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SOS: Hochschulassistent

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Hier soll nicht vom akademischen Nachwuchs im allgemeinen, sondern vom wissenschaftlichen Nachwuchs gesprochen werden. Konkret handelt es sich um rund 1600 Assistenten, klinische Hilfsärzte und wissenschaftliche Hilfskräfte an den österreichischen Hochschulen.

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Hier soll nicht vom akademischen Nachwuchs im allgemeinen, sondern vom wissenschaftlichen Nachwuchs gesprochen werden. Konkret handelt es sich um rund 1600 Assistenten, klinische Hilfsärzte und wissenschaftliche Hilfskräfte an den österreichischen Hochschulen.

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I.

Vor mehr als 100 Jahren, als Minister Graf Thun die noch heute respektierte Hochschulordnung in Oesterreich einführte, gab es wissenschaftliche Assistenten eigentlich nur bei den Medizinern und anderen naturwissenschaftlichen Fächern. Der größere Teil der Assistenten war in erster Linie nichtwissenschaftlicher Helfer ihres Chefs, etwa in der Stellung eines Laboranten u. ä., bei den Geisteswissenschaftern hauptsächlich eines Bibliothekars usw. Dies hatte solange eine gewisse Berechtigung, als der wissenschaftliche Nachwuchs primär aus den Reihen der unbesoldeten Privatdozenten kam. Als sich dies um die Wende des 19. Jahrhunderts dadurch änderte, daß die wohlhabenden Privatdozenten immer seltener und die an sie gestellten Ansprüche immer größer wurden, wurden gleichzeitig die Assistenten für den wissenschaftlichen Nachwuchs immer wichtiger.

Heute ist es so, daß sich rund 80 Prozent — bei den-Naturwissenschaften! mehr, bei den Geisteswissenschafterri weniger — der derzeitigen Hochschulprofessoren aus ehemaligen Assistenten rekrutieren. In Zukunft wird der Prozentsatz zweifellos noch höher liegen und werden fast nur noch Assistenten als Professoren in Frage kommen. Damit hat sich die Stellung des Hochschulassistenten wesentlich verändert, und diese können sich berechtigt als der wissenschaftliche Nachwuchs bezeichnen.

Dieser Entwicklung wurde nach dem ersten Weltkrieg auch dienstrechtlich insofern Rechnung getragen, als .das Hochschulassistentengesetz 1919, StGBl. Nr. 75, den Anreiz bot, die Stellung des Hochschulassistenten zu einer effektiven ständigen Belassung im Dienste zu gestalten. So konnten nach dem zitierten Gesetz Hochschulassistenten nach Erlangung der Lehrbefugnis als Privatdozent zu, ordentlichen Assistenten aufsteigen und unbeschränkt nach einem dem Mittelschullehrerschema analogen Schema in höhere Gehaltsstufen aufrücken. Das Hochschulassistentengesetz 1934, BGBl. Nr. 329, ging den entgegengesetzten Weg. Es teilte die Hochschulassistenten in drei Gehaltsklassen mit starren Bezugsansätzen ohne Zeitvorrückung ein, wobei die Ernennung in die nächsthöhere Klasse von der Verfügbarkeit eines Dienstpostens abhängig war. In versorgungsrechtlicher Hinsicht hatte der ordentliche Assistent im Falle seines Ausscheidens nach dem Gesetz 1919 Anspruch auf Ruhegenüsse; nach dem Gesetz 1934 reduzierte sich dieser Anspruch auf den Fall der Dienstunfähigkeit. Dieses hatte also verschiedene Härten aufzuweisen und war somit ein Rückschlag. Nach dem zweiten Weltkrieg griff man in Oesterreich vielfach auf die vor 1938 gültigen Gesetze zurück. So baute auch das derzeit noch rechtskräftige Hochschulassistentengesetz 1948, BGBl. Nr. 32, im wesentlichen auf dem Gesetz von 1934 auf und übernahm verschiedene Härtebestimmungen.

II.

