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RANDBEMERKUNGEN zurwoche

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DIE EINFUHRUNG DER „EINKOMMENSMIETE“ scheint nun auch in Wien erwogen und zur Richtschnur der künftigen Mietenbemessung in den mit öffentlichen Mitteln errichteten Wohnungen zu werden, Freilich sollte man sich hüten und das Kind mit dem Bad ausschütten. Der Grundgedanke, den, der es sich leisten könnte, einen kostendeckenden Mietzins zahlen zu lassen, ist nicht nur wirtschaftlich richtig, sondern entspricht auch durchaus den Prinzipien einer gerechten Verteilung des Sozialproduktes. Wenn die Gebietskörperschaften zu den Amor-tisations- und Instandhalfungskosten von Wohnungen beträchtliche Zuschüsse leisten müssen, so ist es gerechtfertigt, diese Zuschüsse nur jenen zukommen zu lassen, die sie auf Grund des Einkommens benötigen. Aber nicht allen, wie bisher. Anderseits sollte man sich davor hüten und die Einkommensgrenze, von der ab ein kostendeckender Zins zu rechnen ist, allzu niedrig ansetzen oder etwa gar, wie gerne geübt, die Zahl der vom Miefer zu erhaltenden Kinder durch einen symbolischen, aber den Tatsachen nicht Rechnung tragenden Betrag (einer Freigrenze) zu berücksichtigen. Wenn schon eine Art Fallgrenze gesetzt wird (die wir begrüfjen), dann mit Uebergängen, mit einem Härteausgleich, der mit Beträgen in die Tarifierung eingebaut wird, die so hoch sind, daß nicht in Hinkunff Familienvätern das Wohnen in neuen Wohnungen überhaupt verwehrt und eine Wohnungsherrlichkeit wiederhergestellt wird, die wir schon abgebaut geglaubt haben. Anderseits sollten, erheblich mehr als bisher, Teile der für die Errichtung von Wohnungen vorgesehenen öffentlichen Mittel für den Eigenheimbau in den unterschiedlichsten Formen verwendet und die Kolchosisierung unseres Wohnungswesens beendet werden. Wien würde, wenn es für die im Sozialen Wohnungsbau errichteten Wohnungen in Hinkunft Einkommensmiefen einrieben sollte, übrigens nicht allein bleiben. Auch in der Deutschen Bundesrepublik, so jüngst in Hamburg, erwägt man ebenfalls eine Staffelung der Miefen nach den Einkünften. Freilich sollte man nicht übersehen, dafj ein großer Apparat notwendig sein wird, um die erforderlichen Ein-kommensfesfstellungen zu machen, besfehf doch das Einkommen nicht allein aus dem, was der Mieter von einem Dienstgeber bezieht, sondern auch aus Nebeneinkünften, gar nicht zu reden vom Einkommen der Unternehmer, das erst Monate nach Ende des Kalenderjahres einigermaßen errechnet werden kann. Es wäre daher zu erwägen, die Dinge nicht zu überstürzen. Sonst kann uns ein „Einkommensmiefendurch-führungsgesefz“ beschert werden, das wöchentlich novelliert werden muß und dessen Handhabung einen Behördenapparaf erforderlich macht, der Kostert verursacht, welche die geplanten Ersparnisse weit überdecken. Diese Bedenken sollten aber kein Anlafj sein, endlich zu einem Grundkonzept im sozialen Wohnungsbau zu kommen, der weithin den Beinamen „sozial“ nicht mehr verdient, sondern lediglich ein Bauen mit öffentlichen Geldern darstellt.

