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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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LEDIGE MÄNNER, die in diesem Status das 45. Lebensjahr erreicht haben, wurden bei der letzten (kleinen) Steuerreform dadurch prämiiert, daß man sie steuerlich mit den Verheirateten gleichstellte. Hat ein solcher Lediger höhere Einkünfte — ist er etwa Sektionschef —, so ergibt sich als Folge des „Ledigennotopfers“ eine beträchtliche Steigerung des Nettoeinkommens. (Die gleichalten ledigen Frauen hatten übrigens die oben erwähnte Begünstigung gleichsam als eine Art Trostpreis schon früher erhalten.) Ais die verdutzten Gesetzgeber nach der üblichen Sieg-Heil-Abstimmung erfuhren, daß man für ihre nachdrückliche Förderung der Junggesellen nicht viel Verständnis auizubringen vermochte, versprachen sie uns, den begangenen Fehler durch eine Erhöhung der Kinderbeihilfen wettzumachen. Und es kam die Novellierung des Kinderbeihilfengesetzes. Diese sieht nun so aus: 614.000 Familien von Unselbständigen, die em oder zwei Kinder haben, und 114.000 Familien von Selbständigen mit nur einem Kind erhalten nichts dazu. Sie müssen also mithelfen, den darbenden Junggesellen ihren düsteren Lebensabend verschönern zu helfen. 241.000 Familien von Unselbständigen (die drei oder mehr Kinder haben) und Selbständige, wenn sie mehr als ein Kind haben, erhalten höhere oder erstmalig überhaupt Kinderbeihillen. Man sollte annehmen, daß auch das Kinderbeihilfengesetz geeignet sein sollte, die Geburtenfreudigkeit in Oesterreich etwas zu heben. Die Neuregelung ist aber derart, daß die Junggesellen zumindest vom Finanziellen her keinen Anreiz erfahren, ihre kümmerliche Einsamkeit mit einem Famiiienheim zu vertauschen. Dies um so mehr, als sich der Kindersegen erst ab dem fünften Kind „auszuzahlen" scheint. Nun kann man keinem zumuten, für den Fall der Verehelichung mit Fünflingen zu spekulieren. So ergibt sich nun weiter der groteske Fall, daß die Väter, die zwei Kinder durch das Leben gebracht haben, wenn die Kinder versorgt sind, in die gleiche Steuerstufe zurückfallen, in der die Junggesellen seit ihrem 45. Lebensjahr sind. Jene Junggesellen, deren Altersversorgung dadurch gesichert ist, daß es eben auch solche gibt, die Kinder mit etwas Steuerermäßigung und 105 Schilling Beihilfe je Monat großgezogen haben. Da stimmt doch noch etwas nicht — oder?

EINHEITSGEWERKSCHAFT — darunter verstehen wir eine gewerkschaftliche Interessenvertretung aller Arbeitnehmer, sie mögen diese oder jene Gesinnung haben. In Deutschland erklärte nun jüngst der Vorsitzende des DGB, Walter Freitag, Gewerkschaftsbund und SPD seien Kinder einer Mutter. Dabei wird wohl mit ei neiti unmißverständlichen Augenzwinkern Karl Marx der Vaterschaft bezichtigt. Wenn nun SPD und Gewerkschaftsbund geschwisterlich verbunden sind, so werden dadurch alle nichtsozialistischen Gewerkschafter — und deren Zahl ist in Deutschland, eine seht große — zu Stiefkindern. Oder, wenn man an den Gewerkschaftsbeitrag denkt, der in Deutschland bis zu zwei Prozent der Lohnsumme ausmacht, zu „Kostkindern“. Zur Illustration der Behauptung von Walter Freitag dient eine jüngst veröffentlichte Aufstellung über die Parteizugehörigkeit der führenden Männer des DGB. Dabei zeigt sich, daß die 58 bestimmenden Positionen wie folgt aufgeteili worden sind: 50 SPD, eine CDU und siebet „Unparteiische“. Das heißt man Proporz. Zl Zeiten mag die Interessenvertretung der Arbeiter so gut wie ausschließlich eine Sache dei Sozialisten gewesen sein. Heute, da diese So zialisten selbst in Unternehmerpositionen aufgerückt sind, bedarf es einer nichtsozialistischen Opposition, um des Gewerkschafts gedankens — und auch um der Reinhaltung des Sozialismus willen.

