Sitzenbleiben weitgehend abgeschafft

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Die Koalition nimmt der Opposition den Wind aus den Segeln. Was die Grünen kürzlich forderten, setzen SPÖ und ÖVP wenige Tage später um. Zumindest fast.

"Ich fordere die Lehrkräfte auf, generell Schülerinnen und Schüler mit nur einem Nicht Genügend aufsteigen zu lassen.“ - Mit diesem Appell rückte der grüne Bildungssprecher Harald Walser ein Thema in den Mittelpunkt, das angesichts der nahenden Sommerferien vielen Schülern, Lehrern und Eltern Kopfzerbrechen bereitet. "Wegen einer Schwäche in einem einzigen Fach alle anderen, positiv abgeschlossenen Fächer ein ganzes Jahr lang wiederzukäuen, ist leistungsfeindlich, demotivierend und darüber hinaus teuer“, so Walser.

Derzeit entscheide die Klassenkonferenz - also alle Lehrer einer Klasse -, ob Schülerinnen und Schüler mit einer negativen Note zum Aufstieg bereit sind - auch ohne den berühmten "Nachzipf“. Von dieser gesetzlichen "Aufstiegsklausel“ profitieren 12.500 Betroffene pro Jahr - etwa die Hälfte aller Schüler mit einem Fünfer.

"Wir sind einen Schritt weiter“

Dass die einen Glück haben und andere nicht, hänge von der Schule und dem Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern ab, klagt Walser: "Das ist ungerecht und sachlich nicht zu rechtfertigen.“

Bildungsministerin Claudia Schmied (SPÖ) ist den Überlegungen der Opposition nicht abgeneigt, will jedoch die Klassenkonferenz nicht voll ausschalten: "Wir sind bereits einen Schritt weiter.“ Das betonte sie am Dienstag bei einer Pressekonferenz mit den Bildungssprechern der SPÖ, Elmar Mayer, und des Koalitionspartners ÖVP, Werner Amon. Es werde zum jetzigen Zeitpunkt keine generelle Abschaffung des Sitzenbleibens geben; jedoch solle dieses (vorerst) an den Oberstufen soweit als möglich unterbunden werden. Darüber herrschte beim gemeinsamen medialen Auftritt im Unterrichtsministerium koalitionäre Einigkeit.

Geplant ist, dass zwischen Herbst 2012 und Herbst 2016 an allen Oberstufen - also in den Schulstufen neun bis dreizehn der AHS, BMS und BHS - ein neues System zum Tragen kommt. Schülerinnen und Schüler, die in einem Fach ein Nicht Genügend erhalten, sollen jedenfalls in die nächste Schulstufe aufsteigen dürfen. "Positive Leistungen bleiben erhalten“, negative werden ausgebessert. Schulversuche hätten gezeigt, dass bis zu 60 Prozent der Klassenwiederholungen obsolet würden.

Möglich wird das durch die weitgehende Umstellung auf modularen Unterricht. Wer etwa in Mathematik ein Modul nicht schafft, wird - mitunter wieder über den Sommer - den Stoff nachholen und im Herbst darüber geprüft werden. Wenn das schief geht, bleibt der oder die Betroffene "im Klassenverbund“ und versucht es weiter.

Begabte können Matura vorziehen

"Bis zu drei oder vier Mal“, wie Amon präzisiert, wonach es weitere Hilfe gibt: die Wahl eines anderen Prüfers. Der Prüfungsstoff soll zusätzlich zum Regelunterricht nachgeholt werden, wenn es etwa um ein Modul aus dem Wintersemester geht, auf das bekanntlich keine langen Ferien folgen. Dafür werden Lehrkräfte zum Nachhilfeunterricht verpflichtet.

Auch innerhalb des Semesters soll es modulare Unterteilungen geben. Wer Modul eins (von mindestens zweien) in Mathematik nicht packt, darf wie alle Mitschüler am Unterricht und an den Prüfungen für Modul zwei teilnehmen. Diese Möglichkeit ist für bis zu drei negativ beurteilte Fächer vorgesehen. Darüber hinaus sei das Wiederholen der Schulstufe unausweichlich, da die Zusatzbelastung einfach zu hoch werde.

Um das Gesicht der ÖVP zu wahren, die sich in der Vergangenheit gegen eine Abschaffung des Sitzenbleibens gewehrt und den Leistungsgedanken hoch gehalten hatte, verwies Amon auf die Wirkung des modularen Systems in zwei Richtungen: Wer besonders begabt ist, wird künftig auch Module vorziehen können - bis hin zur frühzeitigen Absolvierung von Teilen der Reifeprüfung.

Dass die Unterstufen in diese Überlegungen noch nicht eingebunden sind, habe in erster Linie mit der altersbedingt noch weniger vorhandenen Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler zu tun, erklärten die Politiker unisono. Allerdings ei es auch so, dass die Problematik des Sitzenbleibens vor allem eine der höheren Schulstufen ist.

Neben der genannten Reform wurde auch die Ausweitung des integrativen Unterrichts - also die Betreuung von Schülern mit besonderen Bedürfnissen - über die achte Schulstufe hinaus präsentiert. Das wurde in polytechnischen Schulen und in Haushaltsschulen erfolgreich getestet.

Im "Jahr der Bildungsreform“ verwies man auch auf Erfolge der jüngeren Vergangenheit: Die neue Mittelschule wird ausgebaut und umfasst bis 2016 alle Hauptschulen; die Mitverwendung von Landeslehrern im Bundesdienst wurde (gegen die Opposition) im Nationalrat beschlossen. In Arbeit sind u.a. die "Mittlere Reife“, sowie die Langzeitbaustellen Lehrer-Dienstrecht sowie Aus- und Weiterbildung der Lehrer.

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