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Spätestens 1996 Neuwahlen

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Die Sprecherin der Grünen Österreichs hat Vorbehalte gegen denkbare Partner einer „Ampelkoalition”.

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Die Sprecherin der Grünen Österreichs hat Vorbehalte gegen denkbare Partner einer „Ampelkoalition”.

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diefurche: Sehen sich die Grünen mehr als Partei oder als Bewegung? Madeleine Petrovic: Die Grünen sind sicher beides, wobei wir ohne Zweifel eine Partei sind, die in enger Wechselbeziehung zur grünen Bewegung steht. Das geht soweit, daß es etwa bei der Wahl grüner Kandidatinnen und Kandidaten nicht darauf ankommt ob jemand Mitglied der Grünen Partei ist. Ich bin beispielweise von einer Versammlung gewählt worden, bei der mehr Nichtmitglieder anwesend waren als Mitglieder.

diefurche: Sie haben Leitlinien, aber man wirft Ihnen vor, daß Sie kein ausgereiftes Programm haben... petrovic: Zum einen glaube ich, daß die Leitlinien ein sehr gutes Programm sind, sie sind auch in der Zeit seit der Beschlußfassung um viele wichtige Programmteile ergänzt worden. Vor allem aber mache ich einen großen Unterschied zu allen anderen Parteien: Wir nehmen sehr ernst, was in * unserem Programm steht, die Kluft zwischen unseren geschriebenen Leitlinien und dem, was wir dann in Anträgen in unserer parlamentarischen Arbeit tun, ist relativ gering. Während ich mich schon frage: Was ist aus einer christlich-sozialen Partei mit christlich-sozialen Werten geworden? Was ist aus einer sozialdemokratischen Partei geworden mit ihren Ministern Löschnak und Hesoun? Man kann das Verhalten von Parteien, auch ihre Wertigkeit, nicht nur am geschriebenen Papier überprüfen, sondern, insbesondere was die Regierungsparteien betrifft, auch an dem, was sie tatsächlich tun.

diefurche: Was würden Sie den grünen Hauptgrundwert nennen? petrovic: Das Streben, wieder einen Einklang zwischen dem Menschen und seinen Lebensgrundlagen herzustellen, das heißt gesellschaftliche Lebensformen und wirtschaftliche Arbeitsformen zu finden, die dem Menschen dienen und die Eigeninteressen klar in Unterordnung dazu sehen. In unseren Augen gibt es ein Grundrecht auf Gesundheit, auf Bewahrung der Lebensgrundlagen, das mag für religiöse Menschen auch Schöpfung heißen. Und zu trachten, mit Lebens- und Arbeitsstrukturen nicht andauernd Schäden zu schaffen und dann aus der Schadensreparatur Einkommen zu schaffen. Das ist ein auf falschen - weil rein finanziellen, monetären - Werten beruhendes System. Vom Menschenbild sollte das Individuum im Mittelpunkt der gesetzlichen und politischen Betrachtung stehen und mit seiner vollen Bedürfnispalette, Absicherung von Grundbedürfnis-sen, sozialen Bedürfnissen, Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, ernstgenommen werden. Das heißt für mich, daß Bezugpunkt im Sozialrecht die Einzelperson ist, auch das Kind, als Mensch mit Bedürfnissen, mit finanziellen Bedürfnissen.

diefurche: Ist der Schutz ungeborenen Lebens fiir Sie auch ein Grundwert3

petrovic: Grundsätzlich ja, aber nicht in dem Sinn, daß ich die bestehende Abtreibungsregelung in Frage stelle. Für mich ist das Ganze eine Balance von verschiedenen Werten. Hier gibt es gerade auf Frauen eine massive Pression, und ich bin ganz sicher nicht in der Lage, zu beurteilen ob eine Frau aus welchen Gründen auch immer, diesem gesellschaftlichen Druck, der vielfach ein beinharter ökonomischer Druck ist, gewachsen sein kann oder nicht. Der

Gesellschaft, so wie sie jetzt ist, würde ich jedes Recht absprechen, über auch nur eine einzige Frau ein moralisches Urteil zu sprechen, weil sie abgetrieben hat, denn wir sind nicht in einer wirklich kinderbejahenden und auch die Rahmenbedingungen schaffenden Gesellschaft.

