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Sorgen zu Schulbeginn

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Raum, Heizmaterial, Unterrichtsbehelfe, Lehrkräfte waren für die ersten Nachkriegsjahre die Probleme, von deren positiver Lösung der Unterricht überhaupt abhing. In erster Linie waren es die Lehrer, die damals ohne ausreichende Unterstützung durch die Behörden, unbeirrt durch die Umstände, dafür sorgten, daß die Jugend wieder lernen konnte. Wer die Jahresberichte der österreichischen Schulen, die seit 1946 wieder in immer größerem Ausmaß erscheinen, durchblättert, muß mit Bewunderung für jene Männer und Frauen erfüllt werden, die damals mit ihrer Hände Arbeit Schutt wegräumten, Stück für Stück ihrer Sammlungen wieder zusammentrugen und in Ermanglung von Lehrbüchern die so selbstverständlichen Hektogramme aus eigener Tasche bezahlten, da die Schulbehörden dafür auch nicht einen Bogen Papier liefern konnten. Es muß das einmal offen gesagt werden. Nicht nur, weil durch äußerst unglückliche amtliche Formulierungen die pädagogische Neigung und Eignung insbesondere der Mittelschullehrerschaft vor der Öffentlichkeit in ein eigenartiges Licht gestellt worden ist: aui einer Tagung der Landesschulinspek-toren- verstieg sich noch dazu einer der Inspektoren zu der Bemerkung, er habe seit 1945 noch keine anständige Unterrichtsstunde gesehen!

Uber die Entschlüsse dieser Tagung, die inzwischen auch schon im Verordnungsblatt des Unterrichtsministeriums erschienen, sei bei anderer Gelegenheit gesprochen; heute sollen vorerst einmal jene Sorgen untersucht werden, die beim heurigen Schulbeginn auftauchten und zum Teil die Frage aufwarfen, ob es sich dabei nur um Schönheitsfehler oder um ernster zu nehmende Symptome handelt.

Hieher gehören vor allem die beängstigende Steigerung der Kosten für Schulbücher und Hefte, aber auch die Probleme der äußeren und inneren Organisation.

Die erste Frage geht naturgemäß die Eltern an, denn man überläßt es ganz ihnen, wie sie dem Rat der vereinigten Schulbücherverlage: „Eltern, ermöglicht euren Kindern die Anschaffung der vorgeschriebenen Lehrbücher!“ Folge leisten. Es heißt dann weiter: „Wer den Wunsch hat, daß sich sein Kind in der Schule ein gediegenes Wissen für das Leben erwirbt, sollte alles daransetzen, ihm das nötige Rüstzeug — das Schulbuch — zu verschaffen,“ Wer hätte diesen Wunsch nicht? Aber — was kostet die Befolgung dieses Appells? Darüber gibt der gleiche Katalog gründlich Auskunft. Der Vater setzt sich also hin, rechnet und rechnet und kommt dabei auf folgende Summen:

1. Klasse: 157 S 5. Klasse: 192 S

2. Klasse: 132 S 6. Klasse: 239 S

3. Klasse: 206 S 7. Klasse: 237 S

4. Klasse: 75 S 8. Klasse: t34 S

Diese Ziffern sind für ein Gymnasium berechnet, gelten aber analog auch für die anderen Mittelschultypen. Dazu kommen noch die Atlanten im Preis von 128 Schilling, die Wörterbücher für 90 Schilling und verschiedene Lesetexte, die in dem genannten Katalog für Deutsch zusammen 194, für Englisch 188 und für Französisch 54 Schilling kosten. Hefte werden um etwa 50 Schilling benötigt. Diese hohen Anschaffungskosten fallen in Lebensjahre der Schüler, in denen diese wegen ihres körperlichen Wachstums fast jedes Jahr völlig neu mit Wäsche und Kleidung ausgestattet werden müssen. Im Vergleich dazu ist das Schulgeld in der Höhe von 90 Schilling pro Jahr ein nur geringer Posten. Der Ersatz, den die Kinderbeihilfe bietet, reicht gerade, um die tägliche Milch und das Gabelfrühstück für die Schüler zu decken. Die Preise der Schulbücher gelten dazu nach einer Bemerkung des Verlagskatalogs nur für die noch lagernden Bestände, die Neuauflagen werden also noch teurer sein. Die Kosten sollen nun von jenen Schichten unseres Volkes getragen werden, die trotz des nur auf Erwerb bedachten Zeitgeistes Wert darauf legen, daß ihre Kinder Kenntnis von den ewig gültigen Werken und Ideen der Menschheit, den letzten Fragen unseres Daseins erhalten, von jenen Vätern und Müttern, die Kultur höher einschätzen als Zivilisation! Wenn der Staat in der Lage ist, enorme Summen für den Sport zu vermitteln, so muß er auch Mittel und Wege finden, die hohen Druckkoslen für Schulbücher — die Gründe hiefür sollen hier nicht weiter untersucht werden — so weit zu subventionieren, daß der Aufwand der Eltern für die Anschaffung der Bücher in erträglichen Grenzen bleibt. Es müßte weiter zu erreichen sein, daß die Papierzuweisungen für die Drucklegung so rechtzeitig erfolgen, daß die Bücher auch wirklich zu Schulbeginn vorliegen, ohne daß durch Uberstunden der Druckereien in den Urlaubsmonaten und durch forcierte Propaganda der Verlage die Kosten noch gesteigert werden.

