Reform als Selbstzweck

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Ein zorniger Einwurf zur Misere der Bildungspolitik.

Dem österreichischen Bildungssystem geht es nicht gut. Unbestritten verschärften sich zumindest im letzten Jahrzehnt die Symptome einer veritablen Krise. Mit den enormen Herausforderungen war die jüngst aus dem Amt geschiedene Langzeitbildungsministerin Elisabeth Gehrer immer weniger zurande gekommen, zuletzt agierte sie überhaupt gänzlich glücklos.

Dabei hatte die Ministerin die permanente Reform des Bildungssystems ausgerufen. Kaum war ein Reformvorhaben angelaufen, folgte schon das nächste. Es kam enorme Reformhektik auf, so gut wie nichts konnte zu einem befriedigenden Abschluss gebracht werden, dafür wurden mitunter durchaus funktionierende Strukturen ruiniert. Die Ministerin führte unablässig Begriffe wie Evaluation, Deregulierung, Liberalisierung, Wissensmanagement, Qualitätssicherung, Bildungscluster, Exzellenz im Munde, die allesamt aus der Wirtschaftssprache entlehnt sind. Überhaupt richtete Gehrer ihr gesamtes (bildungs-) politisches Agieren - darin ganz der Generallinie ihrer Partei verpflichtet, die sich, um das Image der Verzopftheit abzustreifen, geradezu panisch auf Offenheit, Modernität, (Neo-)Liberalität etc. eingeschworen hatte - auf diese selbstimmunisierenden Modebegriffe aus. Alles im Bildungssektor sollte ausschließlich dem Effizienz-und Nützlichkeitsprinzip unterworfen werden.

Akademisches Proletariat

Den Universitäten verordnete Gehrer eine unproduktive, die materiellen wie mentalen Ressourcen des Universitätspersonals ungemein strapazierende Dauerreform. Die nationalen Universitäten sollten einer europäischen Uni-Architektur (Stichwort: Bologna-Prozess) angepasst und dementsprechend "internationalisiert" werden. Dies war mit einem Wahnsinnsaufwand verbunden, die vielbeschworene Qualitätssteigerung blieb jedoch aus. Neue Universitätstitulaturen wie Bachelor, Master wurden eingeführt - aber mit welchem qualitativen Gewinn? Mit Sicherheit aber ist mit diesem Bologna-Prozess eine Nivellierung der Standards und eine (nach US-Muster) deutlich utilitaristische Ausrichtung der Studiencurricula verbunden. Akademische Bildung wird in Zukunft, so wie es aussieht, bevorzugt berufsspezialisierte, rein funktionale Ausbildung sein. Im Auge hat man ein schnell, billig und nachgerade industriell ausgebildetes akademisches Proletariat, flexibel und kostengünstig einsetzbar, das zu kritischer Reflexivität gar nicht imstande sein soll. Verabschiedet werden so der zumindest 200 Jahre alte aufklärerische Bildungsbegriff und damit vor allem die hohe Idee von der emanzipatorischen, herrschaftskritischen, humanistisch-umfassenden Bildung des Menschen überhaupt.

Eine ebenso fatale Entwicklung hat das österreichische Schulwesen genommen. Auch dort folgte eine unausgegorene Reform nach der anderen. Gehrer veranlasste eine Oberstufen-, dann eine Maturareform, des Weiteren Unterrichtsstundenkürzungen, Lehrpläne wurden entrümpelt, wenig wirklich relevante Schulpakete geschnürt. Allerorten - in den erziehungswissenschaftlichen Instituten, in den umtriebigen schulischen Leitbild-, Steuerungs-oder Profilbildungsgruppen, unter desorientierten Schuldirektoren - wurde eine Clique von pseudomodernen Berufsreformierern tätig, die für die mit der schnöden Alltagspraxis konfrontierten Lehrer eine schwindelerregende Herausforderungslage schuf.

Anpassungsdruck

Unter der Situation an den Schulen leiden sowohl Lehrer als auch Schüler. Ersteren machen überfüllte Klassen, die wachsende Zahl verhaltensschwieriger, kaum zu integrierender Schüler sowie die (zudem oft unbezahlte) administrative und psychosoziale Mehrarbeit zu schaffen. Die Schüler wiederum, ohnehin von altersbedingten entwicklungspsychologischen Krisen gebeutelt, erleben gehörigen binnensozialen Stress mit viel Anpassungsdruck, zuweilen sogar mit massivem Mitschüler-Mobbing bzw. mit regelrechter Gewalt. Zudem erwartet sie - und das schwant den jungen Leuten durchaus - eine höchst ungewisse Zukunft: permanenter Konkurrenzdruck, kaum Beschäftigungsgewähr im Ausbildungsberuf, ständiger Flexibilitäts-und Mobilitätszwang, prekäre Arbeitsverhältnisse, ungesicherter Lebensabend etc.

