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Sorgen am Minoritenplatz und im Stadtschulrat

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Es mag kein Zufall gewesen sein, daß an einem Tage, nur durch einen Häuserblock getrennt, der Bundesminister für Unterricht, Dr. Drimmel, und der geschäftsführende Präsident des Stadtschulrates für Wien, Doktor Z e c h n e r, Bilanz legten: der Minister über die sorgenvolle Lage der berufsbildenden Schulen in Oesterreich, der Stadtschulrat über die gesamten Wiener Schulen.

Die Volkszählung von 1951 wies 51.328 In-, genieure und Techniker sowie rund 30.000 Absolventen der mittleren technischen Lehranstalten auf. Bei einem . Abgang von 4 Prozent bedeutet die letztere Zahl, daß in Oesterreich ein jährliches Nachwuchserfordernis von 1200 Fachleuten erwächst. Im Bundesvoranschlag sind für diese Anstalten 127,8 Millionen vorgesehen. Dennoch herrschen an den technischen und gewerblichen Mittelschulen ernstere Verhältnisse als sonstwo. Im Vordergrund steht die Unzulänglichkeit der Räume. Sorge macht ferner, daß die gegenwärtige Kapazität den Bedarf nicht zu decken vermag und daß den Anforderungen der Elternschaft nicht Rechnung getragen werden kann. Die Schulen sind infolge ihrer mangelnden Kapazität gezwungen, Jahr für Jahr qualifizierte Bewerber abzuweisen, wodurch die Nachwuchsfrage in ein kritisches Stadium gelangen muß.

Neue Schulen können so lange nicht errichtet werden, als die bestehenden Anstalten der Erneuerung bedürfen und die Gehaltsfrage nicht in einer differenzierten Form gelöst ist. Für die Sanierung unzulänglicher Räume wäre eine Summe von 250 Millionen Schilling nötig; dazu kommt, daß die Geräte den Erfordernissen unserer Zeit nicht gewachsen sind. Neben dem baulichen Zustand und neben der Ausrüstung ist die Internatsfrage zu lösen. Solange diese drei Erfordernisse nicht befriedigend gelöst werden, sei — wie der Minister in ernster Stimmung erklärte — an eine gedeihliche Entwicklung des technisch-gewerblichen Schulwesens nicht zu denken. Zur Abhilfe sei nunmehr für das technisch-gewerbliche Schulwesen im Unterrichtsministerium die Bildung eines Fachbeirates vorgesehen. Es wird Sache der Experten sein, dem Ernste der Situation Rechnung zu tragen, und zwar rasch, ohne den üblichen Kompetenzhader, l

Der geschäftsführende Präsident des Stadtschulrates, Dr. Z e c h h e r, berichtete über die Entwicklung der Wiener Schulen seit 1945. Bei Kriegsschluß waren von den 413 städtischen Schulgebäuden mit ihren 4630 Klassenzimmern 36 gänzlich zerstört, 68 schwer und 112 leicht beschädigt. Intakt geblieben war nur ein Fünftel der Klassenzimmer, vorwiegend in den ländlichen Randbezirken. Im Mai 1945 befanden sich in Wien 70.000 Pflichtschüler. Im Herbst des gleichen Jahres (Rückkehr der Landverschickten und Kriegsflüchtigen) zählte man 90.000, 1951/52 wurde der Höchststand 160.34S erreicht. Künftig wird nur mit einem Durchschnitt von 80.000 zu rechnen sein. Man wird daher Schulen auflassen und pragmatisierte Lehrer und Lehrerinnen in Tagesheimstätten und Schullandheimen verwenden müssen. Das Bedenklichste aber ist wohl, daß der volkspolitisch so bedeutsame Lehrberuf bei der heranwachsenden Jugend angesichts dieser geringen Anstellungsmöglichkeiten mehr und mehr den Anreiz verlieren wird.

Die Durchschnittsschülerzahl je Klasse beträgt in den Volksschulen 32,5, in den Hauptschulen 31,2, in den Mittelschulen 32. Wenn man in der eigenen Erinnerung zurückgeht, dann weiß man, daß beispielsweise Obermittelschulklassen mit 25 Schülern der erstrebenswerte Durchschnitt sowohl für den Lehrer als auch für den Schüler' sind. Der Hinweis darauf, daß es in den westlichen Ländern höhere Durchschnittszahlen gibt, enthebt uns keiner Verpflichtung, denn wir sind der Meinung, daß gerade Wien und Oesterreich durch ihre Schulen bekannt sind. Seit der Erhöhung des Kulturbudgets steht für die vom Bund unterhaltenen Mittelschulen (Wien übt nur die Schulaufsicht aus) zwar mehr Geld zur Verfügung; die Raumverhältnisse sind aber unzureichend. Fünf Mittelschulen in Wien haben überhaupt kein eigenes Gebäude!

Ein Kapitel für sich in den Pflichtschulen ist das Inventar. Es ist in Lehrerkreisen (aber auch bei den Eltern) bekannt, daß mitunter Mädchen der Hauptschule neben die Bank treten mußten, wurden sie aufgerufen; in der Bank konnten sie nämlich nicht stehen. Seit September 1948'werden nun nur noch Tische und Sessdl angekauft.

Der Klassenlektüreplan der Ersten Republik ist überholt. Es liegt die Neuplanung von 100 Bänden vor; sechs sind bereits erschienen (sie sehen graphisch-technisch recht, anziehend aus), zwölf sind im Druck. Die L e h r-mittelsammlungen waren 1945 größtenteils veraltet. Hier sind immer noch Rückstände aufzuholen.

Es gäbe noch weitere Fragen. Wir haben bei der Konferenz in der Bankgasse, wo Wien über Haben und Soll berichtete, bloß zwei aufgeworfen: Die Wiedereinführung der 5. Volksschulklasse und die Abschaffung des 2. Klassenzuges in der Hauptschule. Wir erhielten bedauerlicherweise auf keine der zwei Fragen eine befriedigende Antwort.

Die Kaiserin Maria Theresia hat im Geiste gelächelt. Denn sie sagte ja: „Die Schule ist ein Politikum.“

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