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Sparen, die seltsame Tugend

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Wir sind von klein auf gewöhnt, im Begriff „Sparen" ein Synonym von Ordnungsliebe, Verantwortungsbewußtsein und ähnlichen, edlen Eigenschaften zu sehen. Das Sparen von Geld im Sinn eines kürzer oder länger bemessenen Konsumverzichtes war allerdings noch bis vor wenigen Jahrzehnten das Privileg und damit das Statussymbol einer schmalen bourgeoisen Schicht. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung mußte sich mit der gewöhnlichen „Sparsamkeit“ begnügen, die notgedrungen zu den niedrigen Einkommen von damals gehörte und somit eine Massenerscheinung war.

Das Sparen ist nicht vor allem eine 'Angelegenheit des Charakters und des guten Willens, es bedarf dazu vielmehr eines genügend hohen Einkommens als objektiver Voraussetzung. Die Nationalökonomen sprechen in diesem Zusammenhang vom Sparen als einer Funktion des Einkommens. In den höheren Einkommensklassen ist demnach eine größere „Sparneigung" (Sparmöglichkeit) feststellbar als in den niedrigeren.

Das beachtliche wirtschaftliche Wachstum sowie die Verschiebungen in der Verteilung des Volkseinkommens zugunsten der Unselbständigen haben im Laufe der Zeit die Zusammensetzung der Sparerbevölkerung entscheidend verändert. Die höhere Ergiebigkeit der Wirtschaft und die mehr egalitäre Verteilung der Einkommen hat neue Schichten potentieller Sparer entstehen lassen. Das Sparen wurde gleichsam sozialisiert. Sichtbarer Ausdruck dieser neuen Situation ist neben der breitgestreuten Spärwerbung die zuweilen schon hypertroph anmutende Vermehrung der Geldsammelstellen.

Zwecksparen und Dauersparen

In früheren Jahrhunderten haben die meisten Menschen ihren „Notpfennig“ im eigenen Haus gehortet. Heute ziehen es doch die meisten unserer Zeitgenossen vor, ihre Ersparnisse nicht Unter der Matratze oder in der Kredenz zu. verstecken, sondern sie einem Kreditinstitut zur Verwaltung und Verwertung zu übergeben. Dies ist auch die einzig richtige Form des Sparens von Bargeld.

Der größte Teil der Spareinlagen entfällt erfahrungsgemäß auf das Zwecksparen. Es wird also ein Betrag angespart, um damit ein bestimmtes Gut zu erwerben; sei es nun ein Eigenheim, ein Auto oder ein Fernsehgerät. Die zweite, in Österreich noch ziemlich kleine Gruppe bilden jene Leute, die ihre Ersparnisse fest veranlaget!. Sie kaufen also Aktien, Anleihen oder Pfandbriefe, um ein laufendes Einkommen aus Dividenden oder Zinsen zu erzielen.

Ist Sparen immer gut?

Allein schon diese Frage mutet wie eine Provokation des gesunden Menschenverstandes im allgemeinen und des Bankverstandes im besonderen an. Die Antwort lautet aber trotzdem „nein". Sparen ist also nicht unter allen Umständen von Vorteil. Diese allerdings fundierte Behauptung der modernen Nationalökonomie („Paradoxon des Sparens") widerspricht unserem Gefühl, unserer anerzogenen Wertskala und anscheinend auch unserer persönlichen Erfahrung. Und trotzdem gilt es zu unterscheiden: In der Hochkonjunktur ist die Erhöhung der gesamten Ersparnisse gut, weil sie stabilisierend wirken kann. In einer Depression ist vermehrtes Sparen schädlich, weil es die Nachfrage verringert und dadurch die Krise noch weiter verschärft.

Diese Überlegungen weisen auf die unterschiedliche Wertung wirtschaftlicher Verhaltensweisen vom Standpunkt des einzelnen und der gesamten Volkswirtschaft hin. Natürlich kann es sich dabei nicht um eine Wertung nach den Kriterien der Moral, sondern nur nach jenen der wirtschaftlichen Opportunität handeln. Der einzelne Sparer handelt auf jeden Fall „bona fide". Es kann ihn auch niemand verpflichten, seinen Konsumverzicht konjunkturell abzustimmen.

Das freiwillige Sparen der privaten Haushalte hat eine Reduktion der Nachfrage nach Konsumgütern zur Folge — diese Überlegung gehört heute doch schon fast zum Allgemeingut an ökonomischem Wissen. Allerdings wird dieses Wissen noch kaum gegen die Preissteigerungstendenzen aktiviert. Es tritt daher in vielen Fällen eine weniger erfreuliche Art des Sparens ein, nämlich das Zwangssparen über höhere Preise zugunsten der Händler oder Produzenten.

