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Schuld ohne Vorwurf — Strafe ohne Sühne?

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Bei der Würdigung des Entwurfes für ein neues Strafrecht muß man auf die letzten Grundlagen für Recht und Menschenwürde zurückgreifen, um beurteilen zu können, ob er der Einstellung der Mehrheit des Volkes gerecht wird. Eine Würdigung setzt aber einen bestimmten Wertmesser voraus, womit schon angedeutet wird, daß es eine wertneutrale Rechtsordnung nicht geben kann. Wer dies behauptet, nimmt bereits d i e Wertung vor, daß er eine objektive Wertordnung ablehnt.

Präventive und Vergeltung

Was sind nun die Grundlagen für Recht und Menschenwürde? Im Interesse des Allgemeinwohles legt die staatliche Ordnung dem einzelnen Verbote und Gebote auf, an deren Nichtbeachtung Sanktionen geknüpft werden. Schon bei der Beurteilung des Allgemeinwohles muß, wenn nicht eine reine Zweckordnung geschaffen werden soll, auf die übrigen Wert- und Seinsordnungen, so vor allem auf die Natur- rechts- und Sittenordnung Bedacht genommen werden. Die Ordnungs-, bereiche dürfen einander nicht nur nicht widersprechen, sondern müssen, wenn die Zweckordnung des Rechtspositivismus vermieden werden soll, aufeinander abgestimmt bleiben. Aus den Strafsanktionen kann zugleich der Wert, der dem verletzten Rechtsgut zuerkannt wird, abgeleitet werden. Die Art und der Umfang der Sanktionen verlangen aber eine Vorentscheidung über das Wesen des Menschen, nämlich ob der Mensch entscheidungsfrei ist oder ob seine Handlungen lediglich eine Reaktion auf ihn zwangsweise bestimmende Faktoren (Anlage und Umwelt) darstellen. Nach der herkömmlichen Auffassung setzt der Begriff der Schuld ein „Sich- auch-anders-verhalten-Können “ voraus. Sieht man aber bei der Beurteilung der Tat davon ab, ob sich der Mensch auch anders hätte verhalten können, und begnügt man sich mit der Feststellung, daß der gesunde Mensch für das Zurückbleiben hinter den Wert- anforderungen der Gemeinschaft einzustehen hat (materielle Täterschuld oder Prüfung, ob dem Täter im konkreten Fall eine andere Entscheidung überhaupt möglich gewesen wäre), wie es der Entwurf tut, dann kann dieser Schuldbegriff niemals einen Vorwurf in sich schließen, sondern lediglich eine Feststellung einer Fehlentscheidung enthalten (ein Einstehenmüssen für den Erfolg ohne Prüfung des „Auch-anders-Könnens”). Wenn man aber den sittlichen Schuldbegriff aus der Rechtsordnung ausklammert, also auf den Vorwurf gegen die Tat verzichtet, ist die weitere Folge, daß die Strafe keine Vergeltung darstellen darf, sondern lediglich vorbeugenden Charakter für die Zukunft, nicht aber sühnenden Charakter für die gesetzte Tat haben kann. Mit einer solchen Rechtsordnung ist aber eine völlige Umwälzung des Gesellschaftslebens verbunden. Es müssen ihre Ausstrahlungen auf die staatliche Ordnung einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Die staatliche Ordnung sollte doch, im Interesse der Selbsterhaltung, das Gefühl der Selbstverantwortung ihrer Bürger eher stärken als abschwächen. Ohne Anerkennung der Willensfreiheit des Menschen gibt es ja kein Leben nach sittlichen Wert ,orstellungen.

Die „offene” Willensfreiheit

Nach unserem geltenden ;$ęhul4- strafrecht soll die Strafe, neben prä- yeatiyen Zwecken auch • Vergeltung für die Schuld sein, die der Täter auf sich geladen hat,’ indem er von der Fähigkeit der freien Selbstbestimmung nicht den rechten Gebrauch gemacht hat und damit den Anforderungen der Rechtsordnung nicht genügt hat. Die Strafe hat der Bewährung der Rechtsordnung und dem Schutze der Allgemeinheit, zugleich aber auch der Wiedereingliederung des Täters in die Gemeinschaft zu dienen.

