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Reform ins Blitzblaue?

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Deniokratierei'orm ist ein Modeartikel geworden. Seit die Studenten das politische System der westlichen Demokratien dahin kritisiert haben, daß es nur die formalen Kriterien einer demokratischen Gesellschaftsordnung erfüllt, seinem Wesen nach aber autoritär ist, wurde die Unterhaltung über die Reform über den Kreis von Liebhabern hinausgetragen. Seit Vizekanzler Dr. Hermann Withalm auf dem Bundesparteitag der ÖVP im Frühjahr dieses Jahres einige Vorschläge gemacht hat, wird die Öffentlichkeit durch einen Reigen von Änderungswünschen überrascht. Von der sozialistischen Seite haben die Abgeordneten Broda und Gratz eine Broschüre mit Überlegungen zur Wahl- und Parlamentsreform vorgelegt; nicht zuletzt hat Präsident Maleta in Her Schlußansprache der Frühjahrssession eine parlamentarische Kommission angekündigt.

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Deniokratierei'orm ist ein Modeartikel geworden. Seit die Studenten das politische System der westlichen Demokratien dahin kritisiert haben, daß es nur die formalen Kriterien einer demokratischen Gesellschaftsordnung erfüllt, seinem Wesen nach aber autoritär ist, wurde die Unterhaltung über die Reform über den Kreis von Liebhabern hinausgetragen. Seit Vizekanzler Dr. Hermann Withalm auf dem Bundesparteitag der ÖVP im Frühjahr dieses Jahres einige Vorschläge gemacht hat, wird die Öffentlichkeit durch einen Reigen von Änderungswünschen überrascht. Von der sozialistischen Seite haben die Abgeordneten Broda und Gratz eine Broschüre mit Überlegungen zur Wahl- und Parlamentsreform vorgelegt; nicht zuletzt hat Präsident Maleta in Her Schlußansprache der Frühjahrssession eine parlamentarische Kommission angekündigt.

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Trotzdem gerade führende Politiker Vorschläge zur Reform gemacht haben, zeigen sich nirgendwo Anzeichen dafür, daß man auch schon zu Maßnahmen greift. Auch das Versprechen, eine Kommission zur Beratung dieser Angelegenheiten einzusetzen, wird daran nichts ändern. Zu stark ist die Eigengesetzlichkeit jener Institutionen; die reformiert werden sollen. Man soll das Beharrungsvermögen nicht unterschätzen, das eine etablierte Einrichtung hat. Außerdem darf nicht vergessen werden, daß jene, die zur Reform aufrufen, das erste Ziel dieser Bemühungen wären. Es ist durchaus verständlich, daß aus diesem Grund auch von den Politikern immer wieder nur die Einrichtungen der Demokratie genannt werden, nicht aber die handelnden Personen. Man hat den sozialistischen Vorschlägen 7.u Recht den Vorwurf gemacht, nur „Symptomkur“ zu sein, nicht aber das Problem im Kern zu treffen. So

stehen wir vor der Situation, daß die auf Grund unseres gegenwärtigen demokratischen Systems Mächtigen, nicht bereit sein werden, Reformen durchzuführen, jene aber, die den Wunsch nach Veränderung haben, dazu nicht In der Lage sind. Wenn man die Möglichkeiten der Reform überprüft, sieht man daran schon ihre Grenzen. Die Festlegung auf das Repräsentativsystem im Wege des Parlaments läßt nur Verbesserungen im Mechanismus zu, die sicher der Effektivität zugute kommen, aber das Transparenzproblem nicht lösen. Auch wenn Entscheidungen schneller zustande kommen, wird doch der Staatsbürger nicht erkennen, auf welche Weise sie entstanden sind. Wenn man der Kandidatenauslese mehr Augenmerk zuwendet, wird doch nicht zu verhindern sein,. daß politische Lobbys direkten Einfluß auf Gesetzgebung und Verwaltung nehmen. Wenn man auch generell eine Verwaltungs-

reform verlangt und daran denkt, die elektronische Datenverarbeitung dabei zu berücksichtigen, werden gerade Broda und Gratz an den Einsprüchen der Gewerkschaft, die immer wieder Rationalisierungsschutz-r abkommen verlangen, scheitern. Längst haben alle eingesehen, daß eine Verwaltungsreform unumgänglich notwendig ist, um die Entfremdung des Staatsbürgers gegenüber seinen von ihm geschaffenen Einrichtungen nicht noch voranzutreiben, das politische Gewicht von 300.000 Beamten und die Trägheit eine9 Apparates werden doch stärker sein. Jeder wird die von ihm erzielten Vorrechte verteidigen, wie schließlich auch die Abgeordneten ihre Privilegien erhalten wollen. Damit sind sie aber nur ein Abbild des Staatsbürgers, der genauso ängstlich über seine Privilegien wacht und ebensowenig bereit ist, sie abzugeben. ■

Wer also in Hinkunft zur Demokratiereform das Wort ergreift, wird vorsichtig sein müssen. Es werden Erwartungen erweckt, deren Erfüllung in der nächsten Zeit kaum möglich ist. Es wird Material zur Demokratiekritik gesammelt, die durchaus in der Lage ist, das System selbst in Frage zu stellen. Trotz einer scheinbar gesicherten Demokratie der westlichen Welt ist doch jederzeit die Chance da, daß auf dem Boden des latenten Unbehagens ein neuer Messianismus Fuß faßt. Es geht daher die Aufforderung an alle, besonnen vorzugehen und den vielen Worten auch manche Taten folgen zu lassen. Der Österreich bevorstehende Wahlkampf enthält vor allem die Chance, die Distanz zwischen dem Politiker und dem Staatsbürger zu verringern. Mit Recht wird von einer Professtonali-sierung der Politik gesprochen; vielleicht kann man einen neuen Politikertyp präsentieren. Man muß dem Wähler wieder den Eindruck vermitteln, daß einer der ihren die Geschäfte der Gemeinschaft besorgt. Die Welle der Demokratiereform führt dazu, daß neue Kräfte In die Politik eintreten, deren Ziele und Methoden man noch nicht kennt. Die Vorsänge an den Hochschulen, sowenig sie in Österreich zu Zusammenstößen geführt haben, haben das Bewußtsein der Studenten verändert. Eine nicht zu unterschätzende Minderheit hat Reformmaßnahmen erreicht, von denen die Generation vor ihnen nicht zu träumen wagte. Die Gesellschaft hat so selbstverständlich darauf reagiert, wie sie auch auf die Reformbestre-bungen reagieren wird. Dadurch werden aber auch neue Ideen und Kräfte mächtig, die gesellschaftspolitische Vorstellungen außerhalb des Ideenguts der Demokratie haben. Die Parteien waren seit 1945 in der Lage, allen neu auftretenden Gedanken gerecht zu werden. Ob sie auch diesmal die Dimension haben, Vorstellungen der Gesellschaftsreform zu verarbeiten und einen politischen Konsens herbeizuführen? Viele dieser Gedanken haben eine Dynamik, die das Gedankengut unserer traditionellen Großoarteien längst nicht mehr erreicht. Ob Partei und Politiker nicht dazu berufen sind, rechtzeitig sich mit der Gegn erkunde der Demokratie zu befassen?

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