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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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ÖSTERREICHS ERSTE VOLKSABSTIMMUNG hat am Sonntag in Vorarlberg stattgefunden. Mil überraschender Zweidrittelmehrheit wurde da vom Landtag im vorigen Dezember mit 16 gegen 10 Stimmen beschlossene Verbot der sogenannten „Betriebsaktionen zu Fall gebracht. Von 126.234 Stimmberechtigten entschieden sich nur 37.459 oder 32,34 Prozent für die Beibehaltung des Verbotes, während 78.369 „Wähler" oder 67,66 Prozent mit Nein stimmten. Die Wahlbeteiligung war mit 93 Prozent außerordentlich hoch. Von den insgesamt 126.234 Wahlberechtigten haben 117.638 Wähler ihre Stimme abgegeben, davon waren 1810 Stimmen oder 1,64 Prozent ungültig. Gültige Stimmen gab es 115.828. Damit ist der Gedanke der „unmittelbaren Demokratie', wie er in Volksabstimmungen dokumentiert wird, in Oesterreich erstmalig in Tat umgesetzt worden. Es ging dabei nicht um weltanschauliche oder politische Dinge, son dern um eine recht nüchterne, wirtschaftliche Angelegenheit, nämlich, ob in Betrieben Warenbestellungen gesammelt und Waren unter Umgehung des Einzelhandels direkt vom Erzeuger oder vom Großhändler erworben und daher billiger (ohne Umsatzsteuer!) abgegeben werden dürfen. Das OeVP-Organ hafte zur Sache keine Stellungnahme bezogen, sondern in seiner Nummer vom 9. März zuerst das Gesetz veröffentlicht und dann beide Meinungen dazu zu Worte kommen lassen. Dem OeVP-Wähler wurde also freigestellt, sich selbst eine Meinung zu bilden. Die Meinung der Volksabstimmung war eindeutig. Damit .wurde aber auch gufgeheißen, daß man eine Frage, die jenseits aller parteipolitischen Problematik liegt, nicht durch Klubzwang entscheidet oder „auf höchster Ebene abspricht", sondern unmittelbar von den durch das Gesetz Betroffenen entscheiden läßt. Ohne viel Propaganda. Wohl aber In der ruhigen Art und Bedächtigkeit, wie sie unsere Landsleute in Vorarlberg auszeichnef.

BONNS NIEDERLAGE UND ERFOLG IM KONKORDATSSTREIT werden durch das Urteil des westdeutschen Bundesverfassungsgerichtshofes bestimmt. Die Bundesregierung hatte vor zwei Jahren bei ihm Klage eingebracht gegen das Land Niedersachsen, dessen Schulgesetzgebung mit dem Konkordat nicht in Einklang zu bringen war. Nicht der letzte Sinn dieser Klage war, sich ein rechtliches Alibi zu verschaffen, da der Vatikan auf Erfüllung der Konkordatsbestimmungen gerade in der Schulfrage drängte. Hier standen nun zwei Prinzipien gegeneinander: das Völkerrecht, auf dessen Einhaltung die Bundesregierung größten Nachdruck legte, auch um sich von den zahlreichen Brüchen des Völkerrechts durch die Regierung Hitlers zu distanzieren; und die Verfassungstreue, da das Bonner Grundgesetz den Ländern die volle Kulturautonomie zugesfeht, und ein Eingriff in die Schulgesetzgebung als schwerer Bruch derselben anzusehen ist. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat nun ein Urteil gefällt, das auch in Oesterreich und allen Staaten, in denen es um zeitgemäße Revisionen von Konkordaten geht, hohe Beachtung verdient. Es hat das Konkordat als an sich gültig erklärt, gleichzeitig aber seine Scnulbestimmungen als derzeit unerfüllbar, da gegen das Grundgesetz des Staates verstoßend. Bonns Gewinn aus dieser „Niederlage" ist offensichtlich: Es vermag nunmehr entschieden den Weg zu einem neuen Konkordat zu gehen; In neuen Verhandlungen zwischen Rom, der Bundesrepublik und den Ländern. Damit wird endlich eines der strittigsten Probleme aus der Welf geschafft werden, das die konfessionellen und politischen Verhältnisse lange genug getrübt hat. Das „Hitler-Konkor dat", wie es von seinen Gegnern unbillig genannt wurde, wird durch einen neuen Vertrag ersetzt werden, der den gerechten Wünschen aller Beteiligten Rechnung tragen soll. Hoffen wir, daß wir in Oesterreich unsererseits bald am Ziels sind in derselben leidigen Angelegenheit.

