6657732-1959_39_05.jpg
Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

REFORM IM JÄNNER! Weit über Oesterreich hinaus hat die Ankündigung der Oesterreichi- schen Volkspartei Aufmerksamkeit erregt, im ersten Monat des nächsten Jahres einen außerordentlichen Parteitag abzuhalfen. Von besonderer Bedeutung ist natürlich die mehrfache Erklärung von Ing. Raab, sich von gewissen Aemfern zurückziehen zu wollen. Da es zur Zeit besonders schwer scheint, einen Nachfolger für das Kanzleramt zu finden, denkt man an eine Ablöse in der Partei; andere Stimmen und Kreise sprechen sich für ein Verbleiben Raabs als Parteiführer aus, um die schwierigen Rekonstruktionen in die Wege zu leiten. Wenn es nämlich nicht „nur” zu gewissen Personalveränderungen in der Parteiführung, sondern zu einer Anpassung der Partei an die geänderte gesellschaftliche und politische Situation in Oesterreich kommen soll, sind sehr lange konstruktive Arbeiten nötig, die gegenwärtig erst in den Anfängen sfecken. Es ist kein günstiges Zeichen, daß dabei wenig an die kleinen aktiven Gruppen jüngerer Männer gedacht wird, die sich seit vielen Jahren ernste Sorgen um Oesterreich und um die Partei machen. Um so mehr stehen hier und dort robuste Geschäftsinteressen im Vordergrund, wobei nicht selten der Stein der Weisen in einer nicht ungefährlichen Spekulation gesehen wird. „Macht die OeVP recht weit nach rechts, zu den ,Nationalen’ und .Liberalen’ aufl" So heißt der Schlachtruf. Gegen eine vernünftige Eingliederung dieser Kreise ist nichts einzuwenden, wohl aber entsteht hier ein schweres Problem, wenn es nämlich weder eine echte Mitte noch eine echte Sammlung gibt: auf der Ebene eines fortschrittlichen S ozialprogramms und unter der Fahne Rof-Weiß-Rot. Wenn diese nicht gewagt wird, gerät die Volkspartei in eine doppelte Gefahr, nämlich, von den sehr überlegt arbeitenden Taktikern der SFOe im Rennen um die Gewinnung abständiger Randschichten überrundet zu werden, wie auch vor ihren alten Gefolgsleuten, den Massen, die ihr bisher schon viel nachsehen mußten, endgültig das Gesicht zu verlieren. Letzteres sollte der Partei nicht so gleichgültig sein wie einigen ihrer Manager. Doch darüber wie überhaupt über das Thema „Reform’ wird noch genügend Gelegenheit sein, ausführlich zu sprechen.

SCHUTZ FÜR ÄLTERE ARBEITSKRÄFTE. Abgeordneter Dr. Kummer wird einen Gesetzentwurf einbringen, durch den künftig ältere Arbeitskräfte, und zwar Frauen zwischen 40 und 61 sowie Männer zwischen 45 und 66 Jahren, als „förderüngswürdig” betrachtet und für Arbeiten, die ihren besonderen Fähigkeiten entsprechen, eingestellt werden sollen. Je eine Person dieser Alterskategorie auf 50 Arbeiter bzw. auf 100 Angestellte soll jeder Betrieb beschäftigen. Tut er dies nicht, so hat er eine Ausgleichsgebühr von 500 Schilling zu entrichten; stellt er dagegen mehrere ein, so erhält er aus dem Arbeitslosenunterstützungsfonds eine Förderungsprämie bis zu 500 Schilling pro Person und Monat. Da vor kurzem auch einer der führenden Industriellen Oesterreichs, Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof für dieses Projekt eingefreten ist, besteht Hoffnung, daß ein Uebelsfand behoben wird, den man mit Recht als eine „offene Wunde" unserer sozialen Gesellschaftsordnung bezeichnet hat. Wer nämlich die Stellenausschreibungen in den Zeitungen aufmerksam verfolgte, konnte feststellen, daß die generelle Arbeifsbegrenzung, besonders bei Neueinsfellungen, etwa bei 40 Jahren lag. In letzter Zeit konnte man auch immer wieder von Verzweiflungstaten, ja sogar von Selbstmorden arbeitswilliger Männer lesen, die trotz aller Anstrengungen keine Beschäftigung mehr gefunden haben. Unter diesen befinden sich sicher manche mit reicher Erfahrung, die oft nur durch die Wechselfälle der Zeit oder durch persönliches Unglück arbeitslos geworden sind. Es war ein schweres Unrecht, daß ihnen oft andere, nur wegen ihrer Jugend, vorgezogen wurden. Auf diesem Gebiet eine wahrhaft soziale und christliche Lösung zu finden, ist ein Gebot für ein durchaus tragfähiges Wirtschaftssystem, zumal in einer Zeit der Hochkonjunktur.

