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Revolution der Schulbank

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Wesen und Kritik des deutschen „Rahmenplanes“ Von Dr. R. EHRMANN SM.

In der Deutschen Bundesrepublik gibt es keine zentrale Bundesschulbehörde. Für die Kulturbelange sind die Länderregierungen zuständig. Gemeinsame Schulfragen wurden bisher von der sogenannten Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder wahrgenommen. Freilich ist diese lose Vereinigung auch nicht in der Lage, ganz neue Bildungspläne auszuarbeiten. Es wurde daher schon 1953 der sogenannte Deutsche Ausschuß, ein Gremium von Sachverständigen für Unterricht und Erziehung, ins Leben gerufen. Er ist keine Behörde, hat sich aber schon durch eine Reihe von Empfehlungen und Gutachten ein großes Ansehen gesichert und gilt im gewissen Sinne heute doch, wenn auch inoffiziell, „als höchste Autorität in Er-ziehungs- und Bildungsfragen“. Die bedeutsamste Veröffentlichung dieses Ratskörpers ist der im April 1959 vorgelegte „Rahmenplan zur Umgestaltung und Vereinheitlichung des allgemeinbildenden öffentlichen Schulwesens“. Dieser umfassende Entwurf für die Neueestaltung des öffentlichen Unterrichtswesens wurde den Behörden und allen beteiligten Kreisen zur Begutachtung überreicht. Seit einem Dreivierteljahr steht er nun im Mittelpunkt einer regen Erörterung. Er rief begeisterte Zustimmung hervor, heftige Ablehnung, maßvolle Kritik. Zur Zeit ist noch nicht abzusehen, ob er sich durchsetzen wird. Wir wollen im folgenden eine zusammenfassende Darstellung dieses bedeutsamsten neuzeitlichen Vorschlages für die deutsche Volksbildung geben und dann verschiedene kritische Stimmen zu Wort kommen lassen.

Vorwegzunehmen ist, daß sich der Deutsche Ausschuß in seinem Vorhaben von vornherein Beschränkungen auferlegt hat. Er sieht ab von der Festlegung des Inhaltlichen, der Bildungsziele und Bildungsgehalte und auch vom Bildungsverfahren, vom Methodischen im engeren Sinn. Man hat sich auch insofern beschränkt, als man die Neugestaltung vorläufig auf die im strengen Sinn a 11 g ein einbildenden Unterrichtsformen begrenzte, also die Hochschulen und die Berufsschulen ausnahm.

Nach dem „Rahmenplan“ bleibt die v i e r-k 1 a s s i g e Grundschule als die verpflichtende Grundform der Volksbildung für alle. Der Übergang zu den weiterführenden Schulen soll für die große Mehrheit der Kinder nun nicht mehr sofort erfolgen. Es soll sich hier eine zweijährige Zwischenstufe einschalten, die sogenannte Förderstufe. Diese hat einen dreifachen Zweck: Sie soll der Schwindsucht der Oberstufe der Volksschule steuern, diese durch das Verbleiben der begabten Kinder beleben; außerdem sollen diese zwei Jahre genauerer Beobachtung und Schulung eine zweckmäßigere und reibungslosere Auslese ermöglichen; ferner soll dieses längere Zusammenbleiben der . Mehrzahl der Kinder die geistige Einheit des Volkes möglichst sichern. Die Förderschule würde also das 5. und 6. Schuljahr umfassen. Überdurchschnittlich Begabte würden allerdings sofort nach der vierjährigen Grundschule in jene neunjährige Höhere Schule aufgenommen werden, die den neuen Namen Studienschule erhält. Den, Abgängern der Förderschule dagegen erschließen sich drei Wege: die Hauptschule, die Realschule, das Gymnasium, wobei die Haupt- und Realschule das mittlere, das Gymnasium das höhere Schulwesen darstellen. Die Hauptschule ist im deutschen Staat eine Neuschöpfung. Sie trägt diese Bezeichnung sicher mit einer Anlehnung an österreichische Verhältnisse. Mit dem Namen soll aber auch zum Ausdruck kommen, daß die Volksschule die Haupt- Schulform ist. Sie hat eine ähnliche Aufgabe wie unsere Hauptschule, soll aber noch über diese hinausführen. Sie würde nach der sechsstufigen Grundschule zu einer drei- oder sogar vierjährigen Volksoberschule ausgebaut werden. Der gewöhnliche Bildungsgang des deutschen Staatsbürgers würde also zehn Jahre umfassen, das heißt mit dem 16. Lebensjahr enden. Neben die Hauptschule stellt sich die fünfstufige Realschule, deren Abeänger also auf eine elfjährige Schullaufbahn zurückschauen. Sie soll im allgemeinen dem entsprechen, was die Oststaaten mit ihrer „poly technischen Bildung“ anstreben. Sie stellt ein Zeugnis der mittleren Reife aus. Das Gymnasium deckt sich nicht mit dem Begriff, den wir mit diesem Namen gewöhnlich verbinden. Zusammen mit der schon erwähnten „Studienschule“ stellt es das Höhere Schulwesen dar. Das Gymnasium baut auf der Förderschule auf und hat nur noch sieben Stufen. Es gabelt sich in einen naturwissenschaftlichen Zweig (etwa unsere Oberrealschule) und einen sprachlichen Zweig (etwa unser Realgymnasium). Ein dritter Zweig, ein musischer, ließe sich diesem Typ noch einfügen. Die Studienschule, die die eigentliche Nachfolgerin des humanistischen Gymnasiums ist, ist neunjährig, reicht also vom 5. bis 13. Schuljahr. Das Latein ist hier grundständig. Die zweite Fremdsprache ist Englisch. Im 8. Schuljahr, also etwa nach dem 14. Lebensjahr der Schüler, gabelt sie sich mit der Einführung einer dritten Fremdsprache in einen griechischen und einen französischen Zweig. Beide Formen der Höheren Schule sichern nach einer Abschlußprüfung (Abitur) die Hochschulreife. Außer der Realschule erteilen auch das Gymnasium und die Studienschule nach erfolgter Beendung der 11. Klasse die „Mittlere Reife“. Übergänge von einer Schulgattung in die andere sind möglich.

Nach dem „Rahmenplan“ würden also der Jugend folgende Schulwege offenstehen. Alle ohne Ausnahme müssen in die staatliche Grundschule. Von der Grundschule wird der große Strom übergeleitet in die .Klärstufe der Förderstufe. Nur eine dünne Ader beginnt gleich den Steilaufstieg zur Höhe in der Studienschule (9 Jahre). Nach der Siebung im zweijährigen Staubecken setzt das Gros seinen Marsch fort in die dreiarmige Oberschule: die Hauptschule (3 bis 4 Jahre), die Realschule (5 Jahre), das Gymnasium (7 Jahre). Die umwälzenden Neuheiten sind die Verlängerung der Grundschule um zwei Jahre, der Versuch, die Volksschule wieder zur Hauptschule, zur eigentlichen Schule des gewöhnlichen Volkes, auszubauen, die völlige Modernisierung des Gymnasiums, die Schaffung einer Schule für die Führerschicht in der Studienschule. Im ganzen offenbart sich wohl ein ernstes Bemühen nach Ausgleich der verschiedenen Strebungen und Strömungen und nach Hebung der Allgemeinbildung. Wie weit das nach Ansicht verschiedenster Gutachter gelungen ist, sei in einem zweiten Aufsatz geprüft.

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