SELTSAMER JUGENDAUSTAUSCH. Wien und die Bundesländer sind, in diesen letzten Wochen mehrfach der Schauplatz von Gangsfertaten gewesen, die von Jugendlichen verübt worden sind, Raubüberfälle auf alte Frauen und alleinstehende Personen, vor allem aber Waffendiebstähle haben die Oeffentlichkeit alarmiert. Bedeutsam ist die Mofivänderung und gesellschaftliche Strukturierung. Waren es in den ersten Nachkriegsjahren jugendliche Wanderer zwi-sshen den Welten, Waisen, Verwahrlöste, Strandgut, Unbehauste, und ihre Motive aus Kriegs- und Nachkriegseinwirkungen und schlecht artikulierter Sucht nach Abenteuern gemischt, so sind es jetzt jurfge Menschen, die gar nicht schlecht verdienen für ihr Alter, Lehrlinge und Söhne wohlsituierter Familien, die, kalt und berechnend, Ueberfälle unternehmen, um zu Geld uncj Genuß zu kommen. Neben einigen Typen dieser Art verdient besonderes Augenmerk der letzte Fall in Lilienfeld in Niederösterreich. Ein einundzwanzigjähriger Medizinstudent hoffe mit vier in jeder Hinsicht unmündigen Lehrlingen eine „Platte“ gebildet, die das Stiff Lilienfeld, dann die Umgebung systematisch plünderte. Als Spezialität wählte man Kunstgegenstände aus Kirchen und Kapellen, verkaufte diese in Kitzbühel an gut zahlende Ausländer, machte dann, sozusagen als Revanche, Spritztouren nach Deutschland und kehrte mit gestohlenen Autos in die Heimat zurück. Das deutsche Gegenstück dazu, die Vergnügungsfahrt eines westdeutschen Jünglings, Sohn eines Autohändlers, mit fünf in Oesterreich gestohlenen Autos, durch unser Land, hat vor kurzem das Interesse der Oeffentlichkeit erregt. — Was ist das für ein seltsamer Austausch von jungen Menschenl Da bemühen sich, mit steigendem Erfolg, seit Jahrzehnten Organisationen, Mer Jugend fremde Länder zu vermitteln — hier ziehen es Jugendliche vor, sehr auf eigene Weise, sich fremdes Land und fremde Leute zu besejien! Hier funktioniert efwas, in unserer Gesellschaft, nicht richtig. Nicht die „Jungen“, auch nicht einfach die „Alfen“, sondern etwas anderes: die industrielle Gesellschaft läfjt, so scheint es, zuwenig Spielformen im konkreten Leben dem einzelnen frei. Uebersehen wir dieses untergründige Motiv so mancher Gangstereien nicht: junge und alfe Menschen spüren heute instinktiv, wie die Freiheit immer geringer wird. Bei nicht wenigen Fällen, die heute unsere Ge-

richte befassen, steh! im Hintergrund diese miß-lungene Flucht in eine Freiheit, die im „Verbotenen“ gesucht wird. Von Personen aller Altersstufen, Stände und Geschlechter.

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VIER JAHRE WAHLKAMPF IN DEUTSCHLAND!

