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Sie kriegen nicht das beste Eck' vom Käs'

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Nach vorsichtigen Schätzungen sind österreichweit etwa 20.000 Menschen obdachlos. Etwa 1.000 von ihnen leben in Vorarlberg.

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Nach vorsichtigen Schätzungen sind österreichweit etwa 20.000 Menschen obdachlos. Etwa 1.000 von ihnen leben in Vorarlberg.

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Eigentlich passen sie nicht ins Bild vom sauberen Ländle. Und manchen Bürgern sind sie bestimmt auch ein Dorn im Auge. Gemeint sind jene Menschen, die laut österreichweiter Definition als „Sandler” durch die Gassen und Wälder ziehen. Daß die Zahl jener Menschen, die nicht „das beste Eck' vom Käs'” genießen, auch im Ländle immer größer wird, stellt Sozialpolitiker und Sozialarbeiter vor eine neue Situation.

„98 Menschen kontaktierten bis September dieses Jahres zum ersten Mal in ihrem Leben die Teestube, eine Beratungseinrichtung für Obdachlose in Feldkirch”, berichtet Gernot Jo-chum-Müller von der Caritas der Diözese Feldkirch.

Diese Zahl an sich läßt nichts Dramatisches ahnen. Dem Sozialarbeiter Jochum-Müller bereitet sie allerdings Kopfzerbrechen. „1992 hatten wir über das ganze Jahr nur 30 Erstkontakte zu verzeichnen. In diesem Jahr liegen wir bereits im September mehr als dreimal so hoch.” Damit komme eine vorarlbergweite Tendenz immer mehr zum Vorschein: „Obdachlosigkeit ist im Vormarsch”. Die Vorstellung, daß sie nur einen ganz kleinen Teil der Bevölkerung betreffe, sei längst passe. Jochum-Müller: „Die Männer, Frauen und Kinder, die in den Einrichtungen der Caritas ein-und ausgehen, haben noch vor kurzem gelebt wie Otto Normalverbraucher und jetzt sind sie froh, bei uns einen Tee trinken zu können”.

Ein großes Problem sieht Jochum-Müller in der Vorarlberger Wohnungssituation. „Nirgendwo ist Bauen und Wohnen in Österreich so teuer wie in Vorarlberg. Wir liegen weit über den Preisen von Salzburg oder Wien. Wie soll sich in dieser Situation ein obdachloser Mensch wieder eine Existenz aufbauen?” klagt der Sozialarbeiter im furche-Gespräch.

Eine diskriminierende Besonderheit gebe es in Vorarlberg auch beim Zugang zu gemeinnützigen Wohnungen. „Berücksichtigt werden dort nur Personen, die in der jeweiligen Gemeinde gemeldet sind. In manchen Gemeinden wird sogar vorgeschrieben, daß Wohnungswerber über Jahre hinweg in der Gemeinde ihren Hauptwohnsitz haben müssen. Wohnungslose können sich dafür allerdings nicht anmelden und sind somit auf den extrem teuren Privatwoh-nungsmarkt angewiesen. Sie können sich vorstellen, welche Chancen hier ein Obdachloser hat”, konkretisiert der Caritas-Mitarbeiter das Problem.

Neben den Beratungsstellen der Caritas gibt es weitere Institutionen und Vereine, die sich in Vorarlberg professionell und engagiert einsetzen. Als ein Pionier der Obdachlosenarbeit gilt der in Dornbirn tätige Kaplan Emil Bonetti. Sein Lebenswerk „Das Haus der jungen Arbeiter” gibt es seit 1957 und bietet derzeit zirka 140 Personen Unterkunft, Verpflegung, Betreuung und Arbeit. Ein großer Teil der Hausinsassen arbeitet als Lohnarbeiter in der hauseigenen Werkstatt oder ist zur „Arbeitserprobung” bei Vorarlberger Firmen beschäftigt. In der Landeshauptstadt Bregenz sind vor allem der Verein DO WAS (Der Ort für Wohnungs- und Arbeitssuchende) und das Kolpinghaus zu nennen. Der

Verein DOWAS bietet neben ambulanten Diensten (Beratungsstelle und Treffpunkt für Obdachlose) betreute Wohnformen (Wohngemeinschaften, Notschlafstellen ...) sowie zwei Arbeitsprojekte (Schlosserei und Tischlerei). Das Kolpinghaus Bregenz versteht sich, laut Hausleiter Raimund von der Tannen, zwar nicht primär als Anlaufstelle für Obdachlose, sondern bemüht sich um die klassischen Bereiche der Resozialisation (Eingliederung in den Arbeitsprozeß, Alkoholabstinenz ...) „Sollte sich ein Obdachloser zu uns verlaufen, wird er auch nicht abgewiesen” betont von der Tannen.

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