Sind Schulen „kinderreif“?

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Was müssen Kinder zum Schuleintritt eigentlich können? Die Diskussion um das verpflichtende Kindergartenjahr und Bildungspläne verunsichert einige Eltern.

Manch fünfjähriges oder sechsjähriges Kind kann schon ein paar Wörter schreiben und besucht mit Begeisterung einen Englischkurs für Vorschulkinder, ein anderes Kind kraxelt zu dieser Zeit auf Bäumen herum, zeichnet gerne Männchen mit Hals und Rumpf, den Namen schreiben kann es noch nicht. Und ein drittes hat wieder andere Talente und Fähigkeiten. Sie alle werden in wenigen Wochen, im Frühjahr, mit ihren Eltern in ihre künftige Volksschule gehen, mit der dortigen Direktorin oder dem Direktor alleine oder in einer Gruppe ein Gespräch führen, um ihre Schulreife festzustellen. Ob sie schulreif sind, wird vom Gesamteindruck des Kindes und von Basiskompetenzen abhängen, nicht so sehr von einzelnen konkreten Fertigkeiten oder Wissen, wie Fachleute betonen. Doch welche Basiskompetenzen sind gefragt und in welchem Ausmaß?

Diese Frage macht einige Eltern unsicher. Das verpflichtende Kindergartenjahr soll, glaubt man den Ankündigungen, bald umgesetzt werden, begleitet von Forderungen nach einem einheitlichen Bildungsplan; und ab und zu ist auch schon das Wort „Standard“ gefallen. Manche Eltern zucken bei dem Wort zusammen und fürchten eine zunehmende Verschulung des Kindergartens und Leistungsdruck. Die Unsicherheit mündet in die Frage: Was muss eigentlich mein Kind können, wenn es in die Schule kommt? Über die Qualität der Betreuung und Förderung sei bisher zu wenig gesprochen worden, beklagen Fachleute, so wichtig die bisherigen Themen auch seien, wie Betreuungsquote, -plätze oder Öffnungszeiten.

Länder basteln an Bildungsplan

Diese inhaltliche Diskussion gibt es nun, wenn sie auch bisher kaum zum öffentlichen Thema wurde. So haben sich die Bundesländer zusammengetan, um einen Bildungsplan für die vorschulische Bildung zu erstellen. In Wien etwa wurde auch an einem neuen Leitfaden für die Schulreifefeststellung getüftelt, der als Anregung für Schulleiter und -leiterinnen gedacht ist. Darin enthalten: Basiskompetenzen, die sich Kinder bis zum Übergang in die Volksschule angeeignet haben sollten (siehe unten).

Etwas verwirrend ist die Diskussion um einen Bildungsplan für Kindergärten. Ein solcher wurde von Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) angekündigt, vor allem im Zusammenhang mit dem verpflichtenden letzten Kindergartenjahr, das im Herbst Realität werden soll. Auch als jüngst die EU-Studie „Early Childhood Education and Care“ Österreich ermahnte, vor allem bei den unter dreijährigen Kindern mehr Förderung zu bieten, wiederholte Schmied die Ankündigung, dass es einen österreichweiten Bildungsplan für Kindergärten geben werde. Daran arbeiten die Länder nun auch, die für Kindergärten zuständig sind. Ob sich der Bund daran beteiligt und mit den Eckpfeilern zufrieden ist, wird gerade diskutiert, ist aber noch nicht völlig geklärt. Schmieds Büro gab dazu bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme ab.

Der Bildungsplan sei als Rahmen gedacht, der Raum für Länderspezifika lasse, erklärt Martina Grötschnig vom Kinderbildungs- und -betreuungsreferat des Landes Steiermark und Koordinatorin des Bildungsplanes. „Es geht um die Positionierung des Kindergartens als elementare Bildungseinrichtung und als fixer Bestandteil im österreichischen Bildungssystem.“ Der Bildungsplan sei grundsätzlicher als bisher bestehende Pläne (von Wien oder Kärnten).

Es gehe nicht um Standards, was ein Kind in einem bestimmten Alter können muss; es sei kein Lehrplan, es werde festgelegt, was „elementare Bildung“ heiße, erläutert Grötschnig. Eltern sollten wissen, was genau ein Kindergarten sein soll und was er leisten könne: Kindergarten wird als familienergänzende Bildungseinrichtung verstanden.

Erarbeitet wird der Bildungsplan vom Charlotte Bühler-Institut für praxisorientierte Kleinkindforschung in Wien. Dieser soll im Herbst fertiggestellt sein. Was soll also der Kindergarten leisten? „Er soll Kinder ihrem Potenzial entsprechend möglichst individuell und flexibel fördern“, sagt Michaela Hajszan vom Charlotte Bühler-Institut. Neben Basiskompetenzen gehe es auch um sogenannte „Transitionskompetenzen“: Der Kindergarten sollte Kinder dabei unterstützen, mit Übergängen umgehen zu lernen, etwa beim Schuleintritt. Das sei eine gemeinsame Aufgabe von Kindergarten, Familie und Schule. Hajszan betont aber, dass es nicht heißen dürfe, der Kindergarten soll immer mehr leisten, ohne über ein Mehr an Ressourcen für Kindergartenpädagoginnen zu diskutieren.

Die Ressourcenverteilung, etwa der Betreuungsschlüssel, bleibt aber weiterhin Ländersache und daher auch unterschiedlich. Das wird vielfach kritisiert. Ebenso moniert wird die niedrige Bezahlung der Pädagoginnen und Pädagogen. Deren universitäre Ausbildung – von Fachleuten gefordert – ist nun in Planung.

Ein anderes Bild vom Kind

Auch in Wien wurde an den Inhalten der vorschulischen Bildung gearbeitet. Nach dem Bildungsplan wurde nun ein Leitfaden zur Schulreifefeststellung erstellt. Dieser sei aber nur als Empfehlung für die Schulleiter gedacht, um nicht nur die Schulreife festzustellen, sondern auch um die individuelle Förderung des Kindes besser einschätzen zu können, erklärt Regina Grubich-Müller, Wiener Bezirksinspektorin und Leiterin des Referats für Schulversuche und Schulentwicklung im Bereich der Pflichtschulen des Stadtschulrates Wien. In den letzten zehn bis 20 Jahren habe sich eine andere Pädagogik durchgesetzt: Weg vom passiven Sitzen, Abschreiben und Wiedergeben hin zu mehr selbsttätigem Lernen. Daher habe es auch den Bedarf nach neuen Anregungen zum Thema Schulreife gegeben. Aber es wäre ohnehin besser, nicht mehr von „Schulreife“ zu sprechen, sondern davon, wie „kinderreif“ die Schule sei, meint Grubich-Müller.

Einen solchen Paradigmenwechsel wünscht sich auch Daniela Pichler-Bogner, Obfrau der Pikler-Hengstenberg-Gesellschaft: Das Bild vom kompetenten Kind sollte sich in Krippen und Kindergärten durchsetzen. Die Förderung des selbstbestimmten Lernens durch eine freie Bewegungsentwicklung des Kindes ist zentrales Anliegen der Pikler-Gesellschaft.

Dass vorschulische Pädagogik diskutiert werde, sei zwar positiv, so Pichler-Bogner, aber es müsse mehr um die Inhalte gehen; man müsse sich konkret anschauen, was die Entwicklungsbedürfnisse der Kinder seien. Es müssten auch wissenschaftliche Erkenntnisse stärker in die Praxis einfließen. „Da hinkt Österreich weit hinten nach.“

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