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Schwerpunktbildung und Tradition

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Die klassische Universität umfaßt vier Fakultäten. Jede Fakultät bildet vornehmlich Angehörige eines von der Gesellschaft dringend benötigten Berufszweiges aus; die medizinische Fakultät den Arzt, die philosophische Fakultät den Lehrer an einer höheren Schule, die rechtswissenschaftliche Fakultät den Juristen und die theologische Fakultät den Priester. Auch bei einer rigoros durchgeführten Konzentration und Schwerpunktbildung im Hochschulwesen werden alle österreichischen Volluniversitäten auch in Zukunft diese besonders benötigten Fachkräfte ausbilden müssen.

Die zunehmende Spezialisierung in unserer Zeit hat aber zur Ausbildung einer großen Zahl von Spezial-studienrichtungen im Rahmen der erwähnten Fakultäten geführt. Sicher gab es früher auch „reine Philosophen“, die mit ihrem Studium an der philosophischen Fakultät keineswegs den Beruf eines Lehrers an einer höheren Schule anstrebten. Es ist sicher auch nicht alleinige Aufgabe der Universitäten, eine Berufsausbildung für Praktiker zu vermitteln.

Bei der riesigen Hörerzahl und bei der schrecklichen Uberfüllung der rechtswissenschaftlichen Fakultäten und der Hauptstudienrichtungen der philosophischen Fakultät werden sich die zur Entscheidung berufenen Dienststellen aber doch die Frage vorlegen müssen, ob die Errichtung von Lehrkanzeln und Instituten etwa für Orientalistik an allen österreichischen Universitäten tatsächlich notwendig ist. Auf Grund der verbesserten Verkehrsverhältnisse, auf Grund des ausgebauten Stipendienwesens und der doch recht beachtlichen Zahl von Studentenheimplätzen ist es möglich, an einer einzigen österreichischen Universität einen Schwerpunkt' für Orientalstudien zu schaffen. An einer anderen Universität wird man einen Schwerpunkt für Osteuropastudien und an einer dritten Universität einen besonderen Schwerpunkt für das Studium der Archäologie errichten.

Keine Universität sollte durch eine Schwerpunktbildung abgewertet werden. Im Gegenteil — die Schwerpunktbildung ermöglicht eine gerechtere Behandlung der Universitäten in den österreichischen Bundesländern, als dies bisher der Fall war. Wenn jede Universität jedes Fach vertreten haben will, dann werden die besten Kräfte natürlich eine Berufung an die Universität Wien vorziehen. Der notwendige gesunde Föderalismus auch im Hochschulwesen wird durch die Schaffung von Forschungsbrennpunkten auf gewissen Gebieten in den Bundesländern erreicht. Man kann auch einmal Wiener Studenten zumuten, gewisse Fächer in Innsbruck oder Salzburg zu studieren.

Wie es heute das wirtschaftswissenschaftliche Studium nur an der Universität Innsbruck gibt, und wie die zeitungswissenschaftliche Ausbildung ein Speziflkum der Universität Wien darstellt, so werden In Zukunft viele Spezialstudiengänge zu konzentrieren sein. Voraussetzung ist die Auswertung der Forschungserhebung des Unterrichtsministeriums, die Erstellung eines Planes für die Arbeitsteilung im Hochschulwesen, die Abstimmung dieses Planes mit den akademischen Dienststellen und, nach Genehmigung, die strikte Einhaltung durch das zur Entscheidung berufene Unterrichtsministerium bei allen Anträgen auf Neuerrichtung von Lehrkanzeln und Instituten und bei allen Berufungen. Es wird nämlich auch für den Erfolg der Schwerpunktbildung entscheidend sein, ob es gelingt, bei Besetzungsvorschlägen für vakante Lehrkanzeln die Fachleute zu berufen, die auf Grund ihres Spezialgebietes zur Ausprägung der jeweiligen Schwerpunkte einer Universität besonders beitragen können. Wenn die Osteuropaforschung ein Schwerpunkt der Universität Wien sein sollte, wird man gut daran tun, auch bei der Besetzung zumindest einer geographischen Lehrkanzel dafür zu sorgen, daß ein Osteuropaspezialist gewonnen werden kann.

Die Einhaltung eines solchen Schwerpunktprogrammes wird dem Unterrichtsminister auch dann, wenn das Programm im Einvernehmen mit der Planungskommission der Rektorenkonferenz erstellt wurde, nicht leichtfallen. Es gibt zu viele Sonderinteressen und kleinliche Lokalerwägungen. Es steht auch fest, daß ein solches Programm nicht in einem Jahrzehnt verwirklicht werden kann. Im Interesse der österreichischen Hochschulen darf aber auch keinen Moment mit der Ausarbeitung des Programmes gezögert werden. Wenn im Jubiläumsjahr der österreichischen Hochschulen der Unterrichtsminister und der Vorsitzende der Rektorenkonferenz über die Durchführung eines Schwerpunktprogrammes einig sind, besteht doch berechtigte Hoffnung, daß dieses bedeutende Jahr zum Anlaß für eine neue erfolgreiche Entwicklung im österreichischen Hochschulwesen genommen wird. Nur so wird es möglich sein, die geringen Mittel des Staates extrem sparsam und sinnvoll zu verwalten. Vielleicht ist es aber auch möglich, wie das Beispiel Linz zeigt, durch die Schaffung von Forschungsschwerpunkten in aufgeschlossenen Bundesländern den Druck auf Instanzen und Länder mit geringer Spendenfreudigkeit zu verstärken und sie im Interesse der Wissenschaft und Hochschulen zu einer Änderung ihrer Haltung zu bewegen.

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