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Schon Kinder müssen lernen, Frustrationen auszuhalten
Wer greift wann zu welchem Suchtmittel? Dazu ein Gespräch mit der Wiener Psychotherapeutin Gerlinde Ortner.
Wer greift wann zu welchem Suchtmittel? Dazu ein Gespräch mit der Wiener Psychotherapeutin Gerlinde Ortner.
DIKFURCHK Wie entstehen Süchte? Gkrlindk OrtnrK: Süchte entstehen ursprünglich in Belastungssituationen. Handelt es sich um eine schwache Persönlichkeit mit mangelndem Selbstwertgefühl, die auch keine klare Kigendefinition hat, keine Orientierung besitzt und keinen Halt im Familiengefüge, so kann eine bestehende Frustration durch Lustgewinn (wie Alkohol oder Spielmöglichkeit) vorübergehend ausgeschaltet werden. Der unmittelbare Erfolg, der sich durch eine Beruhigung oder durch eine Stimulation einstellt, läßt die zeitverzögerte Konsequenz einfach zu schwach wirken, um sie klar zu begreifen oder gar gegen sie anzukämpfen. Hier spielt der Zufall eine große Holle, das heißt, ob es nun der Alkohol, das Essen, die Arbeit, ein Spiel oder eine Droge ist, die in einer solchen Situation gerade zur Verfügung stehen, und die im späteren Verlauf der Erlebnisse immer wieder eingesetzt wird.
Neben dem Zufall des Angebots spielen aber auch Modellfälle bei der Wahl des Suchtmittels eine Rolle. Wenn das Kind bei seiner Bezugsperson erlebt hat, daß Alkohol als Problemloser eingesetzt wird, so wird dieses Verhalten unbewußt übernommen. Das heißt nicht, daß das Verhalten der Bezugsperson attraktiv ist, sondern die Konsequenz des Alkoholkonsums wirkt vorbildhaft. Alkohol ist nicht der Problemloser, sondern das Modell ist hier em scheidend.
DIKFDRCHE: Die Suchtanfälligkeit i nicht bei jedem Menschen gleich?
OHTNKK: Wenn der Mensch nicht gelernt hat, sein Regenerationsfeld zu finden, und keine inneren Ressourcen besitzt, auf die er zurückgreifen kann, bietet ihm die Sucht eine gewisse „Belohnung”, indem er durch sie einen anderen Zugang zu sich selbst findet. Sein Gehirn lernt: „Ich kann mein Problem mit einer Preßattacke oder mit einem bestimmten Medikament, mit Arbeit oder beim Spiel lösen.”
Es entsteht ein Teufelskreis, denn die Auslöser müssen dann gar nicht mehr sehr massiv sein, ein kleiner Problemfall genügt, oder eine minimale Konfliktsituation, vergleichbar einem ständigen leisen Zahnweh, um die Sucht auszulösen. Das schlechte Gewissen nach einer Suchtattacke schwächt das ohnehin geringe Selbstwertgefühl, macht depressiv, blockiert, die Leistung nimmt ab, es macht wieder „klick” für das Suchtverhalten, das sich auf diese Weise durch sich selbst aufrecht erhält.
DIEFURCHE: Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
ORTNF,R:'Die Basisarbeit besteht in einem Aufbau des Selbstwertgefühls. Ausgangspunkt sind positive Kenntnisse und Erfahrungswerte der eigenen Person. Der Therapeut entwickelt mit seinem Klienten Motivationstechniken und Lösungsstrategien. Unter Motivationstechniken verstehe ich: Sich selbst aufs Podest stellen lernen, ich will, ich kann das, ich schaffe es, das weiß ich. Der Klient lernt, sich auf das eigene, vorhandene Potential zu beziehen. Bs muß ein Umlernverhalten eingeübt werden, bevor der Sog der Sucht kommt. Das kann unter anderem auch durch Entspannungsübungen erreicht werden.
Ich lasse meine Klienten auch Protokolle darüber führen, was dem Suchtanfall vorausgegangen ist, welche Gedanken, Stimmungen und Erlebnisse er vor dem Anfall hatte. Um seine Sucht wirksam zu bekämpfen, müssen - wie vor einer Operation - zuerst Herz und Lunge gestärkt werden. Herz und Lunge sind in diesem Fall die Ichstärken und eine funktionierende Motivation des Suchtkranken.
DIKFURCHK: Wer hat optimale. Voraussetzungen, um nicht süchtig zu werden?
OrtN'KR: Schon ein Kind muß lernen, Grenzen anzuerkennen, mit Konflik ten umzugehen und ein gewisses Maß an Frustration auszuhalten. Klare Strukturen, Gebote und Grenzen sind der Laufsteg, auf dem das Kind den Weg ins Leben am besten lernen kann. Daß seine Bezugspersonen ihm glauben und ihm vertrauen ist genauso wichtig wie die Einsicht, daß es von Zeit zu Zeit auch notwendig ist, auf etwas zu verzichten.
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