DER GESUNDHEITSZUSTAND PRÄSIDENT EISENHOWERS ist wieder einmal Gegenstand weltpolitischer Sorgen und Spekulationen. Der Präsident hat diesmal persönlich das Augenmerk auf sich gelenkt durch seinen Wunsch, einen Stellvertreter zu bestellen für den Fall, daß er sein Amt nicht ausüben könnte. Führende Mitglieder des Kongresses beraten im Weißen Haus über die dazu notwendige Verfassungsänderung. London, seif Bermuda über die Verschlechterung Im Befinden Eisenhowers durch Augenschein informiert, hat sich bereits auf den Besuch Nixons eingestellt. Die ganze freie Welt bedauert schmerzlich diese Entwicklung einer persönlichen Situation, die ein genauer Reflex der weltpolitischen Lage ist. Eisenhower hoffte, durch sein persönliches Prestige die gegenwärtigen Führer der Sowjetunion zu einer gemeinsamen Aktion weltpolitischer Entspannung gewinnen zu können, wie es in Genf vorbesprochen worden war. Die Verhältnisse waren stärker als die Wünsche einiger Politiker. Chruschtschow und Bulganin mußten auf den harten Kurs zurückschalten, um sich und Rußlands Position in Osteuropa halten zu können. Wieweit nach den letzten Drohungen des Kremls an die Adresse der skandinavischen Staaten, Israels und seiner möglichen Verbündeten diese Versteifung gehen wird, kann im Moment noch nicht gesagt werden. Vizepräsident Nixon wird, als Präsidentstellvertreter, einige dringende Probleme anzupacken haben: die Festigung des Bündnisses mit den alten Alliierten Frankreich und England, die Verteidigung der jetzt im Kreuzfeuer Moskaus liegenden Eisenhower-Doktrin für den Nahen Osten und die freiheitliche Konsolidierung Afrikas. Letzteres darf als sein persönliches Steckenpferd betrachtet werden, zumal nach seiner letzten Rundfahrt durch Afrika: es zeigt zugleich, wieweit doch allem Anschein nach dieser Mann Erfahrungen gesammelt hat seit dem Tage, als er zum erstenmal als „Vize” an die Seite Eisenhowers trat. Aus dem Verfechter eines ziemlich engen Amerikanismus ist ein Politiker geworden, der keineswegs mit dem Säbel und dem Wort rasselt, sondern umsichtig Rücksicht nehmen will auf die mentale und politische Eigenart anderer Völker und Kontinente. So dürfen wir wohl Nixons Auftreten in Afrika als ein günstiges Vorzeichen für sein Arbeiten als bevollmächtigter Präsidenfstellvertrefer der USA sehen, in einem Amt, wie es die Welf noch nie gesehen hat.

EIN LICHTBLICK FÜR ZYPERN. Die angeord- nefe Freilassung des Erzbischofs Makarios, dem allerdings die Rückkehr in seine Kirchenprovinz vorläufig noch verwehrt bleiben soll, ist der erste Schrift zur Wiedergutmachung des wohl schwersten Fehlers, den die britische Regierung bei der Behandlung des Zypernproblems begehen konnte. Es hat lange genug gedauert, bis die verantwortlichen Lenker der britischen Politik zur Einsicht gekommen sind, daß die Verhaftung und Deportierung des Erzbischofs kein taugliches Mittel war, um den Elan der zypriotischen Unabhängigkeifsbewegung zu brechen, und daß damit, im Gegenteil, nichts anderes erreicht wurde, als eine Versteifung der anti- brifischen Opposition, eine Vermehrung terroristischer Attentate und eine weitere Verschlechterung der britisch-griechischen Beziehungen. Freilich, nicht nur für den rein militärisch geschulten Generalgouverneur, Feldmarschall Sir John Harding, auch für seine in einer völlig säkularistl- schen Staafsauffassung erzogenen Auftraggeber war es nicht leicht zu verstehen, daß die Stellung eines orthodoxen Bischofs in Zypern eine wesentlich andere und zugleich bedeutungsvollere ist, als etwa die eines anglikanischen Prälaten in England. Für ein Volk, welches unter der vielhundertjährigen Herrschaft einer nichtchristlichen, fremden Macht gewohnt war, Im Würdenträger seiner Kirche nicht nur den geistlichen Führer, sondern den Ratgeber und Wegweiser In allen Dingen, vor allem auch Im politischen Bereich, zu erblicken, war die Behandlung, die seinem Erzbischof seitens der Briten zuteil wurde, tief verletzend, und eine Herausforderung, auf die eine scharfe Reaktion nicht ausbleiben konnte. Nun ist zu hoffen, daß der versöhnlichen Geste Londons bald weitere Schritte folgen werden, um ein Problem aus der Welt zu schaffen, welches, solange es ungelöst bleibt, eine schwere Belastung, und nicht nur im materiellen und militärischen Sinn, für Großbritannien bedeutet und die eine nicht zu unfer- schäfzende Gefahr für die Stabilität des südöstlichen NATO-Flügels In sich birgt. Das Angebot des Generalsekretärs der NATO, an der Lösung der Zypernfrage vermittelnd mitzuwirken, unterstreicht diese Gefahr ehr deutlich.

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