Enthält der Strafrechtsentwurf eine dare Stellungnahme zu diesen Grund-

säjt n und Yflft allem, zum Menschenbild, das ihm zugrunde gelegt wird, oder’ kann zumindest aus dem Grundgedanken des Entwurfes eine solche Stellungnahme abgeleitet werden? Professor Dr. Nowakowski, einer der fähigsten Strafrechtsgelehrten des deutsch sprechenden Raumes und entscheidender Mitschöpfer des Entwurfes, hat in seiner grundlegenden Schrift „Freiheit, Schuld und Vergeltung” zwar der Forderung beigepflichtet, daß die Rechtsordnung das Menschenbild zeichnen muß, das ihr zugrunde liegt, und den Rang angeben muß, den sie den Bedürfnissen und

Pflichten zuerkennt, entgegen diesem eigenen Grundsatz aber zugegeben, daß man beim Entwurf bemüht war, Formulierungen zu finden, die die Frage der Willensfreiheit nicht präjudi- zieren, sondern offenlassen. Die Kommission sei mit Rücksicht auf die Vielfältigkeit der Meinungen und Gegensätzlichkeiten der Mitglieder in Grundsatzfragen gegensätzlichen Formulierungen ausgewichen und habe die entscheidende Frage, ob e i n ‘ w i I- lensfreier Mensch oder ein nicht wahlfreier Mensch dem Entwurf zugrunde gelegt wird, offengelassen und die Entscheidung der

Rechtsprechung überlassen.

Man will auf diese Weise Aufgaben, zu denen nach der Verfassung die gesetzgebenden Körperschaften berufen sind, für die man aber auf Grund der bestehenden politischen Kräfteverhältnisse im Parlament keine Mehrheit finden kann, verfassungswidrig auf die Rechtsprechung überwälzen. Wenn man auf dem Standpunkt der Rechtsstaatlichkeit steht, ist eine solche Verschiebung abzulehnen. Damit würde der Richterstand aber auch überfordert, und es wäre damit für viele Jahre eine über das normale Maß hinausgehende, mit jeder Neukodifikation verbundene Rechtsunsicherheit gegeben. Damit wäre aber auch eine Gefahr für die Unabhängigkeit und Verpolitisierung der Höchstgerichte verbunden. Denn im Umwege der Besetzung der Höchstgerichte mit Richtern einer bestimmten Einstellungsrichtung könnte über die Rechtsprechung das erreicht werden, was im Wege der Gesetzgebung nicht zu erreichen ist.

Schuldbegriff ohne Schuld

Welche Grundhaltung kann man aus den wissenschaftlichen Lehr- meinungen der prominentesten Väter des Entwurfes, und zwar des Nestors der österreichischen Strafrechtsneu- schöpfung, Prof. Dr. Kadečka, und Prof. Dr. Nowakowski, ableiten?

Aus ihrer Lehrmeinung geht eindeutig hervor, daß sie sich vom Schuldstrafrecht im herkömmlichen Sinn: Schuld = sittliche Schuld — Vorwurf, distanzieren und nur, im Interesse der Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung, die sogenannte „materielle Täterschuld” oder „strafrechtliche Schuld” gelten lassen. Sie präsumieren zwar, daß der gesunde Mensch für die Wertanforderungen, die die Gemeinschaft an ihn stellt, einzustehen hat. Es ist aber kein Schuldbegriff im Sinne eines sittlichen Vorwurfes, sondern eine Feststellung, daß der Täter seinen Willen nicht so bestimmt hat, wie es ein maßgerechter Mensch getan hätte. Dieser Schuldbegriff verzichtet daher auf die Feststellung, daß sich der Täter auch anders hätte Verhalten können. Sie prägen- daher einen Schuldbegriff ohne Schuld im herkömmlichen Sinn und damit ohne Vorwurf gegen den Täter, da ja ein solcher Vorwurf völlig unbillig wäre, wenn die Frage der Wahlfreiheit des „Auch-anders-Können” bei der Beurteilung der Tat ausgeklammert wird, und daher ein Vorwurf ohne Feststellung, daß der Täter die Fehlentscheidung freiwillig getroffen hat, ungerecht wäre. Prof. Dr. Kadečka drückt diese Gedankengänge wie folgt aus: „Recht und Sitte sind zwei völlig verschiedene Lebensbereiche ᾠ es soll auf das Pathos der Strafe verzichtet werden und das Phantom der Gerechtigkeit durch den Gedanken der Zweckmäßigkeit ersetzt werden ᾠ die Rechtfertigung der Strafe liegt nicht in der Willensfreiheit, sondern in der sozialen Notwendigkeit, den Charakter des Täters zu korrigieren oder ihn, wenn dies nicht mehr möglich ist, durch dauerndes Einsperren unschädlich machen ᾠ und wenn eine solche Korrektion nicht notwendig ist, ist von Strafe abzusehen ᾠ der Täter wird nicht für die in der Vergangenheit liegenden Verfehlungen, sondern zur Verhütung künftiger Rechtsbrüche gestraft.”

