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„Religion“ in Schule und Pfarre

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Wenn man von Katechese spricht, versteht man darunter im allgemeinen die Unterweisung im Glauben. Anfangs waren es wohl zumeist interessierte, dann bereits gläubig gewordene Heiden, die das „Publikum“ der Apostel und ihrer Schüler bildeten. Später, in den ersten Jahrhunderten des Christentums solche, die aus ernsten Gründen von der Kirche die Taufe begehrten, immer natürlich Erwachsene. Diese Art der Erwachsenenkatechese erfuhr ihre grundlegende Wandlung dann, als man in der Hauptsache nicht mehr Erwachsene, sondern Kinder taufte. Durch lange Zeit blieb die Unterweisung der Kinder in den Grundlagen des Glaubens Sache der gläubigen Eltern und des Priesters auf der Kanzel, für den ja noch der tridenti-nische Katechismus bestimmt ist. Erst, als das Elternhaus immer mehr an Glaubenssubstanz verlor, begann sich die Kirche an die Kinder selbst zu wenden, bei uns in Oesterreich über die (staatliche) Schule. Soweit der Tatbestand, der ja genugsam bekannt ist. Immerhin scheint es geboten, einige Folgerungen herauszustellen, die sich aus dem geschichtlichen Gang ergeben haben.

1. Die österreichische Schule theresianisch-josefinistischer Prägung ist ihrem Geist nach primär daran interessiert, gute Staatsbürger heranzubilden; diesen Anspruch erhob sie auch gegenüber der Katechese. Aus der Einführung in die Mysterien des Christentums, in die „Rudimenta fidei“, wurde der Intention des „Dienstgebers“ gemäß ein besserer Ethikunterricht. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß gewissenhafte Priester diesem Trend immer entgegenarbeiteten. Auch im Bewußtsein des Volkes ist dieser säkularisierte „Religionsunterricht“ unterschwellig nichts mehr als Erziehung zum guten Leben — ,,das Kind braucht Religion“ — soll heißen Moral.

2. Aus der Verkündigung des Glaubens vor einem ernsten, zumeist bereits gläubigen Forum wurde die Katechese zum „Unterricht“ vor zunächst noch „braven“, nach dem ersten und vor allem nach dem zweiten Weltkrieg immer undisziplinierter werdenden Kindem, die man in erster Linie als Schüler, in zweiter Linie als (potentielle) Staatsbürger und erst in dritter Linie als gläubige Christen ins Auge faßte. Da das Milieu des Elternhauses zusehends religionsloser, um nicht zu sagen ungläubiger wurde, sank auch in demselben Maß die religiöse Auf-hahmebereitschaft im schulischen Religionsunterricht. Die Katechese wurde von der Unterweisung im Glauben bereits Praktizierender zur Überredungskunst, „doch in die Kirche zu gehen“ (im optimalen Fall), sonst eben zum „Unterricht“, wo ein „Fach“ einfach tradiert wird, ohne Rücksicht darauf, wie groß das Intetesse der Zuhörer sei (Normalfall). Damit war auch das fachliche Pathos des Religionslehrers entstanden, das ihn sich dem Typ des Schulmannes de facto oftmals mehr annähern ließ als dem Priester. Hinzu kam die Besoldung durch den Staat, die ihn dem Ethos nach als Diener des Staates legitimierte.

Aus dieser für Oesterreich typisch, nämlich ..friedlich“ und schleichend gewordenen Sachlage ergab sich. für die Verantwortlichen ein zweifaches Dilemma — ein seelsorgliches und ein methodisches.

