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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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VORWÄRTSBLICKEN, AUFWÄRTSSTREBEN ...Die an ein gleichförmiges Alltagsleben gewöhnte österreichische Innenpolitik hatte an diesem Wochenende ihre kleine Sensation: Es war dies der Besuch des Bundesministers für Unterricht, Dr. Drimmel, bei den „Kinderfreunden“. Der Katholik sprach als Gast jener Organisation, die nicht nur stets ein Hort des Sozialismus war, sondern in der Zeit der Ersten Republik auch als eine besondere Pflanzstätte freidenkerischer Bestrebungen galt. Nun, die Zeiten, in denen man nur auf die Farbe des Hemdes sah, das der Nachbar trug, und ihn je nachdem als guten Menschen oder hassens-wertes Subjekt taxierte, sind zum Glück Vergangenheit. Gerade die Zusammenarbeit der verschiedenen Jugendorganisationen im „Bun-desjugendring“, bei der die eigenen Grundsätze wohl gewahrt werden, läht manche Hoffnungen zu. Altein, dafj bei der Veranstaltung einer eindeutig politischen Organisation nicht ein „eigener“ Minister, sondern der der anderen Couleur zu Worte kam, ist doch neu — und wurde als solches von den Einladenden genau so wie von ihrem Gast, dessen Bestrebungen zur Auflockerung der starren politischen Fronten bekannt sind, auch gewürdigt. Wie heißt es doch in dem alten Lied der „Kinderfreunde“: „Vor-wärfsblicken, aufwärtsstreben ...“ Nun, ein klein wenig sind wir doch vorwärts und aufwärts gekommen in unserer Innenpolitik . .. (Zwischenruf des Pessimisten: „Hoffentlich wirft uns das Wahljahr 1956 nicht wieder über den Ausgangspunkt zurückt“)

ÜBRIGENS: MAN GEHT NICHT MEHR OHNE PISTOLE. Dieser leicht variierte bekannte Slogan der Wiener Hutmacherinnung scheint das Motto für viele männliche Staatsbürger geworden zu sein. Nach dem Abzug der Besatzungstruppen und dem Wegfall aller alliierten Walfenverbote oder Waffenbeschränkungen hat jedenfalls im ganzen Bundesgebiet eine sprunghafte „Nachfrage“ nach Handfeuerwaffen eingesetzt. Bei den Anfragstellern eines Waffenscheines handelt es sich dabei nur in den geringsten Fällen um Personen, deren berufliche Tätigkeit als Kassen-bofen, Nachtwächter usw. einen solchen Antrag rechtfertigt. Im Gegenteil: Wir haben sogar gehört, dafj die Mehrzahl der Geldbriefträger eine solche „Armierung“ als erhöhte Gefährdung ihres Lebens ablehnt. Die Schar der Petenten geht oft von ganz anderen Motiven aus. Selbst romantische Begründungen, wie „dafj ein Mann eben eine Waffe fragen müsse“, sind keine Einzelfälle. Die zuständigen Stellen werden guttun, alle einlaufenden Ansuchen mehr als rigoros zu prüfen. Es besteht wirklich kein Bedürfnis danach, zu einem „Volk in Waffen“ zu werden. Auch der Gesetzgeber nehme sich dieser Sache an. Die gesetzliche Lage ist nämlich nicht eindeutig. Sie unterscheidet zwischen der Erlaubnis zum Besitz einer Handfeuerwaffe und der Berechtigung zum Tragen derselben. Von weiteren diffizilen Unterscheidungen ganz zu schweigen... Erstere ist leichter zu haben, bei letzterer legte man bisher strengere Maßstäbe an. Freilich: Wenn dann irgendwo ein Schuf; knallt und ein Mensch in seinem Blute liegt, ist es ziemlich nebensächlich, ob der Täter auch noch wegen unbefugten Tragens einer Waffe zusätzlich verurteilt wird...

