Reden in drei Dimensionen

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"Die Gebärdensprache ist meine Muttersprache - nicht nur, weil sie die Sprache meiner Mutter war." Brigitta Mikulasek, bekannt als dolmetschende Dame im Hintergrund der sonntäglichen ORF-Wochenschau, ist hörend - und Tochter gehörloser Eltern. Als eine von bundesweit 48 geprüften Gebärdensprachdolmetschern (44 davon Frauen!) kennt sie beide Welten: die der Laute und jene der Gebärden. Eine Perspektive, die den rund 10.000 Gehörlosen und 500.000 Hörbehinderten in Österreich verwehrt ist - mit schwerwiegenden Folgen, weiß Mikulasek: "Gehörlose lernen die Gebärdensprache durch learning by doing. Weil ihnen die Grammatik der Gebärdensprache nicht bewusst ist, sind sie oft in keiner Sprache sattelfest. Deshalb können viele auch die Schriftsprache nicht sinnerfassend lesen."

Beste Voraussetzung wäre deshalb eine bilinguale Erziehung in Schrift- und Gebärdensprache, wie sie bereits in einer Volksschule im 22. Wiener Gemeindebezirk geboten wird. Mit Erfolg, weiß Mikulasek: "Während den gehörlosen Kindern die Sprachstruktur bewusster wird, lernen die hörenden Kinder eine Fremdsprache." Mit Hilfe von Mundbild, Mimik und Gebärde teilen sie einander mit. Handform (etwa die "Ypsilon-Hand"), Handstellung, Bewegung und Ausführungsstelle der Hände (vor der Brust oder an der Schulter) präzisieren die Aussage.

Wie in allen Sprachen finden sich auch in der Gebärdensprache verschiedene nationale oder auch regionale Dialekte, also Gesten, die unterschiedlich gedeutet werden. "Eigentlich ist es eine schwierige Sprache, weil es viele Nuancen gibt - und noch wenige Lehrmittel", klagt Mikulasek, neben ihrer ORF-Tätigkeit auch Geschäftsführerin des Wiener Taubstummen-Fürsorgeverbands WITAF und Universitätsdozentin am Institut für Dolmetsch- und Übersetzerausbildung der Universität Graz. In Anfängerkursen über vier Semester bietet sie die Möglichkeit, diese Sprache des Körpers zu erlernen.

Gelten Gehörlose in vielen Ländern Europas und in den USA seit langem als eigenständige Minderheit mit spezifischer Sprache und Kultur, war die Gebärdensprache hierzulande fast 100 Jahre lang verboten. Lange Zeit bestand das Ziel darin, Hörbehinderten das Sprechen beizubringen. Erst seit wenigen Jahren habe sich die Situation gebessert, meint Mikulasek. "Offiziell anerkannt ist die Gebärdensprache aber bis heute nicht." DH Informationen über Gebärdensprachkurse bietet der Wiener Taubstummen-Fürsorgeverband unter (01) 214 58 74 oder www.witaf.at. Im Rahmen des "Europäischen Jahres der Sprachen" findet vom 30. März bis 7. April ein Gehörlosentheaterfestival statt. Infos unter (0699) 19 25 49 77 und www.arbos.at

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