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Recht — Wirtschaft — Gesellschaft

19451960198020002020

Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft. Herausgegeben von der Görres-Gesellschaft. Sechste, völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Dritter Band. „Erbschaftssteuer bis Harzburger Front.“ Vierter Band. „Hauriou bis Konsum.“ lag Herder, Freiburg (i. Br.) 1959 (4 +) 1232; (4 +) 1248 Seiten.

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Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft. Herausgegeben von der Görres-Gesellschaft. Sechste, völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Dritter Band. „Erbschaftssteuer bis Harzburger Front.“ Vierter Band. „Hauriou bis Konsum.“ lag Herder, Freiburg (i. Br.) 1959 (4 +) 1232; (4 +) 1248 Seiten.

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Für die Gesamtleistung, die von der meisterhaften Leitung und von den Mitarbeitern dieses großartigen Standardwerkes geliefert wird, ist kein Wort des Lobes übertrieben. Es läßt sich einfach keine bessere Erfüllung einer gewaltigen, heiklen und schwierigen Aufgabe denken, als das, was hier, wohldurchdacht, wohlvorbereitet und glänzend durchgeführt vorliegt. Planung, Redaktion, Auswahl der Mitwirkenden, der dieses Handbuch durchziehende Geist — zugleich fester weltanschaulicher Standort und scheuklappenfreie Unbefangenheit —, Zubilligen des den einzelnen Schlagworten angewiesenen Raumes, alles das fordert Anerkennung und Beifall. Fügen wir noch hinzu, daß die typographische Ausstattung vorbildlich ist, und daß sehr viele der Artikel auch in ihrer literarischen Form hohes Niveau erreichen, daß sie dem Leser nicht nur gehaltige Darstellung, sondern auch einen Genuß bieten, indem sie jedem Gedanken den adäquaten Ausdruck verleihen.

Diese allgemeinen Sätze seien einer, notwendigerweise zusammengedrängten, Besprechung vorausgeschickt, in der ich, trotz allem, den Ergänzungen und stichprobenweisen Vorbehalten Raum widmen muß, neben der an sich weitaus überwiegenden Zustimmung. Mit ihr sei begonnen. Da sind zunächst die Artikel über katholische Kirche, katholische Soziallehre, Kirche und Staat, kleine Monographien, in denen sich die Verfasser — an ihrer Spitze so ausgezeichnete Sachkenner, wie PP. Karl R a h n e r und Gustav Gundlach SJ. — überzeugend bewähren. Gundlach, Götz Briefs, Wie-gand Siebel und Clemens Bauer sind die Autoren der nicht minder blendenden Schilderung der „Gesellschaft“. Hervorragendes verkörpern ferner, unter anderen, die Artikel „Europa“ (samt den folgenden über gemeineuropäische Institutionen, 80 Spalten!), Gemeinde, Genossenschaften, Gemeinwirtschaft (beide von P. v. N e 11 - B r e u n i n g), Gemeinschaft, Gemeinwohl (von P. Gundlach), Film (fünf Autoren), Handel, Kapitalismus (C1 e-mens Bauer), industrielle Gesellschaft. Ein Sonderlob erheischen zwei Abschnitte, deren Erörterung in einem katholischen Werk die größte Umsicht und Einsicht erfordert. Das, was über die evangelische Kirche, ihre Organisation, ihre Soziallehren, ihr Recht usw. zu finden ist, wird bei keinem Protestanten Anstoß und sollte aufrichtige Freude wecken. Geradezu mit Liebe und mit schöner Einfühlung i zeichnet P. Felix P a r e j a SJ. ein Gesamtbild des Islams. (Unterstreichen wir dabei die, im deutschen Sprachraum so seltene, richtige Transkription der Namen und den weiten Horizont des vorzüglichen Literaturverzeichnisses.) Verstehendes Mitempfinden widmet auch Karl Thieme seinem Darstellungsobjekt, den Juden. Schade, daß seinem Aufriß ein recht unbefriedigender Anhang über die „gegenwärtige Lage der Juden“ und eine schlecht ausgewählte Bibliographie angereiht wurden. Zu den Prunkstücken des Staatslexikons rechnen wir die Darlegungen über Freiheit (von Max Müller und P. Hirschmann SJ.), von Dietrich Oberndörfer zum Generationsproblem, von Willy Geiger über Gerechtigkeit, von Ernst Topisch über Ideologie, aber auch Kleinkunstwerke, wie den gemütsinnigen und geistreichen Artikel Oskar Köhlers über den Heimatbegriff.

Begrüßen wir die ausgezeichneten Beiträge von Forschern, die ein mehr oder minder ausgedehntes Spezialgebiet vollkommen beherrschen und es, aus dem Vollen schöpfend, dem Wissensbegierigen zugänglich machen. Ich nenne zum Beispiel C o n s t a n-t in v. D ie t z e für die Landwirtschaft, den Freiherrn Fr. von der Heydte für internationale Fragen, Otmar Emminger für deren wirtschaftliche Aspekte. Konrad Algermissen für Sekten, Karl Buchheim für neueste deutsche Geschichte. Sehr dankenswert ist das Streben der Herausgeber, für manche Stichworte den jeweils berufensten Sonderkenner heranzuziehen, er mag weltanschaulich mit ihnen übereinstimmen, wie Schöningh (für das „Hochland“), Hermann Muckermann (Eugenik), G ö r g e n (der aber bei vielen deutschen Katholiken nicht gerade im Geruch der politischen Heiligkeit steht, für Con-stantin Frantz), oder nicht, so B e n no Reifenberg (Frankfurter Zeitung), Ferdinand Friedens bürg (das Gold und dessen Bedeutung).