Vor diesem Hintergrund war im vergangenen Wahlkampf "Bildung" ein zentrales Thema. Forderungen der Opposition waren die Abschaffung der Studiengebühren, die Einführung der Gesamtschule, Klassenschülerzahlsenkung, Ausbau der Ganztagsschulplätze, vorschulischer bzw. zusätzlicher Sprachunterricht für Migrationskinder, innere Differenzierung, individualisierter Förder-und Intensivunterricht, Rücknahme der Stundenkürzungen und dergleichen mehr. Was sich aber dann im Regierungsübereinkommen unter der Rubrik "Bildung, Wissenschaft" fand, war wenig mehr als Selbstverständlichkeiten, die schlichtweg zur weiteren Absicherung des Universitäts-und Schulbetriebs notwendig sind - und jede Menge bildungspolitische Phraseologie. Ihre Kernforderung nach Abschaffung der Studiengebühren mussten die Sozialdemokraten aufgeben; und auch bezüglich Gesamtschule war nur noch vom "Einstieg zum Umstieg" die Rede.

Upgegradete PädAks

Nun steht fest: Die Gesamtschulfrage ist in dieser Regierungskoalition vorerst vom Tisch. Die sofortige Einführung eines Gesamtschulsystems erschweren auch die divergierenden Gehaltsschemata und Dienstrechtssysteme für AHS-und Hauptschullehrer, ferner die unterschiedliche Ausbildung der Gymnasial-und Grundschullehrer. Die von der ÖVP zuletzt noch zu Pädagogischen Hochschulen upgegradeten bisherigen Pädagogischen Akademien, in denen auch weiterhin - getrennt von den Lehramtsstudenten für höhere Schulen - Pflichtschullehrer ausgebildet werden, erleichtert die Vereinheitlichung auch nicht gerade. Jene links-alternative Klientel, für die die Gesamtschule ein bildungs-und gesellschaftspolitisches Ziel darstellt, ist naturgemäß enttäuscht. Der realistische Rest weiß ohnehin, dass die alleinige Umstellung auf ein Gesamtschulsystem weder soziale Chancengleichheit sichert noch die automatische Qualitätsverbesserung des Schulwesens bedeutet, und kann, solange die notwendigen Begleitmaßnahmen nicht überlegt sind, mit dem derzeitigen Halbdilemma wohl weiterleben.

Überschätzte Gesamtschule

Zumal es die Gesamtschule in gewisser Weise ja schon gibt: Im (groß-)städtischen Umfeld schickt, wer nur immer kann, sein Kind ins Gymnasium - dementsprechend heterogen ist die Schülerzusammensetzung; die Hauptschule ist dort mittlerweile in der Tat die Restschule fürs Immigranten-sowie einheimische subproletarische Milieu. In vielen ländlichen Regionen haben umgekehrt die Hauptschulen eine äußerst heterogene Schülerschaft - vom Hochbegabten bis zum Semi-und auch Vollanalphabeten; einfach weil viele Eltern ihren Kindern die tägliche Pendlerei in den nächsten AHS-Standort nicht zumuten wollen. Insofern wird das Gesamtschulthema in seiner Bedeutung deutlich überschätzt. Ländliche Hauptschulen, die ein funktionierendes differenziertes Leistungsgruppensystem umsetzen, halten problemlos mit großstädtischen gymnasialen Standards mit, wenn sie diese nicht sogar übertreffen.

Die Abschaffung der Studiengebühren war eine Fahnenforderung der SPÖ und daher von höchstem Symbolwert. Dass Gusenbauer davon abgerückt ist, hat seine Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung, egal wie diese zu den Studiengebühren steht, außerordentlich beeinträchtigt. Seine Rechtfertigung sowie das Angebot, die Gebühr mittels diverser Sozialdienste abzuarbeiten, wurden zu Recht als blanker Hohn empfunden. Gleichwohl - und das ist bedauerlich - lenken die Studiengebührenproteste von den vielen anderen Problemen auf den Universitäten, im Bildungssektor insgesamt ab. Die Misere dort wird, da das groß versprochene Bildungsprojekt dem großkoalitionären Zwangsvergleich zum Opfer fiel, fortdauern. Für die nächste Zeit ist wohl kein Ende der krisenhaften Situation am Wissenschafts-und Schulsektor abzusehen.

Der Autor ist AHS-Lehrer für Deutsch und Geschichte in Graz, Lehrbeauftragter am Institut für Germanistik und Mitglied der parteiunabhängigen steirischen Lehrerinitiative (Steli).

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