ABKEHR VON DER MECHANISCHEN LOHNPOLITIK! Bei der Festsetzung der einmaligen Zulage an die öffentlich Bediensteten, die in diesen Tagen zur Auszahlung kommt, ist man diesmal von der bisherigen mechanischen Form der Lohnpolitik abgegangen. Die Steigerung der Preise lebenswichtiger Güter hat eine Familie mit drei Kindern ungleich mehr getroffen als einen Ledigen. Es war daher nur recht und billig, dafj man diesmal die Abgeltung der Erhöhung der Lebenshaltungskosten aliquot der Belastung gerechnet hat. Zuerst hafte man das Verlangen nach einer Abgeltung von 25 Prozent des Bruttolohnes gestellt. Das war aus zwei Gründen ein unsoziales Verlangen. Erstens hätte für eine gleich wirksame Preissfeigerung zum Beispiel der Sektionschef ein Vielfaches der Abgeltung des Amtsgehilfen erhalten, und zweitens wäre dem Ledigen erheblich mehr abgegolten worden, als die (angeblichen) Preissfeigerungen tafsächlich ausgemacht haben, während auf der anderen Seite de- Familienvater nur einen Bruchteil dessen zugesprochen erhalten hätte, was ihm an Mehrkosten erwachsen ist. Regierung und Gewerkschaftsbund waren für die familienfreundliche Lösung einer Abgeltung von Preissteigerungen nach de' Familiengröfje. Nach 1945 wurde für die Familien manches getan: Kinderbeihilfen, Steuerprogression für Pflichtige mit Kinderermäßigung, und nun — wenn auch nur einmal — eine Zuwendung, die dem Familienbedarf gerecht wird. Das Arrangement zwischen Regierung und OeGB hat symbolische Bedeutung: Nicht wegen des Frgebnisses, sondern weil diesmal auch die Gewerkschaftsführung sich sindeutig zu einem Prinzip (dem Bedarfsdeckungslohn) bekannt hat, das seit jeher zu einem der Elementarprinzipien der christlichen Sozialreformer gehört hat.

AUCH EIN .HEIMKEHRER“. In der deutschen Bundesrepublik ist vor wenigei Tagen Hans Ulrich Rudel aus seinem selbstgewählten argentinischen Exil, in dem es ihm nach dem Sturz Perons nicht mehr gefiel, eingetroffen. Der ehemalige deutsche Fliegerheld des zweiten Welt krieges, der nach dem Kriege durch seine eindeutigen politischen Eskapaden von sich reden machte, gab an, er wolle in Zukunft die Inter essen deutscher Firmen in Südamerika vertreten. Welche Firmen dies sind, deren Geschäfte der „ehrliche Kaufmann“ besorgt, verraten die Briefe und Aufzeichnungen, die den neuen argentinischen Behörden bei einer Hausdurchsuchung von Rudels Haus in Carlos Paz in die Hände fielen. Rudels internationale Tätigkeil erscheint demzufolge weif umfangreicher und gefährlicher, als man allgemein geglaubt hatte. Sein argentinisches Hauptquartier war die in deutscher Sprache erscheinende Monatszeitschrift „Der Weg“. Der Herausgeber des „Wegs“, Eberhard Fritsch (früherer Landesgruppenleiter der Hitler-Jugend in Argentinien), und sein Haupt Schriftleiter Johann von Leer: sind auch die wirklichen Autoren von einigen unter Rudels Namen herausgekommenen eindeutigen Publikationen; Rudels Kriegserinnerungen, die unter dem bezeichnenden Titel „Trotzdem!“ erschienen sind, sind von dem ehemaligen „SS-Kriegsberichter“ Gunter Sassen stilisiert worden, der jetzt unter dem Namen Steven Wiel schreibt — Rudel selbst ist schriftstellerisch vollkommen unbegabt. Die grofjen Reisen Rudels, der von den Aero-mechanischen Werkstätten der argentinischen Luftwaffe nur ein Gehalt von 4000 argentinischen Pesos (rund 6000 Schilling) bezog, wurden vom sogenannten „Kameradenwerk“ finanziert, einer von ihm gegründeten Organisation mit der angeblichen Aufgabe, deutsche Kriegsgefangene zu unterstützen. Wie sich Rudel diese Unterstützung vorstellte, ist .aus einem der bei der Hausdurchsuchung ermittelten Dokumente zu ersehen— einem detaillierten Plan zur Befreiung der Kriegsverbrecher in Werl, Wittlich und Landsberg aus dem Jahre 1951. Rudel stand mit ehemaligen Nationalsozialisten und Offizieren, die sich heute in der DDR kommunistisch gleichgeschaltet haben, in ständiger Verbindung; an einer 1952 in Stuttgart von kommunistischen Kreisen gestarteten „Offiziersversammlung“ gegen die damals noch erhoffte Europa-Armee sprach Rudel durchaus in den von den Kommunisten gewünschten nationalistischen Tönen gegen die westliche Integrierung. In Chile machte Rudel 1953 unter den deutschen Kolonisten eindeutig Stimmung gegen Bonn. Rudels Zusammenkünfte mit Unbelehrbaren in Westdeutschland, der Schweiz, Oesterreich und Italien sind aus den gefundenen Dokumenten nachzuweisen. Bezeichnend für die Mentalität Rudels ist, dafj er sich von seiner Frau scheiden lieh, weil sie in der Not seine Kriegsauszeichnungen versetzt hatte.