Ein nicht minder wichtiges Anliegen ist eine bessere Organisation der notwendigen Renovierungen der Schulbauten und der Zuteilung von Lehrkräften.

In einer ganzen Reihe von Schulen waren heuer die Bauarbeiten zu Schulbeginn entweder noch im Gange oder wurden gar erst begonnen Den Betroffenen blieb es sodann überlassen, zu klä-.ren, ob zu späte Planung der zuständigen Ämter oder Terminversäumnisse der beauftragten Firmen die unleidlichen Zustände verschuldeten. In manchen Fällen scheint man überdies beim Bauen mehr auf bestechende Augenblickseindrücke und weniger auf Zweckmäßigkeit und Dauer bedacht gewesen zu sein. Der Unterschied zwischen Anstalten, die anscheinend zu Paradezwecken mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet werden, und anderen, die kaum den primitivsten schulhygienischen Anforderungen genügen, klafft beängstigend weit auseinander. Ferner: Ein Streit über die Zuständigkeit dürfte nicht so weit führen, daß beispielsweise eine Wiener Mittelschulklasse in einem Kellerraum mit dem Ausblick auf die Ruinen des ehemaligen Turnsaals zusammengepfercht wurde, nur um die Miete für einen Raum in einer benachbarten Privatschule in der Höhe von 1000 Schilling pro Jahr zu ersnaren! Zieht man einen Vergleich zwischen den mustergültigen Ein-richtimnen der Priva'schiilen, die 1945 mit wesentlich weniger Mitteln als die staatlichen Schulen von Grund auf neu beginnen mußten, mit denen der öffentlichen Schulen, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier verborgene Fehlerquellen in der Etaterstellung vorliegen müssen.

Zuletzt sei noch auf die auch in diesem Jahre unzureichende Zuweisung von Lehrkräften verwiesen. Zum Schul-Schluß liegen bereits genaue Berechnungen über die künftige Stärke der einzelnen Klassen und die Lehrfächerverteilung vor. Trotzdem erlebten zum Schulbeginn manche Anstalten, daß plötzlich Klassen aufgelöst wurden, Lehrkräfte noch nicht zugeteilt waren — und dies bei einem in die Hunderte gehenden Angebot an stellenlosen Lehrern! Ist es unbedingt notwendig gewesen, die Rechte untergeordneter Dienststellen auf Anstellung eines Vertragslehrers so weit aufzuheben, daß ein langer Instanzenweg, der durch das Eingreifen politischer Organisationen wesentlich verlängert wird, zurückgelegt werden muß, um eine Stelle lange nach Unterrichtsbeginn zu besetzen? Hier wie auch sonst tritt nun die bedenklichste Erscheinung offen zutage, die in den letzten beiden Jahren besonders die jungen Lehrer betroffen hat: über ihre Anstellung entscheiden vorwiegend Proporz und Fürsprache, weniger Fähigkeit und Prüfungs-alterf wer zu keiner politischen Partei gehört, hat nur wenig Aussicht auf Anstellung; an Beförderung und Berufung an leitende Stelle zu denken, ist aber geradezu staatsgefährliche Vermessenheit.

Hoffen wir, daß die hier gezeigten Erscheinungen vorübergehende Schönheitsfehler sind und nicht Symptome tiefer liegender Krankheiten; wäre das letztere der Fall, würde das Grundgefüge unserer niederen und höheren Schulbildung ernstlich erschüttert.

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