Prof. Dr. Nowakowski stellt in der oben zitierten Schrift diese Fragen wie folgt dar: „Der strafrechtliche Schuldbegriff muß auf die Feststellung verzichten, daß der Täter auch imstande gewesen war, seinen Willen richtig zu bestimmen ᾠ ob man ihm deshalb die Bezeichnung .Schuld’ versagen will, ist nur eine Frage der Terminologie — die Strafe ist nicht nach dem Maß der Schuld, sondern nach der Gefährlichkeit zu bemessen, und sie ist im Rahmen des Wertadäquaten spezialpräventiv ᾠ” Allerdings anerkennt Professor Dr. Nowakowski den für ihn am schwersten wiegenden Einwand dagegen, daß eine Auffassung, die den Vergeltungszweck der Strafe verneint und die Schuld von der Freiheit zum „Auch-anders-Können” löst, mit dem derzeitigen allgemeinen Rechtsempfinden unvereinbar ist. Er gibt zu, daß die kulturell überkommene, derzeitige unmittelbar wirksame

Werthaltung die Strafe als Vergeltung verlangt und darnach die Schuld als Mißbrauch der Wahlfreiheit verstanden wird. Allerdings hofft Prof. Nowakowski, daß diese Auffassungen des Volkes umgewandelt werden können. Damit gibt aber Prof. Nowakowski zu, daß die im Entwurf offengelassenen Grundfragen über Menschenbild, Schuld und Strafe nicht der Auffassung der Mehrheit unseres Volkes entsprechen, sondern, seiner Meinung nach, ihr vorauseilen.

Wohl haben sich die oben angeführten Gedankengänge der beiden gelehrten Väter des Entwurfes in der vorliegenden Fassung nicht zur Gänze, wohl aber in einem beachtlichen Ausmaß mit den Ansätzen zur Fortentwicklung in dieser Richtung durchsetzen können.

In welchem Umfang sind diese Grundgedanken im Entwurf verwirklicht?

a) Im Gegensatz zum § X StG. fällt nach § 7 E. der Vorsatz „wenn der Täter das Übel bedacht oder beschlossen hat” nur noch zur Last und nicht mehr zur Schuld. Schuld im herkömmlichen Sinn ist sittlicher Tadel, Last lediglich ein Einstehenmüssen für den Erfolg ohne Tadelscharakter.

b) In besonders leichten Fällen (§ 42 E.) kann von Strafe abgesehen werden, wenn sie dem Täter nicht zum Vorwurf gereichen. Damit wird ex- pressis verbis Schuld ohne Vorwurf in das Strafgesetz eingeführt.

c) Die bedingte Strafnachsicht ist nach dem Entwurf bei allen Straftaten möglich, also auch bei lebenslanger Strafe, da diese bis auf ein Jahr her- absetzbar ist und der bedingte Strafaufschub bis zur Strafdauer eines Jahres zulässig ist.

d) Die echte bedingte Verurteilung im Sinne unseres § 13 JGG ist für Heranwachsende bei allen Delikten und nun auch für Erwachsene bei allen Delikten mit Strafdrohung bis zu fünf Jahren möglich.

e) Durch Einführung der Einheitsstrafe. Es soll nach dem Entwurf nur die Einheitsstrafe „Gefängnis” mit Ausnahme der kurzen „Schockstrafen” (Arrest) geben. Durch das Aufgeben der Strafartdifferenzierung wird aber auf ęį . beachtliches Mittel d.er.Wert- gliederüng der Größe der Schuld und des Wertes des vorletzten .Rechtsgutes verzichtet.

f) Durch eine wesentliche Verminderung der als Verbrechen qualifizierten Straftaten. In einem gewissen Ausmaß ist dieses Bestreben begrüßenswert, wie überhaupt eine Herabsetzung der meisten bisherigen Strafrahmen auf das üblicherweise tatsächlich verhängte Strafausmaß positiv zu beurteilen ist. Aber es ist auf die Gefahr hinzuweisen, daß, wenn eine Straftat, die bisher als Verbrechen qualifiziert war, in Hinkunft nur noch als Vergehen gelten soll, damit im Volke der Eindruck einer Abwertung des geschützen Rechtsgutes erweckt werden kann. Dies trifft vor allem auf die nur noch als Vergehen zu ahndenden Tatbestände der Tötung aus Mitleid und der Abtreibung der Leibesfrucht zu.

g) Durch Abgehen von der bisherigen Dreiteilung Verbrechen, Vergehen und Übertretung und durch Gliederung nur noch in Verbrechen und Vergehen, womit eine wesentliche Verschiebung des Verwerflichkeitscharakters einer Reihe von Straftaten verbunden ist.

h) Durch Einführung der allgemeinen Strafzumessungsregel des § 34 E. Bei der Strafbemessung hat das Gericht hauptsächlich abzuwägen, ob die Tat mehr auf eine den Anforderungen des Gemeinschaftslebens feindselige oder gleichgültig gegenüberstehende Einstellung des Täters oder mehr auf äußere Ursachen zurückzuführen ist, die ihm nicht zum Vorwurf gereichen. Hierin wird wieder der Gedanke der Schuld ohne Vorwurf normiert.

i) Durch Umbenennung der Delikte, wofür im Interesse der Allgemeinheit kein Anlaß besteht. Der Mord wird in vorsätzliche Tötung umbenannt, sofern diese Tötung „nicht durch die Niedrigkeit des Wesens des Täters charakterisiert wird”. Totschlag soll, im Gegensatz zum bisherigen Totschlag, der nunmehr Körperverletzung mit tödlichem Ausgang heißen soll, Tötung im Affekt benannt werden, und der bisherige räuberische Totschlag nennt sich schlicht „schwerer Raub”.

j) Die Strafdrohungen des Entwurfes stehen in keiner richtigen Relation zu den verletzten Rechtsgütern. Es ist vor allem eine Überbewertung des Eigentums gegenüber dem Leben und der Gesundheit wahrzunehmen.

k) Durch Fallenlassen der „Scha- densgutmachung nach Kräften”, als Voraussetzung der Verfolgungsverjährung und der bedingten Entlassung. Letztere Änderung wurde bereits bei der Novelle 1960 berücksichtigt. Es wird daher auch in den Fällen, in denen der Täter ohne Gefährdung seiner eigenen wirtschaftlichen Existenz bzw. der seiner Familie in der Lage wäre, den Schaden gutzumachen, darauf verzichtet.

1) Durch Vermehrung der Ermächti- gungs- und Antragsdelikte, womit eine gefährliche Ungleichheit der Behandlung der Täter, je nach ihrer Vermögenslage, verbunden sein wird. Die Opfer werden in vielen Fällen ihren Verzicht auf Strafverfolgung von überhöhten Forderungen abhängig machen, womit der wirtschaftlich Schwächere immer benachteiligt sein wird und womit häufig Erpressungen verbunden sein werden.

m) Dadurch, daß die Unterbringung in einer Maßnahme (§ 25 und 28 2. Abs. E.) auf die verhängte Strafe angerechnet werden soll, schwinden die Grenzen zwischen Verschulden und Gefährlichkeit im Strafvollzug völlig, wenn sie auch bei der Urteilsfällung noch berücksichtigt wurden.

n) In der Überbetonung der Täterkomponente gegenüber der Tatkomponente im Entwurf, womit fälschlicherweise der Entwurf als Täterstrafrecht bezeichnet wird.