DER STUHL DES PREMIERMINISTERS WANKT.In den letzten Tagen hat Sir Anthony Eden alle Ursache gehabt, sich des alten englischen Sprichworts zu erinnern, welches davor warnt, mitten beim Ueberqueren eines Stromes die Pferde zu wechseln. Gewifj, es war nicht zu verhindern, dafj die wachsenden Schwierigkeiten, die Großbritannien auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet bedrängen, den Unmut der Bevölkerung erregt und eine scharfe Krifik an der gegenwärtigen Staafsführung ausgelöst haben; solches ist nun einmal und war zu allen Zeiten das Schicksal derer, die mit der Regierungsgewalt auch die Verantwortung tragen. Was aber zu vermeiden gewesen wäre, war der Eindruck seiner eigenen Unsicherheit, ja Ratlosigkeit, den der Regierungschef mit seiner kürzlichen Kabinettsumbildung, von der fasf alle Minister und Staatssekretäre betroffen wurden, gegeben hat. Dieser „Pferdewechsel mitten im Strom“ entfachte selbst im konservativen Lager einen Sturm, der in der jüngeren englischen Geschichte nur mit der Revolte der eigenen Parteigenossen verglichen werden kann, die am 11. Mai 1940 den damaligen Premler Neville Chamberlain zum Rücktritt zwang. So weit ist es diesmal nicht gekommen, dank vor allem dem mäßigenden Einfluß R. A. Butlers. Aber der Vertrauensvorschuß, mit dem Eden sein Amt an der Spitze der Regierung angetreten haffe — ein Vorschuß, der sich mehr aus der persönlichen Beliebtheit des Mannes erklärt und aus der ihm von Winston Churchill gewährten Protektion, als aus seiner keineswegs unumstrittenen, langjährigen Tätigkeit als Außenminister —, ist restlos aufgezehrt. Ob dieser Verlust wieder gutgemacht werden kann, wird davon abhängen, ob Sir Anthony die Art seiner Begabung und deren Grenzen doch noch erkennt und daraus die praktischen Folgerungen zieht. Er ist geschickt im Verhandeln, im Ausgleichen von Gegensätzen, in der Präzisierung dargelegter Standpunkte; das sind Talente, die ihn als Vorsitzenden bei einer Beratung in hohem Maße qualifizieren. Er ist aber nicht der Mann festfundierter, weitblickender Entscheidungen und deren konsequenter Durchführung, wie es sein großer Vorgänger in so seltener Weise war. Daher sollte er einen weit höheren Gebrauch von dem glücklichen Umstand machen, daß er in seinem Kabinett von einer Anzahl hervorragender Köpfe umgeben ist, deren Rat ihm am Steuer des Staafsschiffes bestimmt verläßlichere Dienste leisten würde als seine eigenen, schwankenden Impulse.

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