Das seelsorgliche Dilemma.“ Auf der einen Seite hatte man in der Schule die „Masse“ der Jugend des Volkes vor sich, konnte sie, wenn auch mühsam, doch „irgendwie“ ansprechen und erwarten, daß „etwas hängenbleibt“. Man konnte diese Masse sogar - wenn auch nicht immer freiwillig — zur Messe und zu den Sakramenten führen. Man konnte Zahlen nennen, man konnte die geleistete Arbeit abschätzen und in etwa auch werten. — Auf der anderen Seite fehlte es nicht an Stimmen, die auf die Unzulänglichkeit der schulischen Katechese hinwiesen: Auf das selbst im besten Fall doch ziemlich niedrige Niveau, auf dem sich der Religionsunterricht halten mußte; auf den Mangel und die Unmöglichkeit der substantiellen Vertiefung derer, die dazu geeignet waren; auf das Fehlen der Apostolizität in der schulischen Katechese. Damit war aber bereits ein Weg beschritten, der von der unzulänglichen Schulkatechese weg zur genuinen Katechese führen sollte, zur Verkündung des Glaubens vor einem empfänglichen Zuhörerkreis. Als Ort dieser Katechese bot sich die Pfarre an; bald begann man, zunächst für die schulentwachsene Jugend als die am meisten gefährdete in Form von Jugendgruppen zu katechisieren. Durch die zeitbedingten Umstände nach der Okkupation fing sich diese Form der pfarrlichen Katechese auch auf die schulpflichtige Jugend zu erstrecken an, zunächst als Ersatz, nach dem Krieg als „Vertiefung“, heute als notwendige „Ergänzung“ des schulischen Religionsunterrichtes. — Als echtes Dilemma begann sich die Situation sehr bald dadurch auszuweisen, daß die zur Verfügung stehenden Kräfte für beide katechetischen Belange kaum auszureichen schienen und sich daher konsequent in zwei Lager spalteten, hier „Schule“, hier „Pfarre“. Vor allem die Seelsorger wiesen dabei auf die erschreckende Tatsache hin, daß trotz der hohen Zahl der Teilnehmer am schulischen Religionsunterricht nach dem Austritt aus der Schule nur ein verschwindend kleiner Teil der durch acht odcj| noch mehr Jahre vom Religionslehrer Betreuten dem kirchlichen Leben erhalten blieb. Dazu kam noch, so argumentierte man, die Tatsache, daß der Religionsunterricht in ein Lebensalter fällt, das nach dem Urteil der Psychologie gegenüber etwa dem Kleinkind- und dem Pubertätsalter für die Entwicklung der Menschen von untergeordneter Bedeutung ist.

Das methodische Dilemma. Aber auch das

Wie der Katechese wurde von der Situation her problematisch. Auf der einen Seite stand die Forderung des offiziellen Katechismus, der nach Form und Inhalt stark dem tridentinischen Katechismus verpflichtet, vom Katecheten verlangte, die Fülle des Glaubensgutes seinen Ka-techumenen zu vermitteln. Der zur Zeit verpflichtende Lehrplan für den Religionsunterricht verteilt nun diesen einigermaßen umfangreichen „Stoff“ derart auf die acht Jahre der Nörmalschule, daß in regelmäßiger Wiederkehr das gesamte Gebiet der Glaubens- und Sittenlehre durchgenommen, jedoch in aufsteigender Folge immer eingehender und genauer, wobei das schon früher Durchgenommene als bekannt vorausgesetzt wird (System der „konzentrischen Kreise“). — Auf der anderen Seite kann der Religionslehrer nicht umhin, auch die Situation zu berücksichtigen, in der seine Schüler sich befinden, sei es ihre intellektuelle, sei es ihre willensmäßige, ja er muß es tun, will er nicht völlig in seinen Bemühungen daneben geraten. Das methodische Dilemma ist nun deswegen echt, weil es in schwierigen Situationen schlechthin unmöglich ist, die „stoffliche“ mit der „erzieherischen“ Forderung zu vereinen. Dabei wird der Religionslehrer von dem Gedanken gequält, daß das große Maß an religiösem Wissen, das den Kindern heute in acht Jahren vermittel werden soll, nach dem tridentinischen Katechismus ein ganzes Leben der pfarrlichen Verkündigung, notwendig die Kinder und später Erwachsenen erfahrungsgemäß nicht davor bewahrt, in religiösen Dingen eine profunde Unwissenheit und Unbehaustheit an den Tag zu legen, einfachhin, weil ihre schulisch-religiöse Bildung außerdem weitgehend unorganisch, ungelebt war.

Auch in der pfarrlichen Katechese scheint sich ein methodisches Dilemma abzuzeichnen. Man will den Kindern und Jugendlichen in den Gruppen der Pfarre kafecbetisch das Vermitteiii, was die Schule nicht zuwege brachte. Das ergibt für den Seelsorger, denn in seiner Hand liegt zumeist diese Form der Katechese, ein gewaltiges Maß an Arbeitszeit und -kraft, die aber oftmals in kleinen und kleinsten Grüpp-chen verpufft, beziehungsweise in unernstes Treiben verläuft. Die andere Seite des Dilemmas, zu der wir damit gekommen sind, stellt sich für die pfarrliche Katechese an Kindern und Jugendlichen in der Form, daß der Seelsorger wegen der Belastung durch die Betreuung der „Gruppen“ kaum Zeit findet, den so überaus notwendigen Kontakt mit den Eltern der Kinder, mit der unbetreuten Jugend durch Hausbesuche und andere Mittel der Milieuseelsorge zu finden. Obendrein besteht sehr leicht die Gefahr des Gehetztseins, die ja bekanntlich der Tod jeder Tiefenwirkung ist. Mit anderen Worten: Soll die pfarrliche Katechese sich mir oder fast nur in der Form der „Gruppe“ (Seel-sorgestunde, Jungscharstunde, Gruppenstunde, Elternrunde) bewegen oder — und dieses Oder ist bei voller Aufrechterhaltung des Gruppen-„betriebes“ ein echtes Oder! — soll die Katechese auf Kosten der Gruppen eine offenere, beweglichere Form annehmen?

