Sechs Empfehlungen aufgrund der offiziellen Evaluation

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1999/2000 wurden die damals 94 Schulversuche Ethikunterricht im Auftrag des Unterrichtsministeriums evaluiert. Die Ergebnisse davon bleiben auch für heute richtungweisend.

Vor zehn Jahren führte ich die Evaluation der damals 94 Schulversuche Ethikunterricht durch - mittlerweile sind es mehr als 200. Wir befragten alle Ethikschüler/innen und ihre Lehrer/innen. Obschon anfänglich viele Schüler den Freistunden nachtrauerten, erhielt Ethik gute Noten. Die Schüler attestierten dem Fach, es trage wesentlich zur Allgemeinbildung bei (auch und gerade über die Weltreligionen und das Christentum), es ermuntere zu eigenständigem Urteilen in ethischen Fragen, stärke Toleranz, vom vielfältigen Wissen ganz zu schweigen. Unvergesslich bleibt mir eine Wiener Schülerin: "Seit ich in Ethik gehe, sehe ich in meinem Leben überall Ethik.“

Ethikunterricht leitete zur Toleranz an

Besonders aufschlussreich war eine - nur in Salzburg mögliche - Studie über soziomoralische Einstellungen. Nach einem zusätzlichen Jahr Ethikunterricht waren ausländerfeindliche Stereotype signifikant geringer, aber auch das fürs Jugendalter typische relativistische Lebensgefühl ("Es ist sowie alles gleichgültig“), ökologische Handlungsbereitschaft hingegen ausgeprägter. Auch die Lehrenden registrierten Wünschenswertes, etwa in einer multireligiösen Ethikgruppe, in der sich die Schüler - auch aus zerstrittenen Regionen Ex-Jugoslawiens - reserviert gegenüberstanden. Nachdem die Ethiklehrerin Toleranz thematisiert hatte, schwanden die Vorurteile.

Aufgrund derartiger Befunde kam ich zu folgenden Empfehlungen:

1. Ethikunterricht hat sich bewährt, auch in der Perspektive der meisten Schüler; er sollte, wie mittlerweile in allen EU-Staaten, ins Regelschulwesen überführt werden.

2. Endgültig zu verabschieden ist die Bezeichnung "Ersatzfach“, ursprünglich von der Kirche favorisiert, nicht nur, weil "Ersatz“ stets zweitrangig ist, sondern auch, weil Ethik kein Ersatz für Religion ist - Ethik beansprucht keine Antworten auf Fragen wie: "Warum sind wir hier? Was kommt nach dem Tod?“ Darüber hinaus provoziert "Ersatzfach“ früher oder später Klagen konfessionsloser Eltern, warum ihre Kinder "Ersatz“ für etwas frequentieren müssen, was nicht das ihre ist.

3. Religions- und Ethikunterricht wären als "alternative Pflichtgegenstände“ einzurichten, das heißt freie Wahl.

4. Die angemessene Bezeichnung wäre "Ethik und Religionskunde“, um Schülern von Anfang an deutlich zu machen, dass - wie in allen österreichischen Ethik-Rahmenlehrplänen vorgesehen - auch Religion zur Sprache kommt. Mag sein, dass individuelle Religiosität privat ist, niemals aber Religionen als soziale, weltanschauliche und politische Kräfte, über die die Schüler Bescheid wissen müssen.

5. Von Anfang an ist eine gediegene Ausbildung der Ethiklehrer zu gewährleisten, um zu verhindern, woran der Ethikunterricht in Deutschland krankte: die Einsicht, dass man mit ein paar Seminaren und Spiegel-Artikeln dieses Fach nicht zufriedenstellend unterrichten kann. Am angemessensten ist ein interfakultärer Fachbereich an den Universitäten, unter Partizipation von Philosophie, Moral- und Sozialpädagogik, Religionswissenschaft.

6. Reflektiert wurde im Evaluationsbericht auch die Relation von Religions- und Ethikunterricht. Ersterer hat gemäß empirischen Studien gute Resonanz, er zielt religiöse Mündigkeit an, Allgemeinbildung, Toleranz, er nimmt die plurale Lebenswelt ernst und ist nicht indoktrinär, die in ihm thematisierte Ethik nicht irrational. Dieser auch pädagogisch begründete Religionsunterricht zieht harsche erzkatholische Kritik auf sich: Keine Verkündigung - man lese den von Weihbischof Laun in kath.net publizierten Brief einer Religionsschülerin! Eine repräsentative Studie mit 700 Religionslehrern in Österreich zeigte: Gut zwei Drittel verfolgen mit ihrem Religionsunterricht "intensiv/stark“ das Ziel, dass Schüler/innen "sich im Pluralismus positionieren und verständigen lernen“, aber nur 29 Prozent, dass sie "die Glaubenslehre der Kirche kennenlernen“. Auch Religionslehrer, wenn sie entsprechende Qualifikationen erwerben, sollten mit Ethikunterricht betraut werden können.

Die mittelfristige Perspektive

Mittelfristig erhoffe ich mir für Österreich, das schon längst pluralisiert ist, an der Sekundarstufe ein Fach wie "Ethik und Religionen“. Ein solches Fach, letztlich verantwortet vom Staat, wäre in Kooperation mit den Religionsgemeinschaften zu entwickeln, aber auch den Mitbürgern ohne religiöses Bekenntnis, derer immer mehr werden. Gewiss, eine gewaltige Herausforderung, die in meinem katholisch geprägten Heimatkanton Luzern bewältigt wurde: Alle Gymnasiast/innen besuchen dort "Ethik und Religionen“, mittlerweile auch die Primarschüler. Anstatt die Schüler in zwei oder noch mehr Gruppen aufzuteilen, in denen vielfach das Gleiche gelernt wird, blieben sie beisammen und könnte eintreten, was in anderen multireligiösen Lerngruppen auch geschehen ist: Dass die eigene weltanschaulich-religiöse Identität in der Begegnung mit anderen profiliert und zugleich Toleranz praktiziert wird - von den Ersparnissen ganz zu schweigen.

Der Autor ist Prof. f. Religionspädagogik an der Kath.-Theol. Fakultät der Uni Salzburg

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