7109607-1995_45_20.jpg
Digital In Arbeit

Reich und arbeitslos durch wertlose Ressourcen

Werbung
Werbung
Werbung

Die nicht erneuerbaren Ressourcen sind wertlos. Ihre Gewinnung verursacht zwar Kosten und beschert Gewinne, sie selbst haben aber weder einen Tausch- noch einen Gebrauchs-, sondern überhaupt keinen Wert. Dies ist die aufregend aktuelle Kernaussage der Wertlehre Carl Mengers, der die neoklassische Österreichische Schule der Nationalökonomie begründete. Ihr letzter Großer, der 1974 mit dem Nobelpreis ausgezeichnete, 1992 im Alter von 92 Jahren verstorbene Friedrich August von Hayek, stellte mit seiner marktwirtschaftlichen Radikalität selbst Milton Friedman in den Schatten. Er zählte, neben Friedman, zu den wissenschaftlichen Gurus Ronald Reagans und - wie auch an mehreren Stellen ihres jüngsten Buches „Die Erinnerungen” (FURCHE 36/1995) nachzulesen - Margaret Thatchers, aber auch vieler Wirtschaftspolitiker im ehemaligen Ostblock.

Die erste Publikation des 1993 in Wien gegründeten „Internationalen Instituts Österreichische Schule der Nationalökonomie” (IIAE) bietet Gelegenheit, sich mit Menger1 zu befassen: „Texte-Band 1 - Von Menger bis Mises”. Darin findet sich unter anderem das „Die Lehre vom Werthe” benannte Kapitel aus Carl Mengers 1871 erschienenem ersten Buch, „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre”. Mengers Wertlehre zählt zum Fundament des neoklassischen Denkens, das auf der Theorie des subjektiven Wertes und dem Grenznutzenprinzip aufbaut. Hayek trieb es, etwa mit der Forderung, das staatliche Währungsmonopol durch konkurrierende private Geldsysteme zu ersetzen, ins fundamentalistische Extrem. Menger läßt als Maß für den Wert eines Gutes ausschließlich dessen Bedeutung für die Befriedigung subjektiver Bedürfnisse gelten: „Der Wert ist... nichts den Gütern Anhaftendes, keine Eigenschaft derselben, ebensowenig aber auch ein selbständiges, für sich bestehendes Ding. Derselbe ist ein Urteil, welches die wirtschaftenden Menschen über die Bedeutung der in ihrer Verfügung stehenden Güter für die Aufrechterhaltung ihres Lebens und ihrer Wohlfahrt fällen, und demnach außerhalb des Bewußtseins derselben nicht vorhanden.”

Solange der Bedarf an einem Gut geringer ist als die verfügbare Quantität, sei dieses Gut, so Menger, ein nichtökonomisches, weshalb „konkrete Quantitäten der im obigen Verhältnis stehenden, das ist der nichtökonomischen Güter, auch keinen Wert für uns haben.”

Er exemplifizierte seine Wertlehre gerne anhand exotischer Beispiele, etwa dem eines Urwaldbewohners, „der sich in der Befriedigung seiner Bedürfnisse keineswegs geschädigt erachten” werde, sollten durch einen

Waldbrand tausend seiner Baumstämme zugrunde gehen, „insolange er eben mit dem Rest derselben seine Bedürfnisse so vollständig wie früher zu befriedigen in der Lage” sei. Von der Verfügung über einen einzelnen Baumstamm hänge „die Befriedigung keines seiner Bedürfnisse ab, und hat ein solcher für ihn deshalb auch keinen Wert.”

Steht der Urwaldbewohner für die Gesamtheit der wirtschaftenden Subjekte und der Urwald für die Gesamtheit der Ressourcen, gewinnt das Exempel bestürzende Aktualität. Da es im Urwald mehr Bäume gibt, als der Bewohner braucht, hat kein einzelner Baum einen Wert. Daher hat auch der kleine Unterschied, ob noch Erdöl für 30 oder 300 Jahre vorhanden ist, auf den Wert eines Barrels Rohöl keinen Einfluß, solange überhaupt noch Erdöl aus den Bohrlöchern kommt.

Menger goß dies in die Gesetzmäßigkeit einer Wertlehre, statt es zu problematisieren. Ihm daraus einen Vorwurf zu machen, hieße, jenen für einen Sachverhalt verantwortlich zu machen, der ihn beschreibt. Tatsächlich ist es von hier nur ein Schritt zur Erkennntis, daß die Marktmechanismen nicht in der Lage sind, etwa den Unterschied, daß das Wasser eines Flusses nicht für spätere Zeiten verlorengeht, wenri es in Kraftwerken genutzt wird, verbranntes Erdöl aber sehr wohl, in den Gestehungskosten einer Kilowattstunde elektrischer Energie zu berücksichtigen.

In den seither verflossenen einein-viertel Jahrhunderten wäre für ein solches Weiterdenken hinreichend Zeit und Gelegenheit gewesen. Daß trotzdem die neoklassische Theorie mit der Forderung nach einer Energieabgabe sowenig anzufangen weiß wie jene einflußreiche Richtung der neoliberalen Theorie, die Milton Friedman in extremis repräsentiert, und daß das deutsche ordoliberale Denken politisch produktiver wurde als das neoklassische, hat wohl auch mit der Intensität zu tun, mit der sich gerade die Österreichische Schule der Nationalökonomie im großen ideologischen Konflikt dieser eineinviertel Jahrhunderte engagierte.

