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Schwierige Gespräche mit dem Ayatollah-Staat

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Es war eine erfolgreiche Konferenz, denn wir sind einander in offener und konstruktiv-kritischer Weise begegnet", blickt Professor Andreas Bsteh, Leiter des Religionstheologischen Instituts St. Gabriel, auf die erste iranisch-österreichische Dialogveranstaltung zurück. Unter dem Generalthema „Gerechtigkeit" orteten Ende Februar in Teheran Experten aus beiden Ländern Problemfelder in den internationalen und interreligiösen Beziehungen und erarbeiteten Ansätze zu ihrer Bewältigung. Bei dem bewußt unter Beiziehung von Kulturwissenschaftern, Juristen, Politologen und Theologen „interdisziplinär" angelegten Symposium waren sich die Teilnehmer darin einig, daß Christentum und Islam aufgrund ihrer weltweiten Verbreitung eine besondere Verantwortung haben. Für beide Religionen gibt es den Begriff einer Mensch-heitsfamilie, wo ein Gott der Schöpfer aller ist. Darüber, wie die Verantwortung konkret realisiert werden kann, gingen die Standpunkte jedoch auseinander. So kristallisierten sich drei Spannungsfelder heraus.

1. Die Bewahrung der eigenen Identität in einer gemeinsamen „Weltkultur": Die islamischen Gelehrten äußerten die Sorge, daß angesichts der zunehmenden Globalisierung der Welt die eigene Identität kaum bewahrt werden könne.

2. Die Spannung zwischen Theonomie und Autonomie: „Das Christentum hat lange Zeit jede Autonomie als Abfall von Gott verurteilt. Eine ähnliche Gefahr gibt es derzeit sicher auch in der islamischen Welt", unterstrich Professor Bsteh. Man könne nicht die Bibel oder den Koran als Maßstab dafür nehmen, was heute in der Wirtschaft, in der Politik und in der Kultur zu tun sei. Ein religiöser Mensch müsse neben den Heiligen Schriften seiner Religion auch die Eigengesetzlichkeit und die Autonomie der Welt ernst nehmen. Der Leiter des Instituts in St. Gabriel legte diesen Standpunkt auch in einem Interview mit dem iranischen Fernsehen dar, als er gefragt wurde, ob der westliche Mensch nicht von Gott abgefallen sei, weil er sich ganz dem technischen Fortschritt verschrieben habe.

3. Entterritorialisierung der Religionen: „Religionen können nicht nach dem früheren Grundsatz ,cuius regio - eius religio' bestimmte Gebiete für sich beanspruchen", erklärte Bsteh. Die Religionsfreiheit müsse überall gelten. Dieses Grundrecht sollte auch der Iran anerkennen.

Die österreichische Delegation war sich bei der Vorbereitung bewußt, daß die Auseinandersetzung mit iranischen Gelehrten eine Gratwanderung sein würde. Dennoch wollte sie auch heikle Themen zur Sprache bringen. Während der Diskussionen seien die Positionen daher oft verhärtet ge-wesen. Es stand dann Meinung gegen Meinung, etwa als die Österreicher die Universalität der Menschenrechte und die Religionsfreiheit einmahnten. Der Kirchenrechtler an der juridischen Fakultät in Wien, Richard Potz, erinnerte in seinem Referat daran, daß der Iran viele Errungenschaften des modernen westlichen Staats (Polizei, Armee) übernommen habe, allerdings nicht die im Westen hinzu-entwickelten Korrektive (Demokratie, Menschenrechte). Für den Wiener Politologen Heinrich Schneider sei das „Aufregendste in Teheran" die Entdeckung der „großen geistlichen Spannweite unter den Ayatollahs" gewesen. Einmal verließ ein iranischer Gelehrter aus Protest den Saal, weil einer seiner muslimischen Kollegen für die Gewissensfreiheit eintrat. Von diesem Vorfall abgesehen überwog bei den Gastgebern der Wunsch, die christliche Position besser verstehen zu lernen. Dies zeigte sich auch am großen Interesse der Öffentlichkeit. Rundfunk und Fernsehen berichteten ausführlich über die Tagung. Die österreichischen Teilnehmer konnten die Bitten um Interviews und Statements kaum bewältigen. „Dabei war es uns möglich, auch bei heiklen Themen offen und ausführlich unsere Positionen darzulegen", sagte Bsteh. Die Referate und die auf Tonband aufgezeichneten Diskussionen werden demnächst veröffentlicht. Deren Auswertung soll auch die Grandlage für die nächste Konferenz bilden, die dann in Wien stattfinden wird.

Der Gesprächsprozeß mit dem Religionstheologischen Institut St. Gabriel ist eine der ersten großen Initiativen Teherans, mit katholischen Experten zusammenzuarbeiten. Das vatikanische Sekretariat für den Dialog mit Nichtchristen würdigt die Vorreiterrolle Österreichs. Die Kooperation geht auf den früheren Außenminister Alois Mock zurück. Dieser bat vor fünf Jahren das Institut in St. Gabriel, sich mit den Problemen im Nahen Osten auseinanderzusetzen. Im Frühjahr 1993 wurde in der Wiener Hofburg die vielbeachtete Tagung „Friede für die Menschheit" organisiert. Vier Monate später fragte der iranische Außenminister an, ob nicht eine Zusammenarbeit zwischen Teheran und dem Institut in St. Gabriel möglich wäre. Es folgte ab Jänner 1995 ein Jahr intensiver Vorbereitung für das jetzt abgehaltene Symposium.

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