesetzt“, nicht aber für wissenschaftliche, religiöse, wohltätige Zwecke. Mäzene werden hier gleichsam für ihr Wohltun bestraft. Wie lange noch?

EIN RIESENKOPF MIT KINDERAUGEN, die — fast ohne Übergang — todtraurig schauen und sehr vergnügt funkeln können. Gedrungene Figur, rund, eher klein, mit kurzem mächtigem Genick und überraschend sensiblen Händen — das ist der erste Eindruck von Dr. Joseph Müller, dem eben unter dramatischen Umständen abgetretenen bayrischen Justizminister. Der 54 jährige Oberfranke, sechstes Kind eines Kleinbauern und Rechtsanwalt von Beruf, kann für sich in Anspruch nehmen, einer der umstrittensten Politiker zu sein. Joseph Müller hat nie, wie vielleicht Loritz oder Remer, mit diesem Ruf kokettiert. Er hat ihn aber auch nicht gescheut, So oft ihn seine Gegner bisher auch unters Wasser tunkten — bisher kam er immer wieder nach oben. An Gegnern fehlt es ihm wirklich nicht; manchmal meint man sogar, er habe nur Gegner. Da ist Doktor Hundhammer, dem sein Parteifreund Müller zu „links“, zu „gesamtdeutsch“, zu dynamisch und unzuverlässig, ja schlechthin unheimlich ist. Da ist die SPD, die es Müller verdankt, daß sie heute an Stelle der Bayernpartei mit der CDU zusammen in Bayern regiert. Da sind jene deutschen und amerikanischen „Antifaschisten“, die an dem ehemaligen Oberleutnant der „Abwehr“ braune Flecken suchten, und da sind die neuen Nationalisten, die laut seinen Skalp fordern, weil er 1940 die Überfallspläne Hitlers an den Westen verraten habe. Die Nationalsozialisten nannten ihn einen „Schwarzen“; war er doch Rechtsbeistand von Klöstern und Ordinariaten und wälyrend des Krieges Verbindungsmann des Abwehrchefs Canaris zum Vatikan. Aber mancher fromme Mann hält seinerseits Dr. Müller für einen Wolf im Schafspelz und rümpft die Nase, wenn er ihn in der Fronleichnamsprozession sieht. Man kann diesen Mann schwer mit einem Etikett versehen. Er ist einfach der „Ochsensepp“, der Dr. Joseph Müller, dem Ohr und Herzen seiner Mitbürger näher als mancher seiner Kollegen, aber viel zu sehr Vollblutpolitiker, um als Chef der Justiz seines Landes ohne Widerspruch, viel zu unverhohlen, um als Parteimann ohne Gegner bleiben zu können. Monatelang hat er, an Händen und Füßen gefesselt, im Gestapokeller gelegen, zweimal stand er unterm Galgen. Man denkt wahrscheinlich anders von sich, seinem Glück und seinen Möglichkeiten, anders auch von seinen Mitmenschen, wenn man das hinter sich hat.

AUSGESPART AUS SPANISCH - MAROKKO, liegt am Eingang der Straße von Gibraltar das vielumstrittene Tanger, heute ein neutralisiertes Kondominium, in dessen Verwaltung ein kompliziertes und sinnvoll ausgerechnetes Kräftegleichgewicht herrscht: die USA, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien, aber auch Portugal, Belgien und sogar Holland sind im Tangerdirektorium vertreten. Vielleicht wird diese Regelung einmal das Vorbild für die Neutralisierung der zweiten Mittelmeerpforte, des Suezkanals, abgeben können. Inzwischen ist Tanger Zentrum des internationalen Fluchtkapitals, dessen Höhe auf zwei Milliarden Schweizer Franken geschätzt wird, die in jeder Art von legalem und illegalem Handel umgesetzt werden. Im ganzen: eine Hochburg internationaler Finanzpiraten, die alle Zeichen einer hektischen Scheinblüte zeigt. Die Erdstöße, die den Nordsaum Afrika? erschüttern, setzen sich bis zu diesem nordwestlichen Schlüsselpunkt des schwarzen Erdteiles fort. Im zweiten Weltkrieg, ßls die Waagschale des Sieges zu schwanken schien, hatte Franco Tanger militärisch besetzt, ohne freilich das internationale Regime formell aufzuheben. Als die Alliierten die Oberhand behielten, mußte Spanien weichen und sich wieder mit einer Stimme unter vielen begnügen. Aber nun verlangt es, gestützt auf seine geographische Nachbarschaft und seine besonderen politischen Interessen, einen erhöhten Anteil an der Regierung und wird die Frage vor das zuständige Forum, das Internationale Komitee für die Kontrolle von Tanger, bringen. Die Westmächte stehen darüber untereinander in Fühlung, und es wird sich an diesem Problem auch erweisen, inwieweit die USA, die in Marokko bedeutende Luftstützpunkte errichtet haben, Spanien als Partner in die europäische Verteidigungsgemeinschaft einbeziehen.Wenn sie die spanische Bereitwilligkeit zu dieser zu leicht befinden, so ist ein Erfolg Francos in Tanger kaum zu erwarten, und das dortige Mächtesyndikat wird, wie manche Verlegenheitslösung, älter werden als manches, das Anspruch erhob, für die Ewigkeit gebaut zu sein.

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