Die innere Bewältigung der angeführten Dilemmas wird wohl zuvorderst eine Sache des Glaubensbewußtseins des einzelnen sein, der für seine konkrete Situation sehr oft ein Sowohl-als-auch finden müssen wird. Hier kann lediglich davon die Rede sein, wie eine solche Aufarbeitung der Probleme auf einer allgemein verbindlichen Ebene in Angriff genommen werden könnte. Solche Versuche „auf weite Sicht“ zur Vereinfachung der Seelsorge sind bereits in den Diözesen Freiburg und Würzburg unternommen worden, so daß mit diesen Gedanken kein Neuland betreten wird.

Die genannte Vereinfachung — denn um eine solche wird es wohl gehen müssen — würde sich auf dem Gebiet der schulischen Katechese für die nächste Zeit ungefähr folgenderweise abzeichnen: Dem Klerus müßten in der Schule lediglich die Schlüsselpositionen vorbehalten bleiben, nämlich die Erstkommunion- und Austrittsklassen. Die übrige katechetische Tätigkeit würde den Laien übertragen werden, wie es ja schon in großem Umfang geschieht, wobei allerdings in der Besoldung des Klerus beziehungsweise der Pragmatisierung der Laienkatecheten eine tragbare Lösung gesucht weiden müßte. Weiter müßte man sich bei einer Erneuerung des Lehrplans vielleicht entschließen, die doktrinären Teile (die jedenfalls am Beginn des Schuljahres bis Weihnachten oder Semesterschluß geschlossen zu behandeln wären) zugunsten der geschichtlichen Teile der Heilslehre einzuschränken, zumindest bei den Buben. Das System der konzentrischen Kreise, das sich in der Praxis oftmals (durch den häufigen Lehrerwechsel) auf eine öde Wiederholung hinausentwickelt, wäre einer Revision zu unterziehen. Eine individuellere Anpassung des Lehrplanes an die Eigenart der Jungen und Mädchen und seine Differenzierung in dieser Hinsicht sowie ein detailliert ausgearbeitetes Minimal- und Maximalprogramm für gute oder schlechte Verhältnisse wäre ernstlich zu erwägen.

In der Pfarre würde sich eine wünschenswerte Vereinfachung wohl in einer Entwicklung von der vorbehaltlosen Gruppengläubigkeit (gegen die bereits Goldbrunner schwere Bedenken angemeldet hat) weg zur Milieuseelsorge Cardijnscher Prägung hin bewegen. Man müßte sich mit dem Gedanken befreunden, daß der Ort der Katechese an Eltern und Jugend nicht nur das Pfarrheim, sondern sehr wohl auch die Wohnung, ja sogar die Straße sein kann; daß wir nicht nur generell, sondern auch individuell zu katechisieren haben; daß die Lebensverbindung zwischen lehramtlicher Katechese und hirtenamtlicher Sorge und Beeinflussung nicht ungestraft vernachlässigt werden darf. Für die Gruppenarbeit selbst aber würde sich ein Abgehen von einem gewissen naiven Psychologismus und einem unbeschränkten Vertrauen auf die Macht der Lehre sehr bezahlt machen, zugunsten einer realistischeren Konzeption vom Menschen als eines erbsündlichen, dessen Natur und „Natürlichkeit“ eben nicht mehr mit der Brille eines Rousseau zu sehen ist, dessen menschliche Not im Kreuz Christi durchzutragen und in dieser Position der Erlösung entgegenzuführen ist.

Es ist auch diese realistischere Betrachtung der Wirklichkeit in den Reihen des jüngeren Klerus, die ein gewisses Unbehagen an der Schule und auch an bestimmten Formen der pfarrlichen Katechese hervorgerufen hat; dies in aller Bescheidenheit auch sachlich begründen zu wollen, war die Absicht der vorliegenden Zeilen.

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