Die Weitherzigkeit des Staatslexikons gelangt vordringlich in den Länderartikeln zum Ausdruck, wo nach Möglichkeit Angehörige des einzelnen Staates eingeschaltet wurden.

Unter den Biographien steht die Hegels dem Umfang nach — 24 Spalten — so sehr voran, daß der Leser einige Bedenken kaum unterdrücken kann. Ist die, fast immer aufs beste gewahrte Proportion in einem Staatslexikon gewahrt, wenn dem einen Denker, und wäre er der gemeinsame unnatürliche Vater des Nazismus und des Kommunismus, rund zehnmal soviel Platz vergönnt wird als dem kaum minder gewichtigen Hugo Grotius oder dem gewaltigen Hobbes, wenn Herder eineinhalb Spalten, Wilhelm v.' “femboldt nfcht einmal das zur Verfügung bekommen? Es wäre mit den zehn Spalten Genüge getan gewesen, die Immanuel Kant betreffen. Übrigens sind beide den großen Philosophen geweihten Abhandlungen (denn als das müssen diese Darstellungen bezeichnet werden) von untadeliger Allseitigkeit und KJarheit. Aber eilen wir zur Kritik, die ich eingangs dieser Anzeige vorgemeldet habe. Beklagen wir zunächst die Abwesenheit folgender Personen, die meiner Ansicht nach eigene biographische Artikel samt Würdigung zu beanspruchen haben: Fichte, der britische Staatsmann und Gegenspieler Pitts Fox, Generalissimus Franco und sein System, Benjamin Franklin, Kaiser Friedrich II. (von Hohenstaufen), Friedrich der Große von Preußen, Gambetta, Garibaldi, de Gaulle (sein Fehlen ist unbegreiflich und unentschuldbar), Gentz, Gladstone, der geniale Soziologe Gumplo-wicz, Hammurabi, der Vater der Geopolitik Haus-hofer, der Zeitungskönig Hearst, Heinrich IV. von Frankreich (schon im Hinblick auf seine Europapläne), Theodor Herzl, Exbundespräsident Heuss, Himmler, Ho Tschi-minh, Hoover, der schweizerische große lurist Max Huber, Jan Hus (seine Abwesenheit ist ebenso tadelnswert wie die de Gaulles) und die Hussiten, Ibn Saud, Iwan der Schreckliche, lustinian (dritter der großen Abwesenden), Karl der Große (doch der vierte folgt sogleich) Karl VI. (der fünfte Streich), Karl V. (der sechste Streich), Katharina II., Kelsen (der als Staatsrechtstheoretiker wenige seinesgleichen hat), Komensky (dieses ist der siebente und letzte Streich, zu Unrecht Gestrichene), dem wir noch schnell Kaiser Konstantin, den Schöpfer des christlichen Staates anfügen wollen.

Stichworte, die wir des weiteren vermissen: Familie, Familienkunde, Familienpolitik, Familien-recht (über diese Lücken kräftiges Schütteln des Kopfes), Friedensbewegung und Friedensrat, Fürst, Fürstenrecht, Hakatisten, Heraldik, Herzog, Holding, Immunität, Indigenat, Indianer, Inquisition, Internationale Atomenergieorganisation, Investitur, Isolationismus, lansenismus, lerusalem, Johanniter, Kaiser, Kalif, Kanton (in (Jer Schweiz und in Frankreich), Karthago, Kaschmir(streit), Kathedersozialismus, Kelloggpakt, Kolchosen, Konföderation, Konsul. Mit diesem kleinen Katalog möchte ich meine Beckmesserstichproben beenden und auf die, bei einem so gigantischen Werk stets unvermeidbaren Einzelberichtigungen verzichten. '

Nur auf einen Gegeneinwand, den ich seitens der geschätzten Herausgeber zu erwarten habe, sei noch geantwortet. Sie werden, von ihrem Standort aus mit Recht sagen, daß es ihnen an Platz mangelt, daß sie ohnehin einen verzweifelten Kampf gegen die sich häufende Stoffülle und die um ihre Artikel bekümmerten, grausamen Kürzungen unterworfenen Autoren zu bestehen haben. Dawider habe ich nur ein Argument: Das einmalige, unübertreffliche Gesamtwerk hätte eben um etwa zwei Bände mehr umfassen sollen. Freuen wir uns dennoch, daß wir auf dem zur Verfügung stehenden Raum so Kostbares, so Gediegenes und so Vielseitiges empfangen. Und gestehen wir sehr gerne, daß das Vorhandensein der hier beispielsweise aufgezeigten Lücken gemessen an der; ,G;es,smt]eistyn£>yn£e;.rä£lj$-lich bleibt. Mit Spannung, Zuversicht und Vergnügen sehen wir den ferneren Bänden des Staatslexikons entgegen.

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