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„Religiöse Kinder“ ohne Leben

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Niemand bezweifelt mehr, daß der Bildung auch im kirchlichen Bereich beziehungsweise im Hinblick auf die Katholiken entscheidende Bedeutung zukommt. Dies könnte mit Zitaten aus Protokollen und Diskussictaen vieler einschlägiger Tagungen, aus dem Forderungsprogramm österreichischer Katholikentage, aus Statuten und Richtlinien katholischer Organisationen und Institutionen und aus Reden und Hirtenschreiben der österreichischen Bischöfe reichlich belegt werden.

Bildung wird und wurde nicht nur, wie man vermuten könnte, im Sinne von „christlicher“ Bildung, das heißt Bildung zum Christen, verstandet, sondern in umfassender Weise als Bildung im Hinblick auf alle Bereiche des Lebens in der Welt heute. Dabei ergibt der christliche Standpunkt eine wichtige Ausgangsposition, aber Eigenwertigkeit und Eigengesetzlichkeit von Kultur und Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft sowie aller anderen Welt- und Lebensbereiche werden voll anerkannt. Es geht also nicht um eine „katholische“ Bildung für den innerkirchlichen Bereich, um eine Glaubensschule, um die Heranbildung vota Nachwuchs und Mitarbeitern der Kirche und katholischen Organisationen allein. Damit würden sich die Katholiken selbst in ein Bildungsghetto einschließen. Es geht immer auch um die Konfrontation von Kirche und Welt, Mensch und Glaube, Leben und christlicher Lehre.

Daß diese seit langem vertretenen Grundgedanken keine leeren Worte sind, beweist die Existenz eines leistungsfähigen, weitverzweigten katholischen Bilduhgswesens. Es reicht von der Filmerziehung bis zu theologischen Laienkursen, von Vorträgen bedeutender Wissenschaftler bis zu Glaubensseminaren in den Pfarren, von Lehrgängen über .moderne. Literatur bis zu Forums-, gesprächen über aktuelle Glaubensoder kirchliche Fragen, von. Schulungskursen katholischer Organisationen bis zu den verschiedenen Formen religiös-besinnlicher Tage, von Mütterkursen bis zu liturgischen und kirchenmusikalischen Lehrgängen, von Sportwochen für Priester bis zu Kursen - für Mesner, von Glaubensbriefen, die bereits an rund 100.000 Personen geschickt werden, bis zu sozialwissenschaftlichen Kursen, von Wochen und Seminaren der Bildungswerke und Bildungshäuser zu weltanschaulichen, historischen, pädagogischen Themen bis zu hochschulartigen Kursen von Akademien.

Konzil und Synoden

Mit dieser Aufzählung soll nur die Breite der Bilduigsbemühungen angedeutet werden. Immer wieder werden neue Initiativen gesetzt, neue Institutionen geschaffen. Bischöfe, Klerus, Träger von Bildungseinrichtungen und katholische Organisationen haben die Tatsache der Bildungsgesellschaft zur Kenntnis genommen und der Bildung einen vorderen Platz in ihren Programmen eingeräumt. Und doch gewinnt der aufmerksame Beobachter immer mehr den Eindruck, daß das katholische Bildu'agswesen nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit ist, den Anforderungen heute nur zum Teil gerecht wird und einer Reform beziehungsweise mancher Ergänzungen bedarf.

Die Diözesansynoden, die zur Zeit in Vorbereitung oder Durchführung sind, haben die Aufgabe, das Konzil in den kirchlichen Alltag der Pfarren, Dekanate und Diözesen, der einzelnen Christen und Vereinigungen umzusetzen. Dabei stellen sich zwei Grundtendenzen heraus, die für das Bildungswesen große Bedeutung haben:

• Der mündige Christ soll in die Lage versetzt werden, in seinem Leben und in der Welt, die von der Kirche weitgehend nicht mehr bestimmt werden können und wollen, „seinen Christen zu stellen“.

• In Hinkunft werden viele Gläubige in der Kirche Funktionen ausüben und Aufgaben zu übernehmen habe’n, die ihnen auf Grund des neuen Kirchenverständnisses zukommen, und dazu der notwendigen bildungsmäßigen Voraussetzungen bedürfen.

Die Träger der großen Bildungseinrichtungen überlegen sicher ständig, wie sie den stets größer werdenden und neuen Anforderungen gerecht werden können. Manchmal dringen ihre Beratungsergebnisse als mahnende Appelle wenigstens an die kirchliche Öffentlichkeit. Entscheidende Erfolge werden sich aber erst einstellen, wenn die Bildungsbestrebungen auf möglichst breiter Basis verwirklicht und grundlegende Fehler behoben werden, die sich eingeschlichen haben oder von Anfang an vorhanden waren. Daraus ergeben sich Aspekte für eine Reform des katholischen Bildungswesens. Nur einige, besonders auffällige, die vor allem für die Erzdiözese Wien gelten, seien angeführt.