Mengers Lehre vom Wert steht im engen Zusammenhang mit seiner Lehre vom Wesen der Güter, und die These, daß „somit die auf Herstellung eines Gutes verwandten Quantitäten von Arbeit oder von sonstigen Produktionsmitteln nicht das maßgebende Moment seines Wertes sein” können, hatte 1871 gewiß keine von der Politik abgehobene, rein theoretische Bedeutung. Karl Marx zu widerlegen, war von Anfang an ein wichtiges Anliegen der Österreichischen Schule.

Mengers Wertlehre bildet aber in einem Teilbereich, nämlich als Werttheorie der nicht erneuerbaren Ressourcen, wenn auch mit stark apologetischem Grundton, heute besser denn je die Wirklichkeit ab. Falls Mengers gedachter Urwaldbewohner Hilfskräfte zum Fällen der von ihm benötigten Baumstämme benötigt, geht, gemeinsam mit den Äxten, ihr Lohn in den Wert (besser: Preis -Mengers Definition des Wertes läßt den Unterschied zwischen Wert und Preis fast völlig verschwinden) der ge -fällten Stämme ein. Dasselbe gilt für den Gewinn, den er erzielt, wenn er einem anderen Urwaldbewohner Holz verkauft, für den Gewinn des Herstellers der Äxte und so fort. Bloß der Baumstamm selbst hat keinen Wert.

Für den Baumstamm gilt dies (wegen der Waldbewirtschaftung) nur unter Krampf, umso mehr gilt es für die Behandlung der nicht erneuerbaren Ressourcen: Ihre Förderung ist mit Kosten und Gewinnen verbunden, sie selbst stellen infolge ihrer den Bedarf übersteigenden Quantität nichtökonomische Güter dar und haben „demnach nicht nur, wie dies bisher angenommen wurde, keinen Tauschwert, sondern überhaupt keinen Wert, und somit auch keinen Gebrauchswert” und genauso gehen wir mit ihnen um. Dabei wird es auch bleiben, solange ihr Wert ausschließlich dem „Urteil, welches die wirtschaftenden Menschen über die Bedeutung der in ihrer Verfügung stehenden Güter ... fällen”, sprich: der Marktkräfte, unterliegt.

David Ricardo ersetzte bereits 1817 die Vorstellung von endlichen Ressourcen durch das dynamische Modell steigender Ressourcenpreise, die auf steigende Gewinnungskosten reagieren. Der jeweilige Bedarf an einem Rohstoff ist also technisch immer schwerer zu fördern, die noch vorhandene Gesamtmenge übersteigt aber stets den Bedarf, so daß sie nie den Status eines ökonomischen Gutes gewinnen kann. Der steigende technische Aufwand bedeutet aber auch mehr Energieverbrauch, mehr co2-AUS-stoß und mehr Umweltverbrauch, also steigende ökologische Kosten. Diese ökologische Verteuerung öffnet die Schere zwischen umweltverträglichem und tatsächlichem Energieverbrauch noch weiter. Der ökologische Verteuerungsprozeß ist tendenziell irreversibel. Technische Fortschritte mögen ihn zeitweise kompensieren, wären aber auch bei sparsamerem Umgang zum Tragen gekommen.

Daraus ergibt sich, daß die Marktmechanismen weder in der Lage sind, die Bedeutung nicht erneuerbarer Ressourcen für künftige Generationen zu berücksichtigen, noch auf deren steigenden ökologischen Preis zu reagieren. Beiden Faktoren kann nur durch Vorgaben von außen Bechnung getragen werden. Die Energieabgabe wäre eine solche.

Die Ressourcen selbst mögen, nach Menger, auch in tausend Jahren keinen Wert haben. Der Mehraufwand, der durch den Verbrauch günstigerer Lagerstätten beim späteren Abbau weniger günstiger entsteht, stellt aber sehr wohl einen Wert dar, für den unsere Nachkommen aufzukommen haben. Dieser Wert löst sich keineswegs in Nichts auf, sondern wird in der Gegenwart konsumiert. Er wird als Zuwachs an Produktivität wirksam, kommt also dem Rationalisierungsprozeß zugute, denn Rationalisieren heißt, „teure” menschliche Arbeit durch „billige” Energie zu ersetzen. Die Energiequellen, die wir auf Kosten unserer Nachkommen verschleudern, machen uns also einerseits reicher, andererseits aber arbeitslos.

Durch den Raubbau an den Ressourcen sind wir daher mit genau dem Problem konfrontiert, das Menger mit einer kühnen semantischen Volte wegzauberte - dem Phänomen des evidenten, aber nicht quantifizierbaren Wertes. Mengers Lehre, daß Wert ausschließlich „nicht nur seinem Wesen, sondern auch seinem Maße nach subjektiver Natur” ist und daß jede Einheit eines Gutes, dessen Gesamtmenge den Bedarf übersteigt, jeglichen Wertes entbehrt, bietet keine Handhabe, den Baubbau zu bremsen.

Mengers „Lehre vom Werthe” konfrontiert uns aber gerade durch ihre Apodiktik und Radikalität mit der unverschleierten Realität unseres derzeitigen Wirtschaftens. Der schwierige Sachverhalt wurde übrigens bereits 1847 von einem anderen genialen Österreicher auf den Punkt gebracht: „Was hat denn die Nachwelt für mich getan? Nichts! Gut, das nämliche tu' ich für sie!” (Johann Nestroy, „Der Schützling”).

„Texte-Band 1” ist eine gute Einführung in das Denken der ersten Generationen österreichischer Neoklas-siker. Die positive Besonanz dieser Denkschule gerade in den USA ist ebensowenig ein Zufall wie die Kompatibilität der Ratschläge, welche der österreichische Neoklassiker Hayek und der amerikanische Neoliberale Friedman ihren Zauberlehrlingen bei der Einführung des Wildwest-Kapitalismus im neuen wilden Osten erteilten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung