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Schule männlich, Schule weiblich

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Ein interessantes Buch gibt Einblicke über die Situation von Mädchen und Buben, ihre Vorteile und ihre Benachteiligungen in den heimischen Klassenzimmern.

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Ein interessantes Buch gibt Einblicke über die Situation von Mädchen und Buben, ihre Vorteile und ihre Benachteiligungen in den heimischen Klassenzimmern.

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Veronika, sieben Jahre, kommt verzweifelt aus ihrem Zimmer. „Mama, ich find' nichts! Ich soll mir eine Geschichte aus dem Lesebuch heraussuchen, für morgen, zum Vorlesen. Aber ich find' nichts!” „Aber mein Schatz, das gibt's ja gar nicht! Zeig mal her!” Veronika reicht mir ihr Lesebuch. „Da ist das Kapitel, aus dem ich mir was aussuchen soll.” Ich lese: Alle arbeiten. Ich lese weiter und erkenne: Der Bauer arbeitet. Der Müller arbeitet. Der Bäcker arbeitet. Der Flugkapitän arbeitet. Der Lokomotivführer arbeitet. Die Müllmänner arbeiten. Der Polizist arbeitet. Und dann ist das Kapitel aus. „Verstehst du, Mama. Da ist nichts für mich dabei!”

Mit dieser Erzählung beginnt Angelika Paseka, Mitherausgeberin des Bandes Schule weiblich - Schule männlich, ihren einleitenden Beitrag zum Bericht über eine Untersuchung von Mathematikschulbüchern, aus dem hervorgeht, daß Frauen, mehr noch als Mädchen, in benachteiligter Weise dargestellt werden: „Frauen werden fast immer in einer passiven Bolle dargestellt”, schreiben die Autorinnen, und weiter: „Ignoriert werden einerseits die Doppelbelastung durch Familien- und Erwerbsarbeit, andererseits die Möglichkeit von Frauen, in mittlere und höhere Positionen aufzusteigen.”

Angelika Paseka weist in ihrem Artikel daraufhin, daß sich einiges geändert hat: Seitdem Veronika keine Geschichte im Lesebuch finden konnte, die für sie geeignet gewesen wäre, seien fast acht Jahre vergangen, und in der Neuausgabe des Lesebuches aus dem Jahre 1992 kämen auch berufstätige Frauen vor.

Dennoch - und das ist der Grundtenor des Buches - sei in der Frage der Gleichberechtigung und vor allem der Gleichbehandlung von Mädchen und Buben, Frauen und Männern in allen Bereichen des Bildungswesens noch sehr viel zu tun. Viele der Aussagen lassen aufhorchen. So berichtet etwa Heidi Schrodt, Direktorin des Gymnasiums Rahlgasse, von Beschwerden, mit denen Mädchen zu ihr kamen: „Mädchen wurden nicht nur heruntergemacht, verspottet, mußten Zerstörungen an ihren Schulsachen hinnehmen, sondern sie mußten sich auch unter die Röcke greifen lassen.”

Der Titel des Buches „Schule weiblich - Schule männlich” deckt möglicherweise dennoch nicht die richtigen Erwartungen im Leser, denn in manchen Beiträgen gewinnt man dann den Eindruck, daß sich die Autorinnen und Autoren vor allem mit erste-rem Teil des Titels eingehend auseinandersetzen und den Teil „Schule männlich” insgesamt ein wenig vernachlässigen.

Doch die Direktorin der Schule Bahlgasse nimmt in ihrem Beitrag den Titel sehr genau und berichtet nicht nur von Projekten, die an ihrer Schule speziell für Mädchen organisiert wurden - darunter auch eine reine Mädchenklasse an der sonst ko-edukativen Schule - sondern schreibt weiter:

„Schon bald war mir sowie den in der Mädchenarbeit tätigen Lehrerinnen an der Schule klar, daß wir nur sehr begrenzte Erfolge erzielen können wenn nicht parallel dazu gezielt mit den Buben gearbeitet würde.”

Die Arbeit mit den Buben begann, auch eine Bubenklasse wurde eingerichtet, die sich organisatorisch als notwendig erwies. Mit den Projekten versucht die Verfechterin der gemeinsamen Erziehung von Mädchen und Buben in Zusammenarbeit mit den beteiligten Lehrerinnen und Lehrern eine Veränderung der Koedukation zu bewirken, die den geschlechtsspezifischen Problemen in der Erziehung besser Rechnung trägt, als die bisher übliche und gebräuchliche Form der - wie sie die Autorin nennt - „Konstruktion”.

Machtinstitution

Zu finden ist in dem Buch auch ein sehr interessanter Streifzug durch die historische Entwicklung des Berufes der Lehrerinnen, der von den Anfängen bis in unsere heutige Zeit reicht, und den die Autorin, Angelika Paseka, einen „Exkursionsbericht” nennt.

Über „die Vereinnahmung von Müttern durch das System” weiß Barbara Schratz-Hadwich, Mutter und engagierte Elternvertreterin, in ihrem Beitrag über die Tätigkeiten der Mütter im Schulbereich zu berichten. Sie kommt zu dem Schluß, daß die Gesellschaft, die Frauen als Schattenarbeiterinnen im Bereich der Bildungsinstitutionen ausbeute, sei, „was sie nicht mehr zu sein vorgibt: eine patriarchalische Herrschaftsund Machtinstitution”.

Das Buch, das einen Einblick in die Problematik der Gleichberechtigung der Geschlechter im Bildungswesen bietet, ist sehr spezifisch gehalten und für im Bildungsbereich Tätige, sowie für sehr engagierte Eltern interessant.

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