ES GAB NUR SIEGER, erste und zweite Sieger sozusagen, als die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein kommentiert wurden. Die SPD, deren Vorsitzender Ollenhauer wenige Tage vor dem Wahlsonntag sich dezidiert zu einem Programm des Verhandelns mit den Sowjets und sogar mit Pankow bekannte; deren zweiter Vorsitzender Carlo Schmid am Vorabend der Wahl in Stockholm für Deutschland einen völlig bündnisfreien Status nach Art der schwedischen Neutralität gefordert hatte, ist mit kleinem Vorsprung die stärkste Partei geworden. Es wird ihr allerdings kaum gelingen, eine Koalitionsregierung zu bilden, da sie keinen Partner, es sei denn in einer „Großen Koalition" auf Landesebene, finden wird. Dennoch aber ist nicht verkennbar, daß auch die Freien Demokraten, die in letzter Zeit deutliche Kritik an der Außenpolitik Adenauers geübt hatten, starken Stimmenzuwachs verzeichneten und daß die CDU seit den noch nicht einmal ein Jahr vergangenen Adenauer- Wahlen eine Viertelmillion Wähler verlöret hat. Soweit die Version der Adenauer-Gegner Umgekehrt wird aber auch ein Schuh daraus Das offizielle Bonn hat nämlich festgestellt daß die Stimmen für die Parteien der Regierungskoalition, die ja praktisch die Politik Adenauers deckt, nach wie vor weit übei 50 Prozent ausmachen und daß, gemessen ar den letzten Landtagswahlen, in diesem nördlichsten Bundesland Deutschlands (eineinhalt

Millionen Wähler), von keinen CDU-Verlusten und SPD-Gewinnen die Rede sein kann. Die entsprechenden Vergleichszahlen bestätigen dies auch. Wer hat nun recht? Diese Frage gewinnt für Oesterreich eine nicht unbeträchtliche Aktualität: Man muß sich hier wie da entscheiden, ob man Landtagswahlen Landtagswahlen sein läßt oder ihnen den Charakter von staatspolitischen Entscheidungen zubilligt. Diese Entscheidung aber muß vor der Wahl, nicht erst bei der propagandistischen Auswertung ihrer Resultate bekanntgegeben werden. Es berührt nun immerhin merkwürdig, daß die deutsche Opposition, die sonst immer gegen die Verquickung von Bonner Grundsatzfragen mit lokalen Wahlentscheidungen wettert, aus der Entscheidung der wackeren Husumer ein Volksgericht über die EVG werden läßt. Es wäre lohnend, zu erfahren, wie die Kommentare im Falle eines anderen Wahlausgangs gelautet hätten. Oesterreich könnte aus diesen Erfahrungen lernen: Werden wir am Morgen nach dem 17. Oktober die demokratische Entscheidung unserer Mitbürger aus vier Bundesländern über die zweckmäßigste Besetzung der Landtagsstuben erfahren, oder wird die Hälfte der österreichischen Wählerschaft über die Prinzipien der Bankenrekonstruktion, des Staatsvertrages und der Zolltarife entscheiden … ? Gesagt müßte es halt werden … aber vorher!

MCCARTHY ALS ANGEKLAGTER: Die zehntägigen Verhöre des Sonderausschusses zur Behandlung der im amerikanischen Senat vorgebrachten Tadelsmotion gegen Senator McCarthy sind zu Ende gegangen. Der Sonderausschuß, bestehend aus drei Republikanern und drei Demokraten, hatte die 46 Anschuldigungen gegen McCarthy in fünf Anklagepunkte zusammengefaßt. Die Verhandlungen wurden von dem konservativen Rechtsrepublikaner Watkins, also einem Parteikollegen McCarthys, in vorbildlich sauberer Form geleitet. McCarthys Verteidigung, ganz auf rhetorische Kniffe und Ablenkungen aufgebaut, erwies sich als recht wehrlos. Terror verfing hier nicht. Als McCarthy zum Beispiel versuchte, sein Vorgehen mit dem Hinweis auf das Vorgehen anderer Senatoren zu rechtfertigen, schnitt ihm Watkins das Wort mit der Bemerkung ab, ein Dieb könne sich nicht mit dem Hinweis darauf verteidigen, auch andere Leute hätten gestohlen. — Die große, zunächst innenpolitische Bedeutung dieser Untersuchung liegt nicht darin, daß vielleicht auf ihre Empfehlung der amerikanische Senat in seiner Herbstsession einen Tadel über McCarthy aussprechen wird, sondern bereits darin, daß hiei deutlich wurde, wie sehr sich heute gerade prominente konservative rechtsrepublikanische Kreise von einem Mann zu distanzieren suchen, in dem sie nicht den Retter Amerikas sehen, sondern einen Revoluzzer und Demagogen. Eine Befreiung von McCarthy würde die politische Auseinandersetzung in den USA von zahlreichen belastenden Elementen befreien und ihr jene Spielfreiheit zurückgeben, die sie seit geraumer Zeit verloren hat: sehr zum Schaden der freien Welt und auch Europas da die Erstarrung und Einfallslosigkeit dei amerikanischen Außenpolitik durch die Angst vor immer neuen Denunzierungen durch die McCarthy-Leute mitbedingt ist.

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