Heute sind die Assistenten weitgehend selbständige Träger der Lehre und Forschung geworden, denn nicht wenige Institutsvorstände können seit ihrer Habilitation kaum oder nur wenig Zeit für die Forschung erübrigen. Die Assistenten führen aber vielfach auch eigene Forschungsaufträge verschiedener öffentlicher und privater Stellen durch. Im Bereich der Lehre haben sie selbständig und in alleiniger Verantwortung Hebungen, Seminare Woseminure,

Kurse usw. durchzuführen, die Studierenden zu beaufsichtigen und zu beraten, die schriftlichen Arbeiten zu besprechen, die Dissertanten anzuleiten usw. Gerade in diesem Aufgabenbereich stiegen die Leistungen der Assistenten in den letzten Jahren gewaltig an. Allein die Zahl der Studierenden ist vom Jahre 1955 bis 1959 von rund 18.000 auf beinahe 30.000, also um zirka zwei Drittel, gestiegen. Dies bedeutet ein Ansteigen der Hörer pro Assistent und wissenschaftlicher Hilfskraft von 16 im Jahre 1955 auf 25 im Jahre 1959. Dazu kommt das riesige Anwachsen der ausländischen Studenten. Es ist sicher wichtig, daß viele Ausländer bei uns studieren, denn die Fernwirkungen in die Zukunft sind unabsehbar. Aber dies kann nicht zu Lasten der Assistenten geschehen. Dies um so weniger, als günstige Folgeerscheinungen primär für die österreichische Wirtschaft erwartet werden und die Hochschulen bei uns noch immer Stiefkinder des Wirtschaftswunders und der Hochkonjunktur sind.

Schon die Prozentsätze der Hochschulbudgets vom Gesamtbudget sprechen Bände. So betrug der Anteil der Ausgaben für die Hochschulen und sonstigen wissenschaftlichen Anstalten Oesterreichs am Bundesvoranschlag in den Jahren 1950: 0,81, 1955: 1,01 und 1959: 1,04 Prozent. Obwohl Vergleiche mit anderen Ländern schwierig sind, da dort meist nicht alle Hochschulen und Universitäten staatlich sind, sollen dennoch zwei kleinere, halbwegs vergleichbare Länder Europas angeführt werden. In Norwegen betrugen die entsprechenden Ausgaben im gleichen Zeitraum zwischen 2 und 4 Prozent und in Schweden zwischen 3 und 4 Prozent.

Aber nicht nur die schlechte Dotierung der Institute, bzw. die zu geringe Ausstattung mit Personal und Inventar wirkt sich negativ aus, sondern besonders die schlechte Bezahlung der Assistenten, die weit unter dem internationalen Niveau und der Bezahlung gleichwertiger Kräfte in der Industrie und Wirtschaft liegt.

' So betragen die Monatsbezüge der Assistenten in Oesterreich (brutto): In den ersten zwei Jahren 1950 S, im 3. und 4. Dienstjahr 2075 S, im 5. und 6. Dienstjahr 2325 S.

Wenn ein Assistent über das 6. Dienstjahr hinaus am Institut bleiben will, muß er bis dahin habilitiert sein, da sonst sein befristeter Vertrag normalerweise nicht verlängert werden kann. Wird er nach dem Habilitationsverfahren wieder — wie bisher — auf zwei weitere Jahre verlängert, so bekommt er als Dozent im 7. und 8. Dienstjahr 2950 S. Auf diesen sogenannten sozialen Sprung ist man sehr stolz.

Daraus geht jedenfalls hervor, daß ein Hochschulassistent in Oesterreich erst nach vieljähriger Tätigkeit als hochqualifizierter Akademiker, bestenfalls im Alter von 30 Jahren ein Einkommen erreicht, bei dem er an eine Familiengründung denken kann. Es ist durchaus kein Spaß, wenn es heißt, daß ein junger Wissenschaftler solange vom Vater erhalten werden muß, bis ihn der Schwiegervater übernimmt.

III.

