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Digital In Arbeit

Schon zum alten Eisen?

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„Damit nehmen wir Abschied von einem geschätzten Mitarbeiter, der sich durch seine jahrzehntelange pflichtgetreue Arbeit die Achtung seiner Vorgesetzten und die Freundschaft seiner Kollegen erworben hat. Wir lassen ihn nicht gerne von uns gehen, aber für jeden von uns schlägt, früher oder später, die Stunde des Abschiednehmens von seiner Wirkungsstätte. Mit dem Dank für seine verdienstvolle Tätigkeit verbindet die Geschäftsleitung und die Kollegenschaft den Wunsch, daß es unserem Freund noch lange gegönnt sein möge, den wohlverdienten Ruhestand in guter Gesundheit zu genießen.“ Herzlich drückt der Direktor des Werkes bei der internen Feier dem Arbeitsjubilar die Hand und überreicht ihm noch ein Ehrengeschenk. Der Abteilungsleiter spricht, der Betriebsrat, viele gute Worte und Wünsche, es gibt Wein, jeder leert das Glas auf das Wohl des Kollegen, der, sichtlich gerührt, einige Worte des Dankes spricht. Noch einmal ein

Händeschütteln, Kollegen klopfen ihm freundschaftlich auf die Schulter — und dann schließt sich für ihn, bildlich gesprochen natürlich, das Tor des Berufslebens, eine neues Kapitel, das letzte Kapitel im Lebensherbst beginnt.

Wann soll man mit der Arbeit aufhören, wann sich zur Ruhe setzen? Mit dieser Frage beschäftigen sich heute manche bereits Ende der Vierzig und in den Fünfzigern, wenn sie auf der Höhe des Lebens stehen. Sie beginnen die Jahre, die ihnen noch zur Erreichung der Altersgrenze fehlen, zu zählen, besonders dann, wenn sie an einer wirklichen oder eingebildeten Krankheit laborieren, wenn sie ein Nachlassen ihrer Kräfte spüren, Ärger im Beruf haben, Vorrückungen erfolgreicherer Rivalen als Ungerechtigkeit empfinden und sich gegenüber der jüngeren und robusteren Konkurrenz nicht mehr behaupten können. Da beginnen sie vom Pensionistendasein zu träumen, das ihnen als Fata Morgana in den verlockendsten Farben am fernen Lebenshorizont aufleuchtet. Bis es dann wirklich so weit ist und sie die Wirklichkeit des Ruhestandes am eigenen Leibe verspüren.

Das Altern ist in unserer Zeit ein Problem von ganz anderer soziologischer und wirtschaftlicher Tragweite geworden, als es noch vor wenigen Jahrzehnten der Fall war. Das hängt damit zusammen, daß sich sowohl die Struktur der Volkswirtschaft als auch der Altersaufbau der Bevölkerung entscheidend verändert hat. Wenn man von Überalterung spricht, meint man die Erhöhung des Anteils jener Personen an der Gesamtbevölkerung, die über 60, 65 oder 70 Jahre alt sind. In den USA gibt es beispielsweise heute schon 15,7 Millionen Menschen im Alter von mehr als 65 Jahren, das sind 8,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. In der Bundesrepublik Deutschland hat der Anteil der 65jährigen nach dem Krieg um fast siebzig Prozent zugenommen. In Großbritannien beträgt der Anteil der Pensionisten 15 Prozent. In 25 Jahren, so rechnet man, wird aber bereits ein Fünftel aller Briten im Ruhestand leben. Nicht viel anders sieht die Entwicklung in den übrigen Industrieländern und selbstverständlich auch in Österreich aus. Im Jahre 1910 waren sechs Prozent der österreichischen Bevölkerung über 65 Jahre alt, im Jahre 1934 7,9 Prozent, 1951 hatte sich ihr Anteil schon auf 10,6 Prozent erhöht, 1958 auf 11,7 Prozent. Von Jahr zu Jahr nimmt in allen Industrieländern die Zahl der Menschen, welche die Altersgrenze erreichen, ständig zu, doch ist die Frage, ob ein Arbeiter oder Angestellter mit Erreichung der Altersgrenze auch tatsächlich in den Ruhestand treten soll, umstritten. Fachleute, Ärzte, Sozialwissenschaftler sind sich keineswegs einig, ob der „friedliche Lebensabend“ auch tatsächlich für alle Menschen erstrebenswert sei. Es gibt Menschen in bestimmten Berufen, die mit 52 Jahren bereits verbraucht sind, es gibt wieder solche, die sich noch mit 68 und 70 Jahren einer erstaunlichen Rüstigkeit und Leistungsfähigkeit erfreuen. Bei der Beurteilung des Problems ist somit der Gemütszustand zweifellos von ausschlaggebender Bedeutung.