Aber wenn mich eine Frau in einer Notsituation anspricht, dann werde ich ihr raten, wenn sie glaubt, es irgendwie schaffen zu können, sich für das Kind zu entscheiden. Ich kenne keine Frau, die diese Entscheidung, bei allen Schwierigkeiten, letzlich bereut hat. Ich bin auch persönlich bereit, in den Fällen zu helfen, wenn ich es irgendwie kann. Ich würde genauso einer Frau die eine Abtreibung hatte und dann vielleicht nachher Gespräch, Beratung oder ähnliches sucht, nicht mit dem Zeigefinger kommen, sondern ihr genauso meine Hilfe anbieten. Aber ich glaube, daß wir viel zu we-

nig tun, daß es wirklich beschämend ist, wenn nur private Vereine versuchen, über Rechtskonstruktionen, daß Frauen in so einer Situation wenigstens Karenzgeld kriegen. Das ist auch politisch für mich etwas, wo wir von den Grünen hart vorgehen müssen.

diefurche: Bei der Nationalratswahl 94 waren fast 20 Prozent der Grünwähler regelmäßige Sonntagsmeßbesucher, ein höherer Prozentsatz als in allen anderen Parteien außer der OVP. Sind die Christen eine Zielgruppe fiir Sie?

petrovic: Es ist sicher nicht so, daß wir eine bestimmte Religionsge-

meinschaft vereinnahmen wollen, aber daß wir in sehr vielen Werthaltungen doch mit christlichen Werten konform gehen können. Ich glaube, es gibt ja auch in der Kirche eine sehr lebendige Diskussion.

Es ist ein positiver Reflexionsprozeß, daß es sehr klare Gegenpole gibt, zwischen einem doch sehr konservativen Verständnis von Kirche und einem Verständnis, das im anderen Pol, in der Befreiungstheolo-gie, zum Ausdruck kommt, dem ich mich weit näher und mehr verpflichtet fühle — also auch hier auf Erden für Gerechtigkeit zu sorgen und sozialer Ungerechtigkeit entgegenzuwirken.

Das als einen klaren politischen Anspruch auszusprechen, finde ich wunderbar, und daß es solche Kräfte in der Kirche gibt, vor allem dort, wo die Not sehr groß ist wie in den Dritte-Welt-Ländern. Das beweist für mich auch, daß es eine sehr lebendige Bewegung ist und nicht irgendetwas Versteinertes.

diefurche: Wieviel Zeit geben Sie der derzeitigen Koalition noch? petrovic: Wenn Sie mich vor zwei Tagen gefragt hätten, hätte ich sehr sicher getippt, daß wir im Frühjahr 96 wählen, nämlich, daß sie sich noch einmal zu einem Mini-Sparpaket, einem sehr unsozialen, aber auch nicht mehr ergiebigen, durchringen, und dann wäre das bittere Erwachen mit dem Jahresabschluß 95 gekommen. Seit dem gestern hervorgekommenen Skandal und dem sich stündlich verschlechternden Klima gebe ich nicht mehr viel drauf und halte es jetzt schon für sehr wahrscheinlich, daß wir noch im heurigen Jahr wählen.

diefurche: Sind die Grünen dann zur Regierungsbeteiligung bereit? petrovic: Grundsätzlich können wir uns Regierungsbeteiligung vorstellen, wir wollen an sich in die Verantwortung kommen, aber nicht um jeden Preis. Derzeit sehen wir in den bestehenden Regierungsparteien leider keine Partner, die wir, so wie sie heute sind , akzeptieren können. Es müßte insbesondere in der Sozialdemokratie eine große Reformbereitschaft geben, was Privilegienabbau, Rekenntnis zu den Menschenrechten für alle, also auch für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, betrifft. Soziale Mindestabsicherungen, etwa für Frauen mit Retreuungs-pflichten, aber auch für andere, und ökologische Neuorientierungen, Neuorientierungen im Steuersystem - runter mit der Arbeitsbesteuerung und Aufbau einer Energiebesteuerung -, das sind Mindestlatten, die wir derzeit nicht wirklich sehen.