Eine schwere ideelle Bedrückung für den wissenschaftlichen Nachwuchs ist die Nichtachtung der geistigen Leistung. Es ist oft unmöglich, wissenschaftliche Erkenntnisse, die man in jahrelanger Arbeit gewonnen hat, zu publizieren. Da der Kreis der Fachleute und damit der Abnehmer eventuell gedruckter Abhandlungen sehr klein ist, ist infolge zu geringer Auflage eine Drucklegung auf kommerzieller Basis nicht möglich. Es müßten daher entsprechende Mittel für diesbezügliche Subventionen bereitgestellt werden. Auch die Anschaffung von Rotaprintmaschinen, die einwandfreie Druckwerke liefern, könnte an einzelnen Fakultäten Abhilfe schaffen. Bei dem ganzen Problem bereiten aber psychologische Momente die größeren Schwierigkeiten für junge Forscher. Es scheint nämlich in Oesterreich eine Nationalkrankheit zu sein, daß man erst beachtet wird, wenn man sich im Ausland schon einen Ruf verschafft oder bereits einen grauen Bart hat. Dazu kommt, daß die Mentalität vieler maßgebender Herren noch in der Geschichte wurzelt, wie es überhaupt scheint, daß manche soziale Entwicklung an den Hochschulen unberührt vorübergegangen ist. Wenn der Hochschulassistent die entsprechenden Bewährungsprobe” bestanden hat, muß sein Dienst als echte wissenschaftliche Laufbahn anerkannt und damit auch seine gesellschaftliche Stellung nach innen und außen gehoben werden.

IV.

Dies kann aber nur auf der Grundlage eines modernen Dienstrechtes geschehen. Im obigen Sinne sind zunächst alle diskriminierenden, veralteten Bezeichnungen, wie wissenschaftliches Hilfs personal, Hilfskraft usw., durch sinngemäße, das heißt wirklichkeitsnahe Ausdrücke zu ersetzen. Während bei den Hochschulassistenten die Mindestdienstzeit zur Uebernahme in den Stand eines definitiv pragmatisierten Bundesbeamten, das heißt eines „ständigen Hochschulassistenten“, derzeit nicht weniger als zwölf Jahre beträgt, ist für die Pragmatisierung eines A- oder B-Beamten im sonstigen Bundesdienst nur ein Mindestzeitraum von vier Jahren erforderlich. Es muß daher eine Herabsetzung dieser Frist auf die halbe Zeitspanne, die im Normalfall mit der Habilitation erreicht wird, gefordert werden.

Derzeit werden die Hochschulassistenten nur jeweils auf zwei Jahre bestellt. Eine auf eine bestimmte Zeit eingeengte Bestellungsdauer erscheint in den ersten Jahren durchaus gerechtfertigt, aber nach einem Probejahr erscheint eine Verlängerung der Bestellungsfrist gerechtfertigt, weil dem Assistenten die Möglichkeit gegeben werden muß, sich in Ruhe auf die Habilitation vorzubereiten.

V.

Schließlich seien noch einige konkrete materielle Forderungen angeführt:

1. Umwandlung von mindestens 100 wissen schaftlichen Hilfskraftstellen in Assistentenposten im Rahmen des Dienstpostenplanes 1960.

2. Kollegiengeldbeteiligung für Assistenten, wo dies ihrer Leistung entspricht.

3. Valorisierung der Gefahrenzulage für die Mediziner und Gewährung dieser auch an andere Assistenten, die Gefahren, wie Strahlen, giftigen Dämpfen usw. (Chemiker usw.), ausgesetzt sind.

4. Gewährung einer allgemeinen Mehrdienstleistungszulage bzw. Ueberstundenvergütung als Pauschale für die Ueberlastung der Assistenten mit den vermehrten Hörern und besonders den nichtdeutschsprachigen Ausländern.

5. Angleichung der Bücherzulage an die der Professoren.

6. Vermehrte Ernennung von derzeit nichtständigen zu ständigen Hochschulassistenten.

7. Schaffung von mehr Professuren ad personam.

8. Vermehrte Vergebung von Lehraufträgen an habilitierte Assistenten.

Der „Assistentenverband der österreichischen Hochschulen“, der vor einiger Zeit gegründet wurde, bereits rund 95 Prozent der Assistenten und wissenschaftlichen Hilfskräfte auf freiwilliger Basis in seinen Reihen vereinigt hat und im besten Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Unterricht zusammenarbeitet, wird nichts unversucht lassen, diese Forderungen durchzusetzen. Er wird bereits im Herbst im Rahmen eines Assistententages an die neugewählte Volksvertretung und Regierung mit der Bitte um Abhilfe der Notlage an den wissenschaftlichen Hochschulen Oesterreichs herantreten.

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