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Randhemerkungen zur woche

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MIT DER AUSFÜHRUNG DES JUGENDSCHUTZGESETZES VOM 31. MÄRZ 1950 stimmt etwas nicht. Der 12 des Gesetzes sieht Maßregeln gegen Druckerzeugnisse vor, „die geeignet sind, die sittliche, geistige oder gesundheitliche Entwicklung jugendlicher Personer, insbesondere durch Verleitung zu Gewalttaten oder strafbaren Handlungen aller Art schädlich zu beeinflussen“. Unzweideutig wird unter diesen Druckerzeugnissen in den Erläuterungen des Motivenberichtes des Gesetzes jene Kommerzware der Druckerpresse verstanden, die mit blutrünstigen Verbrechergeschichten unter der Jugend einem skrupellosen Erwerb nachgeht. Mit welchen Wirkungen für unzählige jugendliche Opfer, darüber erzählen die Akten des Jugendgerichtshofes und die Verbrecherchronik unserer Tagespresse mit nicht mehr zu überbietender Eindringlichkeit. Dos Gesetz ermächtigt die Bezirksverwaltungsbehörden, auf Antrag einer Schulbehörde „sowie aller Personen, die ein berechtigtes Interesse nachweisen“, zum Beispiel der Elternvereine, Erziehungsgemeinschaften, Jugendorganisationen, zum Schutze der Jugend solche Produkte „von jeder Verbreitung“' an Jugendliche auszuschließen und mit Verbreitungsbeschränkungen, namentlich im Straßenverkauf und öffentlichen Schaustellungen, vorzugehen. Bisher ist das Gesetz von den bevollmächtigten Stellen auffallend selten angewendet worden; Verfügungen des Jugendamtes der Gemeinde stellten in Wien einzelne seltene Ausnahmen dar. So ergibt sich die drastische Tatsache, daß seit Erscheinen des Gesetzes die Serien übelster Verbrecherromanphantasie nicht verschwunden, nicht einmal der Zahl nach zurückgegangen sind, sondern noch zu-g enommenhab en. Auf dem M oder-boden dieses spekulativen Gewerbes gedeihen die vom Gesetzgeber verfolgten Erzeugnisse wie S chimmel-pilzplantagen. Die Zeitungsverkäuferstände strotzen von bluttriefenden Serien-produkten, des „El Pirato Negro“, der „Kolt-Stories“, „El Coyote“, „Der Kapuzenmann“ — um nur einige Beispiele aus zwei Dutzend dieser vergnügt trotz Jugendschutzgesetz in aller Öffentlichkeit sich tummelnden Unternehmungen zu nennen. Graz, Innsbruck, Wolfsberg in Kärnten und neben Wien besonders Linz mit seinem Schwicker-Verlag sind heute Standorte dieses Schimmelpilzgewerbes. Wie es geschehen kann, daß die zum Schutz der Jugend ernst gemeinte Lex Tschadek scheinbar ins Leere trifft? Weil es an den zum Einschreiten berufenen Stellen fast überall an einer systematischen und kundigen Prüfung des die Zeitungsverkaufsstände überflutenden gefährlichen Schundes fehlt und die Er ziehungsgemein* cha f-ten, Elternvereine, Jugendorganisationen von dem ihnen zustehenden Antragsrecht bisher zu wenig Gebrauch gemacht haben. Die Klagen über Jugendverderbnis sind überflüssig, wenn man von wichtigen gesetzlichen Mitteln zum Schutz der Jugend nicht Gebrauch macht.

SCHLAGWORTE HABEN EIN ZÄHES LEBEN, sie vererben sich von Generation zu Generation und stehen auch dann noch hoch im Kurs, wenn sie ihre Existenz' berechtigung schon lange verloren haben. Ein Beispiel: der „Soziale numerus clausus“, der die Tore der österreichischen Hochschulen den Söhnen und Töchtern des arbeitenden Volkes angeblich versperrt, das „Bildungsprivile g“, gegen das noch immer da und dort Unentwegte in den Kampf ziehen wollen. Junge Akademiker haben sich unlängst die Mühe gemacht, diesen Schlagworten aus der Zeit des Aufstieges des vierten Standes die Tatsachen der österreichischen Gegenwart entgegenzustellen. Sie haben aus den Statistiken festgestellt, daß im Wintersemester 1949150 nur 6,32 Prozent der an der Wiener Universität inskribierten Hörer aus Familien höherer Beamter und Akademiker stammten, 21,10 Prozent waren die Kinder mittlerer, 17,96 die niederer Beamter. 4,86 Prozent der Inskribierten hatten Prokuristen und Geschäftsführer zum Vater, 8,34 sonstige Angestellte. Aus dem Arbeiterstand kamen 11,4 4 Prozent der Hörer, genau dieselbe Zahl wie aus freien Berufen. Landwirtssöhne und -töchter waren mit nur 3,64 Prozent vertreten und der Anteil der Kinder von Kleinrentnern war mit 1,71 Prozent von geringer Bedeutung. Das Bild gewinnt an Deutlichkeit, überprüft man den prozentuellen Anteil der Studierenden nach dem Monatseinkommen ihrer Erhalter. Die Väter von 14,97 Prozent der Hörer aller österreichischen Hochschulen verdienten weniger als 500 Schilling, von 28,44 Prozent zwischen 500 und 750 Schilling, von 28,40 Prozent zwischen 750 und 1000 Schilling. von 21,63 Prozent zwischen 1000 und 1500 Schilling. Nur bei 6,64 Prozent hatten die Erhalter ein höheres Einkommen. Von den Eltern der österreichischen Studenten verdienen also nahezu drei Viertel weniger als 1000 Schilling im Monat. Auch den Betrag von 1000 bis 1500 Schilling wird man noch nicht als weitaus überdurchschnittliches Monatseinkommen bezeichnen dürfen. Es bleiben also nur die erwähnten 6,64 Prozent übrig, die — um es in den Worten mancher Beobachter von Links zu sagen — „der kleinen privilegierten Kaste angehören, deren Geldsack den Kindern das Hochschulstudium ermöglicht“.