DIEFURCHE:^To liegen die Probleme gegenüber der OVP? PETROVIC: Bei der ÖVP sehe ich nur bei wenigen die Bereitschaft, in Bichtung Grün umzudenken, Teile im Agrarbereich, kritische Bauernvertreter, Kategorie Molterer. Leider sind viele dort schon weggegangen, mit denen wir ein hohes Maß an Gleichklang hatten, etwa ein Christian Brünner, ein Heribert Stein-bauer. Die OVP hat ihre besten Köpfe schon hinauseliminiert, leider, aber es gibt noch immer einige, vor allem in der Frauenbewegung, die eher in Richtung Grün tendieren, sie haben aber derzeit nicht das Sagen. Ob die SPÖ diese Reformbereitschaft noch aufbringt, das ist aus meiner Sicht sehr offen, ich würde keine Wette drauf geben, solange dort noch politische Exponenten wie Löschnak und Hesoun dabei sind.

DIEFURCHE: Vor den Wahlen schien ihre Gesprächsbasis zur Chefin der Liberalen, Heide Schmidt, besser... PETROVIC: Wir haben ein sehr korrektes Gesprächsklima, auch die Zusammenarbeit auf der parlamentarischen Ebene ist absolut gut. Allerdings, programmatisch ist bei den Liberalen noch ein großer Klärungsbedarf durchzuführen. Es stehen Welten zwischen einem Wirtschaftsflügel ä la Haselsteiner, Peter und einem durchaus existenten Öko-Flügel ä la Kier und Barmüller. Wir haben viele Übereinstimmungen mit den Liberalen, aber wenn wir erleben, daß eine Gesetzgebung betrieben wird, die bei den Behinderten, den kinderreichen Familien, den Alleinerzieherinnen, den Arbeitslosen noch was wegstreicht, dann sage ich, das hat nichts mehr mit Sparen zu tun, sondern das heißt: Menschen in die Enge treiben, und was Menschen in der Enge tun, das wissen wir. Sie werden Protestparteien zulaufen, sie werden in radikale Strömungen abgleiten oder zumindest eine Tendenz dazu entwickeln.

Ich sehe auch nicht, wo der liberale Zugang zum Individuum ist. Denn wenn ich sage, ich sichere die Personen, dann muß ich auch für Kinder ein Existenzminimum einführen, denn ich kann ja nicht sagen, das ist nur die Aufgabe der Eltern. Das ist diskriminierend, gerade für kinderreiche Familien. Es käme niemand auf die Idee, einem Mindestrentner, einer Mindestrent-nerin die Ausgleichszulage streitig zu machen, weil er oder sie gut verdienende Kinder hat. Wir sagen, der alte Mensch steht nicht mehr im Erwerbsleben und wird abgesichert. Und Kindern versagen wir dieses Recht. Es ist nicht alleiniger Belang von Eltern, sondern auch Aufgabe einer Gesellschaft, gerade auch im Sinne einer liberalen Wahlfreiheit, zu sagen: Familie zu haben darf nicht so weit diskriminiert sein, daß ich fast mit Sicherheit in Armut abgleite, wenn ich alleinstehend ein Kind habe oder alleinstehend oder auch mit Partner wage, mehrere Kinder zu haben. Das ist aber heute der Fall in Österreich. Daher glaube ich, daß die Liberalen hier einen blinden Fleck haben.

DIEFURCHE: Sie haben also Probleme mit den möglichen Partnern in einer ,^4mpelkoalition ”?

PETROVIC: Auf der derzeitigen Basis gibt es keine Wunschpartner. Im Sinne einer Verantwortung für Österreich müssen die beiden Regierungsparteien, insbesondere die Sozialdemokratie, der ich das noch eher zutraue, und die Liberalen diesen Dialog führen. Denn nichts wäre verheerender, als wenn sich nun so ein Gebilde wie „Ampel” in den Köpfen der Leute als Option auftut und wir dann draufkämen, da sind programmatisch Welten dazwischen.

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