Fühlen sich aber Menschen noch gesund und rüstig, so zeigt sich ein anderer Aspekt: Für nicht wenige unter den Altgewordenen ist die Arbeit aktives Leben, der Lebensmotor, der sie in Schwung hält. Kommt dieser Motor einmal zum Stillstand, können mitunter bedenkliche Schäden seelischer Art eintreten. Diese Kehrseite der modernen Sozialgesetzgebung macht sich in den letzten Jahren immer stärker bemerkbar und hat dazu geführt, daß man sich in den verschiedensten Ländern mit dem Problem zu beschäftigen begann, wie man den Älteren unter uns die Möglichkeit eröffnen könne, ihre freie Zeit nützlich zu gestalten, zu ihrem eigenen Wohle und auch zum Nutzen der Gesellschaft.

In den Vereinigten Staaten existieren Betriebe, die grundsätzlich nur. Menschen von Sechzig' aufwärts beschäftigen. Es hat sich gezeigt, daß diese älteren Personen durch das Alter bedingte körperliche Mängel und verminderte Leistungsfähigkeit durch größere Geschicklichkeit, Erfahrung, Geduld und Zuverlässigkeit, Anhänglichkeit an den Betrieb und mehr Ausdauer in der Routinearbeit reichlich wettmachen. In England waren es vor allem die mittleren und großen Industriebetriebe, die es ihren Mitarbeitern nach Erreichung des Pensionsalters freistellen, im Unternehmen weiter zu bleiben.

In vorbildlicher Weise wurde das Problem der Beschäftigung der älteren Arbeitskräfte von den praktischen Holländern gelöst. Wie in den anderen Ländern herrscht auch dort ein Mangel an Arbeitskräften, so daß überall arbeitsfreudige Personen im Pensionsalter mit offenen Armen aufgenommen werden. Von der Erfahrung ausgehend, daß man von den Älteren im allgemeinen nur eine verminderte Arbeitsleistung erwarten kann, startete man in Eindhoven, dem Hauptsitz der weltbekannten Philipswerke, vor etwa drei Jahren ein Experiment für ehemalige Betriebsangehörige, das inzwischen erstaunliche Früchte getragen hat. Auf Anregung des derzeitigen Präsidenten der Philipswerke, Dipl.-Ing. F. J. P h i-1 i p s, begann sich Professor Frans Roeterink mit dem Problem der nützlichen Freizeitgestaltung für die alten Betriebsangehörigen zu beschäftigen. Professor Roeterink gehörte bis zur Erreichung der Altersgrenze selbst dem Unternehmen an und verkörpert jenen Typ der älteren Generation, der nach einem verantwortungsvollen arbeits- und erfolgreichen Leben noch nicht daran denkt, von der Bühne der tätigen Arbeit abzutreten. „Wir wollen der jüngeren Generation nicht im Wege stehen“, betonte er, „aber das bedeutet nicht, daß wir die Hände in den Schoß legen wollen. Auch für uns Ältere gibt es heutzutage noch genug Aufgaben, mit denen sich die im aktiven Berufsleben Stehenden wegen Zeitmangels nicht befassen können. Wir müssen nur die Augen offenhalten.“ Und er hielt die Augen offen, der tatkräftige Professor Roeterink.

Nach langwierigen Vorarbeiten wurde die Gründung einer genossenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft, „Sterk door werk“ (Kraft durch Arbeit), unter den in Eindhoven wohnhaften Philips-Pensionisten beschlossen. Es stellte sich heraus, daß auf den ersten Anhieb sich insgesamt 75 Rentner meldeten, darunter ehemalige Abteilungsleiter, Meister, Vorarbeiter, ein Buchhalter, ein Konstrukteur, verschiedene Facharbeiter und schließlich gelernte und ungelernte Arbeiter, alles Menschen, die aufrichtig glücklich darüber waren, auf diese Weise eine ihnen zusagende Beschäftigung zu finden. Man einigte sich auf eine Arbeitszeit von täglich drei Stunden, und zwar in zwei Schichten, vormittags und nachmittags in einer Fünftagewoche.

Es wurden nun alle Hebel in Bewegung gesetzt, um eine Werkstätte mit Maschinen zu beschaffen. Um die erforderlichen Kapitalinvestitionen und etwaige Betriebsverluste in der Anlaufzeit bestreiten zu können, wurde ein Bürgschaftsfonds gegründet, der von je zwei Vertretern der Philips-Werke, des Stadtrates von Eindhoven und der Arbeitsgemeinschaft verwaltet wurde.

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