Bildungsplanung

Wenn auch noch nicht abzusehefi ist, wie die konkreten Ausformungen der angeführten Tendenzen der Synoden aussehen werden, läßt sich doch mit Sicherheit sagen, daß Bildungsinhalte und Ausbildungsmethoden davon betroffen sein werden. Der Christ braucht ein vertieftes Glaubenswissen, das Antworten auf Zeit- und Lebensprobleme beinhaltet. Ei muß sich aber auch im eigentlich religiösen und kirchlichen Bereich, zurr Beispiel im liturgischen, biblischen gut ausketanen, da er lebendig mitfeiern, mitvollziehen soll, in Familie und Umwelt das Christentum zumindest vorzuleben hat. Dazu bedarf ei der Grundhaltung der Liebe und dei missionarischen Gesinnung, abei ebenso der Kenntnis der verschiedenen menschlichen Bereiche. Jedei Mitarbeiter wird sich darüber hinaus für sein apostolisches Betätigungsfeld Spezialkenntnisse aneignen müssen.

Schon aus diesen wenigen Bemerkungen wird klar, daß der Bildungsvorgang ein möglichst großes Ma£ an Verbindlichkeit und Tiefganį erreichen muß. Aufbauend auf Informations- und Vortragsvorgänge, übe: Diskussionen und Gesprächskreisi wird man immer wieder zu dei intensiven Formen von Seminaren Kursen, Akademien kommen müssen, die Vortrag, Diskussion, Vertiefung durch Lektüre und Arbeits kreise vorsehen. Das alles gibt es bereits, aber es müßte in einem Bildungsplan, den neuen Aufgaben und Anforderungen entsprechend, niedergelegt werden, damit es allen Einrichtungen verfügbar wird.

Immer wieder ist auch zu bedenken, welcher Personenkreis anzusprechen ist, welches Ziel erreicht werden soll, welche Mittel zur Verfügung stehen. Mit einer einzigen Fernsehdiskussion werden mehr Menschen angesprochen und vor allem mehr der Kirche Fernstehende als durch hunderte Forumsdiskussio- nien in Pfarren. Mit wenigen gut gestalteten, inhaltsreichen Presseorganen wird eine bessere Wirkung erzielt als durch huhderte katholische Blättchen-, von denen keines die Kraft hat, sich zu einem Blatt, geschweige denn zu einer Zeitung oder Zeitschrift zu -entfalten.

Eingangs konnte darauf hingewie sen werden, daß das katholische Bildungswesen eine große Vielfalt besitzt. Dadurch ist es geradezu unüberblickbar geworden. Das hat zwar den großen Vorteil, daß für alle Anliegen gesorgt ist und der Pluralismus zu seinem Recht kommt. Allerdings fehlt dieser Vielfalt die notwendige Einheit beziehungsweise Koordinierung. Es gibt kein Gremium, in dem auch nur die großen Bildungseinrichtungen der Erzdiözese Wien das notwendige Gemeinsame wie Aufgabentieilung, Bildungspläne, Themenabsprachen, Terminkollisionen, Veröffentlichungen und anderes beraten könnten. Von einer Zusammenarbeit würden nicht nur die einzelnen Einrichtungen profitieren, sondern es könnte sich dadurch auch eine größere Gesam-twir- kung ergeben. Das Arbeitsfeld ist so groß, daß es länger nicht vertretbar ist, wenn jede Institution oder Vereinigung nur von sich aus agiert. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als ob es Mehrgeleisigkeiten gäbe, als ob der schon für einen Bildungsvorgang erfaßte Katholik mehrfach umworben wird.

Hier wäre eine „Flurbereinigung“ hi gemeinsamer Absprache von -großem Vorteil. Die laientheologischen Kurse sollten neben einer theologischen Grundausbildung auch manche praktische Disziplinen in Zusammenarbeit mit dafür zuständigen Stellen ins Programm einbauen, um die Voraussetzungen für die Übernahme von Diensten in Pfarren, Dekanaten und Zonen zu schaffen. Das Bildungswerk der Katholischen Aktion sollte vor allem für Pfarrgruppen, Dekanate und Zone»! Bilduhgswerke einrichten, die möglichst selbständig sein sollen. Die Wiener Katholische Akademie sollte sich die Frage stellen, ob der Vorlesungsbetrieb, der von der Hochschule übernommen wurde, für den modernen Menschen, der wenig Zeit hat, die richtige Form ist? Wer bindet sich auf Jahre für einen freiwilligen Bildungsvorgang? Sollte die Katholische Akademie nicht überhaupt einen Wandel durchmachen, indem sie sich hauptsächlich um eine Begegnung von Kirche und Welt, Theologie und übriger Wissen- schaft, bemüht und sich in Zusammenarbeit mit allen anderen Einrichtungen, vor allem aber mit den Organisationen und Bildungshäusern, der fundierten Aus- und Weiterbildung der führenden Mitarbeiterschichte widmet? Das Seelsorgeamt, die Katholische Aktion, die katholischen Verbände und alle anderen apostolischen Vereinigungen könnten einen Grundausbildungsplan erarbeiten und gemeinsam verwirklichen. Wieviel Geld, wie viele Referentei, wie viele Arbeitsvorgänge für Unterlagenerstellungen würde man sich dabei ersparen. Außerdem käme es zu einer echten Kommunikation der aktiven Katholiken. Häuser wie das Zentrum des Apostolats, das Jugendhaus Neu- waldegg, das Bildungshaus Lainz bieten die Voraussetzungen für gemeinsame Bildung, Begegnung und Beratung.

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