SUDTIROL VOR DIE UNO! Außenminister Doktor Kreisky hat in der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York zum ersten Male die Südtiroler Frage behandelt. „Es kann keinen Zweifel geben, daß im Vergleich mif der faschistischen Aera Südtirol von kulturellen Restriktionen verhältnismäßig frei ist. Ein anderes Bild zeigt sich jedoch auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet. Dort ist die Situation tatsächlich ernst." Dr. Kreisky fordert die Schaffung einer autonomen Provinz Bozen. „Sollte es jedoch nicht gelingen, durch bilaterale Verhandlungen zufriedenstellende Bedingungen für eine Minorität von 250.000 in einer Nation von fast 50 Millionen zu erreichen, wird Oesterreich keine andere Alternative bleiben, als die Vereinten Nationen zu ersuchen, diese Frage zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt auf ihre Tagesordnung zu setzen." Die zunächst heftige Reaktion der gegenwärtigen italienischen Regierung, die auf ihre rechtsradikalen Verbündeten blickt, auf diesen „unerwarteten Vorstoß" von seifen Oesterreichs war zu erwarten. Ebenso erwartet und erhofft muß nun werden, daß die Wiener Regierung den langen Atem nicht verliert, der notwendig ist, Südtirol international und vor dem Forum der UNO würdig und überzeugend zu vertreten.

CHRUSCHTSCHOWS ABRUSTUNGSPLÄNE. Der sowjetische Regierungschef hat der UNO während seines Amerikabesuches zwei Abrüstungspläne vorgeschlagen. Der erste enthält die Vision einer totalen Abrüstung in vier Jahren, der zweite schlägt eine Teilobrüsfung gemäß fünf Punkten vor: 1. Bildung einer Zone der Kontrolle, Inspektion und Verringerung der Stärke ausländischer Truppen in Westeuropa. 2. Die Bildung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa. 3. Der Abzug der Truppen von allen ausländischen Stützpunkten und die Aufhebung dieser Militärbasen. 4. Abschluß eines Nichtangriffspaktes zwischen den Ländern der NATO und den Mitgliedern der Warschauer-Pakt-Organisation. 5. Abschluß eines Abkommens über die Verhütung von Ueberraschungsangriffen. Plan eins, die Totalabrüstung betreffend, wurde von den Westmächfen mit Ironie aufgenommen. Plan zwei begegnet der Kritik und Skepsis, wobei vermerkt wird, daß alle diese Einzelpunkte seit Jahren in sowjetischen Vorschlägen wiederkehren. Nichtsdestoweniger ist sich der Westen klar darüber, daß es hier um den Schwerpunkt der kommenden Auseinandersetzungen, wie um den Sinn des Chruschtschow-Besuches in den Vereinigten Staaten, geht. Die beiden Weltmächte scheinen sich nämlich, bei allen Gegensätzen, darüber einig zu sein: irgendwie und irgendwann muß es zu einem Abrüsfungsabkom- men kommen. Die Rüstungskosfen belasten, wenn aucß -jn-verschiedener Weise, beide Weltsfaaten. Sje verhindern, dpß die USA sich so stark« alye weltpolitisch nötig wäre, materiell und politisch in Afrika und dem nichtkommunistischen Asien engagieren, und sie läßt, in für Moskau sehr peinlicher Weise, die Sowjetunion immer wieder als unzuverlässigen Wirtschaftspartner in den Augen jener Staaten und Völker erscheinen, die auf Moskaus Hilfe warfen. Es ist also das weltwirtschaftliche Interesse, das Chruschtschow mit den amerikanischen Wirfschaftsführern zusam- menbringf und ihn und seine Gastgeber die nicht geringen Strapazen tragen läßt, die sich aus diesem Staatsbesuch für beide ergeben.

DE GAULLES ALGERIENPLAN: Frankreichs Staatschef hat die Karten auf den Tisch gelegt, 15 Monate nachdem ihn, am 1. Juni 1958, die rebellierenden Franzosen Algiers auf den Schild gehoben haften. Jene Franzosen, welche die Vierte Republik verdächtigten, Algerien aufzugeben. In seiner bis zur letzten Minute geheimgehaltenen Rede schlägt Charles de Gaulle den Algeriern drei Möglichkeiten vor: erstens die völlige Unabhängigkeit; zweitens die Föderation als Mitgliedsstaat in der französischen Gemeinschaft; driftens sich ganz in Frankreich zu integrieren. Für die Algier-Franzosen des kritischen Mai 1958 kam nur die Integration in Betracht. De Gaulle ist der einzige französische Staatsmann, der es sich augenscheinlich jetzt leisten konnte, offen den Algeriern die völlige Trennung von Frankreich anzubieten. Allerdings, dieses Angebot hat einige Haken. Die Algerier sollen vier Jahre nach Abschluß der Befriedung Algeriens sich über die Zukunft ihres Landes entscheiden. Wann aber wird diese Befriedung eintreten? Der General selbst sieht den Zustand Algeriens für „befriedigend" an, wenn innerhalb eines Jahres nicht mehr als 200 Personen durch Ueberfälle und Attentate ums Leben kommen. Das ist großzügig gedacht, und es besteht auch in Washington und bei den westlichen Alliierten Frankreichs kein Zweifel, daß mif diesem De-Gaulle-Plan eine neue französische Algerien- polifik beginnen kann. Wenn die Algerier mitmachen. De Gaulle prophezeit den Algeriern für den Fall der Ablehnung Blut, Tränen, Versinken in einem kommunistischen Chaos. Viele Algerier wissen, daß dies nicht bloße Rhetorik ist. Die große Schwierigkeit des Planes liegt nun nicht nur darin, daß er den Tag X offen läßt, ab dem Algerien als „befriedet” angesehen wird, sondern weil er auch offen erklärt, die Sahara- Gebiete seien nicht eingeschlossen. In ihnen liegt aber das Oel, das Frankreich braucht und für das sich Algerien und andere Mächte interessieren. Bereits an dieser Oelfrage können sich Konflikte entzünden und zum Großbrand weiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung