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Relikte der Kabinettsjustiz

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Ein Fortschritt allerdings scheint es mir zu sein, Relikte der sogenannten Kabinettsjustiz, wie es zum Beispiel das Abolitionsrecht des Bundespräsidenten darstellt, zu beseitigen, dies um so mehr, weil dieser Eingriff in die Gerichtsbarkeit den modernen Anschauungen von Rechtsstaatlichkeit widerspricht. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland geht davon aus, daß Abolitionen eines Gesetzes bedürfen, und räumt sie daher dem Bundespräsidenten nicht ein. In einzelnen Ländern Deutschlands ist die Spezialabolition überdies noch ausdrücklich durch die Verfassung oder durch landesgesetzliche Regelung für unzulässig erklärt, weil sie dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit widerspricht, demzufolge niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf. Ich komme daher zu dem Ergebnis — ich kam dazu bereits vor mehr als 30 Jahren (Strafprozeßreform und Kabinettsjustiz, Gerichtszeitung 1930, S. 200), und deshalb entbehrt dieses Anliegen jedes politischen Akzentes -, daß „grundsätzlich die Ausschaltung aller justizfremden Elemente aus dem Getriebe des Justizapparates das Ziel der Zukunft ist“. Nunmehr kann es ein Reformziel der Gegenwart sein.

Liegt nicht auf derselben Ebene die Beseitigung des Weisungsrechtes des Bundesministers für Justiz gegenüber der Staatsanwaltschaft? Betrachtet man die Systematik des geltenden Strafverfahrens in seiner Gesamtheit, so wird man ein nicht uninteressantes Wechselspiel zwischen zwei Grundprinzipien unserer Rechtsordnung gewahren: zwischen dem der richterlichen Unabhängigkeit einerseits und dem des Anklagegrundsatzes anderseits. R e h m hebt lies hervor und führt hierzu weiter aus: „Es kann der Ankläger den Beschuldigten oder Angeklagten bis zur Fällung des Urteils jederzeit der weiteren Verfolgung durch das Gericht entziehen, und zwar selbst dann, wenn das Gericht der Ansicht wäre, daß eine weitere Verfolgung des Beschuldigten oder Angeklagten geboten wäre... hervorzuheben ist, daß der Staatsanwalt in allen angeführten Fällen nicht nur dann von der Verfolgung ablassen kann, wenn er die Tat als nicht erwiesen oder nicht erweisbar ansieht, sondern auch dann, wenn er aus rechtlichen Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, daß der vorliegende Sachver-

* Vgl. den Aufsatz des gleichen Verfassers, „Sechs Wochen nach Rief“, „Die Furche“ Nr. 42/20. Oktober 1962.halt keine zur Zuständigkeit der Gerichte gehörige strafbare Handlung begründe.“

Diese kurze Darstellung zeigt bereits, welche Rechte dem Anklänger und damit der Staatsanwaltschaft und weiter dem weisungsberechtigten Bun-' desminister für Justiz im Strafverfahren zustehen und weiche Möglichkeiten der Einflußnahme ihm von Rechts wegen eingeräumt sind. M a r c i c führte in seinem Vortrag vom 11. Oktober 1962 unter der Marke „Unkontrollierte Machtentfaltung“ folgendes aus: „Die Gerichtsbarkeit als das Symbol einer unabhängigen, weisungungebundenen, von jeglichem fremden Willenseinfluß freien Rechtsanwendung ist die höchste menschenmögliche Instanz, auf die Verlaß ist.“ Fortschritt und Verfeinerung des Rechts verlangen demnach, daß die Anklagebehörden weisungsfrei gestellt werden, was nicht bedeutet, daß ihre Organe wie die Richter unabhängig und unabsetzbar sein müßten. So würde gewährleistet werden, daß die Entscheidungen einzig und allein auf die Erwägungen dieser selbstverantwortlichen Organe zurückgehen.

Auch dem Strafvollzug wird eine besondere Bedeutung zukommen. Er soll auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Hierbei will das Justizministerium zwei Aufgaben erfüllen: die Klarheit über die kriminalpolitische Zielsetzung und die Durchsetzung der tragenden Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit im Strafvollzug herbeiführen. Differenzen können meines Erachtens allein hinsichtlich der kriminalpolitischen Zielsetzungen auftauchen, besonders dann, wenn einzelne Formulierungen dieses Entwurfes nicht nur Bedenken hinsichtlich der Zielsetzung im allgemeinen, sondern auch bezüglich der Akzentuierung der einzelnen kriminalpolitischen Zwecke im besonderen aufkommen lassen. Wenn es in diesem Gesetzentwurf heißt: „Die Freiheitsstrafe ist so zu vollziehen, daß sie dem Gefangenen den Unwert seines der Verurteilung zugrunde liegenden Verhaltens vor Augen hält, von ihm als eine in diesem Unwert begründete Maßnahme erlebt werden kann und ohne erniedrigende Behandlung und unzumutbare Eingriffe in die Persönlichkeit möglichst geeignet ist, ihn nach der Entlassung zu einer den Erfordernissen angepaßten Lebensführung zu bestimmen“, so scheint mir damit zuwenig gesagt.

Das Strafvollzugsgesetz entbehrt mit dieser Formulierung jeder Beziehung zwischen Strafe, Schuld und Reueempfinden des Bestraften, das Voraussetzung dafür ist, daß das Strafübel, wenn es überhaupt eine Erziehungswirkung haben soll, zur Sühne wird und damit für deh Täter die Voraussetzung zur inneren Umkehr. Über diesen wichtigen Zweck, um nur eines herauszugreifen, müßte etwas gesagt werden. Bedenken können unter anderem auch gegenüber dem vorgesehenen Heimurlaub geltend gemacht werden. Bedenken auch gegen die allzu starke Betonung des Strafzweckes der Resozialisierung und damit Wiedereingliederung der Rechtsbrecher in die menschliche Gesellschaft — zu der ich grundsätzlich stehe —, weil der Resozialisierung an sich Grenzen gesetzt sind. Es gibt nämlich eine Gruppe von Rechtsbrechern — ich denke an die Gewohnheitsverbrecher, deren Zahl leider zunimmt —, die in bezug auf Resozialisierungsmaßnahmen nicht ansprechbar sind, und eine Gruppe von Verbrechern, Schwerkriminelle, bei denen wegen des großen Schuld- und Unrechtsgehaltes der Tat die Allgemeinheit mit Recht eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft nicht für notwendig erachtet.

Damit komme ich bereits zu den Grundproblemen der Strafgesetzreform. Richtig wurde erst vor kurzem in einem Aufsatz von Hans Z e r b s in der „Presse“ vom 29. September 1962 darauf verwiesen, daß es in einer Strafgesetzkommission niemals zu einer Grundsatzdebatte gekommen ist. Das besagt jedoch keineswegs, daß nicht zumindest in der zweiten Lesung einzelne Gruppen von grundsätzlichen Erwägungen ausgegangen sind, die sie im Allgemeinen und im Besonderen Teil zu verwirklichen getrachtet haben.

Wesentlich erschien uns das Bekenntnis zum Schuldstrafrecht und damit zu einer Auffassung, nach der der Mensch ein zur freien, sittlichen Selbstbestimmung berufenes Wesen ist, das für seine Entscheidung einzustehen hat.

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