Auswirkungen und Gefahren

Ich möchte nun auf die Gefahren noch hinweisen, die damit verbunden sind, wenn an Stelle des in unserem Staatsvolke verwurzelten Gerechtigkeitsbegriffes als sittlichen Wertbegriffes die Ordnung der Zweckmäßigkeit tritt, die Schuld des ihr bisher anhaftenden Vorwurfes amputiert wird und die Strafe fast nur auf die Besserung des Täters, wie die Medizin auf den Kranken, ohne Sühnecharakter und ohne Ausgleich gegenüber dem verletzten Rechtsgut und gegenüber der Rechtsordnung abgestimmt wird. Wie leicht können vor allem den politisch Andersgesinnten mit dem Hinweis auf Zweckmäßigkeit Maulkörbe angelegt und die politischen Gegner im Falle der Unverbesserlichkeit in zeitlich unbegrenzte Sicherheitsverwahrung genommen werden. Mit der Ausklammerung der sittlich verantwortlichen Willensentscheidung ‘wird der Mensch entpersönlicht und der Weg für den verstaatlichten Herdenmenschen und das Kollektiv vorbereitet. Die Folge davon ist eine Umwälzung unserer Gesellschaftsordnung. Wenn es die Rechtsordnung nicht mehr wagt, bei Fehlentscheidungen zu untersuchen, ob sich der Täter auch anders hätte verhalten können, wird die bisherige Einstellung des Volkes, was offenbar beabsichtigt ist, zu den gemeinschaftswidrigen und rechtsgüterverletzenden Entscheidungen umwälzend geändert werden. Bisher hat die Schande, die mit der Übeltat verbunden war, den Übeltäter vielfach innerlich mehr berührt als die verhängte Strafe, und die befürchtete Schande hat ihn oft vor Übeltaten abgehalten. Mit diesen neuen Grundgedanken soll der Verbrecher sozusagen gesellschaftsfähig gemacht werden. Nach dieser Grundhaltung muß aus Humanität dem Täter das gleiche Bedauern wie dem Opfer entgegengebracht werden. Daher ist es auch nur allzu verständlich, daß der Entwurf grundsätzlich bestrebt ist, den Täter, die Täterkomponente zu berücksichtigen und das Diffamierende soweit wie möglich zu mindern. Lediglich bei wiederholt Rückfälligen kennt der Entwurf das außerordentliche Erschwerungsrecht aus dem Grundgedanken der besonderen Gefährlichkeit. Es ist zu befürchten, daß bei Gesetzwerdung des Entwurfes eine wesentliche Steigerung der Kriminalität erfolgen wird.

Änderung des Menschenbildes

Sind die im Entwurf verankerten neuen Grundgedanken des Rechtes wirklich nach dem Stand der heutigen Wissenschaften in die Zukunft weisend, das heißt so modern, daß man erwarten kann, daß dieses neue Straf- recht im Laufe der nächsten Generation in Österreich seine innere Berechtigung finden wird? Die deutsche Strafrechtskommission hält einhellig am Gedanken des Schuldstrafrechtes fest, und auch fast alle deutschen Strafrechtsgelehrten bejahen die Willensfreiheit. Interessant ist, daß auch das sowjetrussische Täterstrafrecht den rückläufigen Weg vom Täterstrafrecht zum Schuldstrafrecht genommen hat und seit 195 3 darin ausdrücklich festgehalten wird, daß das Ausmaß der Strafe sich nach der Größe der Schuld und nicht nach der Gefährlichkeit des Täters zu richten hat.

Es ist auch auf sämtlichen Wissensgebieten eine völlige Änderung des Menschenbildes des vergangenen Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Sinne einer Vergeistigung des menschlichen Seins wahrnehmbar. Das Menschenbild eines Franz v. Liszt, das auf rein empirischen Grundlagen fußt, wird als überholt betrachtet, und man muß daher zumindest Zweifel daran hegen, ob die neuen Grundgedanken der Rechtsordnung wirklich in die Zukunft weisen oder ob es nicht Relikte einer vergangenen Zeitepoche sind.

Auszug aus einem Vortrag des Staatsanwaltes Dr. Josef Zarl vor dem Salzburger JuHstenverband. (Die Zwischentitel stammen von der Redaktion.)

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