DIE BILDENDEN KÜNSTLER TIROLS schieben sich langsam und stetig in den Vordergrund des österreichischen Kunstschaffens. Nicht weniger als sechs Tiroler Zeichner und Maler haben — um hier ein Beispiel zu nennen — mit Werken von ihrer Hand auf der letzten venezianischen Biennale Österreich vertreten. Einer von ihnen hat übrigens bei der kürzlichen Verleihung der Staatspreise einen durch seine Arbeiten höchst gerechtfertigten Preis erhalten. Der Würdigungspreis für Literatur fiel gleichfalls an einen Tiroler Dichter. Ein anderer Tiroler ist als bedeutender Bildhauer Professor der Wiener Akademie für bildende Künste, Innsbrucker Zeichner haben sich in Deutschland durch Ausstellungen und Buchillustrationen namhaften Ruf erworben. — Es ist eine Tatsache, daß sich jene Ateliers, in denen wertvolle österreichische Gegenwartskunst geschaffen wird, nicht auf Wien allein konzentrieren. In den Bundesländern bilden sich, von öffentlichen Stellen zumeist weit tatkräftiger als in Wien unterstützt, kleine, aber lebenstüchtige Künstlergruppen, die dei Kollegenschaft in der Bundeshauptstadt ernsthafte und — Wettstreit ist schließlich die Voraussetzung auch des gesunden Kunstschaffens — begrüßenswerte Konkurrenz machen. Daß Tirol jetzt an diesem Wettstreit mit viel hocheinzuschätzenden Begabungen vertreten ist, sei mit Anerkennung und Freude verzeichnet. •

RICHTLINIEN FÜR DIE SOWJETISIE-RUNG DES SCHULWESENS in der deutschen Ostzone wurden jetzt vom Volks-bildungsministerium von Sachsen-Anhalt herausgegeben. Darin, wird die Gestaltuni des gesamten Schulunterrichtes nach ausschließlich sowjetischen Grundsätzen gefordert. In den Anweisungen heißt es: „DU Organisation der Schulen in der Deutschen Demokratischen Republik hat nach rein sowjetischen Ideen zu erfolgen. Daher wird den Lehrmethoden der Sowjetunion ein beherrschender Einfluß in den Schulen der Deutschen Demokratischen Republik eingeräumt.“ Eine andere Stelle besagt: „Unsere Soldaten waren keine Helden, denn sie kämpften seit 1813 weder zur Verteidigung der Heimat noch zur Unterstützung der hohen Ideale der Menschen. Die sowjetischen Soldaten dagegen sind Helden im wahrsten Sinne des Wortes, da sie ein Vaterland verteidigt haben, das angegriffen wurde... — In der Politik ist die SED — sie allein hat Anspruch darauf — maßgebend. Die anderen Parteien haben der SED zu folgen. Jeder Lehrer muß in erster Linie Funktionär der SED sein. Ein politisch aktiver Neulehrer ist von größerem Wert als ein alter Lehrer, so gut dieser als Pädagoge sein mag.“ Für Lehrer gibt es drei Gehaltsgruppen: Gruppe I für Lehrer schlechthin, Gruppe II für politisch aktive und Gruppe III für politisch besonders aktive Lehrer. — In den Richtlinien wird weiter betont: „Es ist Unsinn, von Freiheit zu sprechen. Niemand ist frei, denn jedermann hängt von seinen Bedürfnissen, seiner Umgebung und den Verhaltnissen ab, in denen er lebt.“ Der geheime Befehl verbietet schließlich den Religionsunterricht in den Schulen. — Die Richtlinien haben den Vorzug, durchaus eindeutig zu sein und jede Illusion darüber zu zerstören, was aus der Schule des deutschen Ostens werden soll.

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