Die innenpolitische Entwicklung in Westdeutschland zeigt seit der sechzehnstündigen Redeschlacht im Bonner Bundestag über die Aufjenpolitik Dr. Adenauers Zeichen einer Radikalisierung, die zu denken gibt. Die früheren Bundesminister in der Regierung Adenauers, Dr. Heinemann und- Dr. Dehler, hatten da, stundenlang, den Kanzler als einen Mann, der hinter dem Rücken des Volkes, des Bundestages und seines eigenen Kabinetts Entscheidungen von höchster Gefährlichkeif reffe, angegriffen. O. B. Roegele kommentiert im „Rheinischen Merkur“, der bekanntlich dem Bundeskanzler nahestehenden Kölner Wochenschrift, dieses außerordentliche Ereignis: „Dafj die früheren Bundesminister Dehler und Heinemann ihren Affekt gegen Adenauer. .. abreagieren würden, war zu erwarten und brauchte eigentlich niemanden besonders aufzuregen .. . Das Aufregende und Erschreckende liegt anderswo: in der Stumpfheit, Reaktionslosigkeif und mangelhaften Organisation der führenden Regierungspartei.“ Die Männer mit der absoluten Mehrheit sahen stundenlang stumm da und Überliefjen ihren Chef einer Flut von Anschuldigungen. In Reaktion auf diese schwere, schwarze Nacht der CDU (der „Rheinische Merkur“ nennt sie., im Titel: „Eine neue Niederlage“) hat nun ein Spiel begonnen, dessen Folgen noch nicht abzusehen sind. Der Kanzler, verlassen von seiner eigenen Partei, ergriff die Flucht in die Oeffentlichkeit, sprach über alle deutschen Sender. Ollenhauer repli- ' zierte scharf, und so geht es nun weifer: Statt im Bundestag sich in harter und würdiger Form sachlich gegenüberzustehen, wird nun in immer lauterer und erregterer Form an die Oeffentlichkeit appelliert. Mit Recht spricht deshalb der „Rheinische Merkur“ von einem „vierjährigen Wahlkampf“, der da soeben begonnen hat. Die CDU will „Aufklärungsbroschüren“ in Millionenauflage ins Volk werfen, die SPD will ihrerseits breitangelegte „Aufklärungsfeldzüge“ unternehmen. — Bedenkliche Ansätze, die an Entwicklungen vor 30 Jahren erinnern. Verschärfend dürfte sich die zunehmende Teuerungswelle auswirken und die unerfreuliche Tatsache, dafj das westdeutsche Budget auf einmal ein Loch zeigt. Schäffers Milliarden zerrinnen. Das Budget von 1957 scheint bereits mit vier Milliarden Defizit Überschriften. Ein wirtschaftlicher Engpaß wirkt sich naturgemäß besonders dann politisch gefährlich aus, wenn, wie jri der •gegenwärtigen Situation des deutschen Volkes, es allen Einsichtigen klar ist, daß der außenpolitische Engpaß nur in langer Zeit, mit viel Geduld und Umsicht, überwunden werden kann. Jede „schnelle“ Lösung trägt die Gefahr eines Kurzschlusses in sich. Regierung und Opposition sind in einer solchen Lage zu besonderer gegen-genseifiger Rücksichtnahme verpflichtet. Der Nachbar kann nur wünschen, daß diese Binsenweisheit demokratischen Zusammenlebens jenseits unserer Grenzen und diesseits, wo der Kampf bisweilen In verdeckterer Form geführt wird, wieder zur Geltung kommt und anerkannt wird.

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DIE „ARABISCHE REPUBLIK“. Am 1. Februar 1958 unterzeichnelen der ägyptische und der syrische Staatspräsident, Nasser und Kuwatli, die Urkunden über die Schaffung einer Union zwischen Aegypten und Syrien. Am 20. Februar soll der gemeinsame Präsident gewählt werden, denn der neue Staat wird nur einen Führer, eine Fahne und eine Armee haben. Seine Stärke: er kontrolliert den Suezkanal und die Oelleitungen aus Arabien und dem Irak zum Miftelmeer. Seine Anziehungskraft auf die anderen Völker Arabiens und Afrikas kann noch nichf abgeschätzt werden. Wahrscheinlich werden sich bereits in den nächsten Jahren hier und dort ehrgeizige Häuptlinge, Präsidenten der aus dem Boden schießenden jungen Staaten um einen „Anschluß“ kleinerer und schwächerer „Brudervölker“ bemühen. Die Schwächen des neuen Staates — sie werden gemeinsam mit seiner Stärke einen wichtigen' Unruheherd bilden — sind ebenfalls nichf zu übersehen. Die beiden Teile der „Arabischen Republik“ besitzen keine gemeinsame Grenze.. Ihre Wirtschaff ergänzt sich nichf, sondern ist sich erschreckend ähnlich. Die Oppositionsgruppen in Aegypten und Syrien werden durch den von einer Gruppe erzwungenen „Anschluß“ auf die Dauer nicht vermindert, sondern gestärkt. Was werden die in Syrien starken Kommunisten tun, die nunmehr unter ein eher faschistisches Regime kommen? Was wird Moskau sagen, wichtiger, was wird es auf die Dauer tun? Schon spricht man von einer Gegenallianz, einer Sfaatenunion zwischen Irak, Jordanien und Saudi-Arabien. Wird Nassers Wunsch, Führer des Panislams in Afrika zu werden, weitere Länder und Völker seinen gewalttätigen Beglückungsmethoden gewinnen? — Nicht wenige Züge feilt der ägyptische Februar von 1958 mit dem deutsch-österreichischen März genau zwanzig Jahre zuvor... Wichtig ist, daß der Westen ruhiges Blut bewahrt, seine wirkliche Stärke nichf vergißt und sorgfältig die vielen Keime in dem neuen Staat beobachtet.

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