Warum ist nun in einer Rezession oder Depression ein Anwachsen oder selbst ein Gleichbleiben der Sparneigung wenig vorteilhaft? Deshalb, weil in einer Periode wirtschaftlicher Abschwächung die Nachfrage nach Investitionen (Kapital) ohnehin niedrig ist. Sparen bedeutet nun Konsumverzicht, und dieser hat eine Umsatzverminderung zur Folge. Der Umsatzrückgang läßt jedoch die Gewinnerwartungen der Unternehmer noch wei-

ter sinken, und damit nimmt auch ihre Neigung, zu investieren, das heißt Bankkredit in Anspruch zu nehmen, anhaltend ab. Die Kreditinstitute selbst sind ja auch nicht am Sparen an sich, also an der darin zum Ausdruck kommenden menschlichen Qualität interessiert. Sie wollen vielmehr das ihnen übergebene und auch Kosten (Zinsen) verursachende Geld mit Gewinn weitergeben. Insgesamt kann daher der gesamte Bankenapparat einer Volkswirtschaft nur dann an einer wachsenden Spartätigkeit Freude haben, wenn auch die Verwertbarkeit des Geldes, also die Nachfrage (Investitionsneigung) auf Seiten der Unternehmer gegeben ist. Höhere Konsumausgaben in einer Rezessionsperiode können in der Folge ein günstigeres Investitionsklima schaffen und müßten daher den Kreditinstituten sehr angenehm sein, auch wenn damit vorübergehend ein Absinken der Ersparnisse verbunden wäre.

Im übrigen geht die heute von Seiten des Staates praktizierte Konjunkturpolitik auf die Erkenntnis dieser Zusammenhänge zurück. Bei ab nehmender Investitionstätigkeit der Privaten kann staatlicherseits entweder der Verbrauch stimuliert werden — etwa durch eine Erhöhung der Beamtenbezüge und der Renten- —, oder die öffentliche Hand, die ihre Investitionsneigung nicht an betriebsindividuellen Gewinnerwartungen orientieren muß, erhöht das Investitionsvolumen durch Aufträge für Bahn, Post, Straßen, Schulbauten (isw. Es war die Tragik der Wirtschaftspolitik in den dreißiger Jahren, durch gut gemeinte Sparsamkeit im staatlichen Bereich (Kürzung der Beamtengehälter, Reduktion der Investitionsausgaben und anderes) die Depressionsspirale immer stärker nach unten angezogen zu haben.

Kapitalbildung — Voraussetzung für Expansion

Die Entwicklung der modernen Volkswirtschaften ist die Geschichte des wachsenden Konsumverzichts (Sparens). Absolut wurde dieser Ver zicht immer größer, da die industrielle Produktionsweise immer mehr Kapital verschlang. Gleichzeitig nahm jedoch die Last dieses Verzichts für den einzelnen ab, weil die Ergiebigkeit des ökonomischen Apparats über die für seinen Ausbau erforderlichen Mittel hinausging. Sichtbarer Ausdruck dieser Behauptung ist der im Durchschnitt steigende Lebensstandard in den westeuropäischen Industriestaaten.

Wie wir aus Erfahrung wissen, ist dieser Prozeß auch in unserem Land vor sich gegangen. Allerdings besteht, was den Stand der wirtschaftlichen Entwicklung betrifft, zwischen Österreich und den meisten westeuropäischen Staaten noch ein beträchtlicher Abstand. Die Kapitalausstattung der anderen ist besser, das heißt, ihr Produktionsapparat ist stärker als der unsere. Daher bedarf es massiver Investitionen, um die Konkurrenzfähigkeit in heimischen Unternehmungen sicherzustellen. Die Finanzierung dieser Investitionen geht zu einem guten Teil über die Gewinne (Selbstfinanzierung). Aber diese reicht, wie wir es gerade in letzter Zeit sehen, nicht oder, besser: nicht mehr aus. Es muß daher zusätzliches, langfristiges Kapital aufgebracht werden. Das sparende Individuum oder der sparende Haushalt lieben es jedoch nicht, ihr Geld langfristig zu binden. (Wir bemerkten ja schon, daß es sich hauptsächlich um Zwecksparer handelt.) Es ist nun das Geschäft und die Funktion der Kreditinstitute, die kurzfristig angelegten Gelder in „Kapital“, also langfristige Kredite, zu verwandeln. Von Seiten des Staates bemüht man sich bereits seit einigen Jahren, den privaten Haushalten durch Steuerermäßigungen einen Anreiz zur langfristigeren Bindung ihrer ersparten Beträge zu bieten. Dabei spielt übrigens auch der Gedanke an die Förderung der Eigentumsbildung eine gewisse Rolle.

Die Sparentwicklung in Österreich

Die Spareinlagen bei den österreichischen Kreditinstituten haben in den vergangenen zehn Jahren anhaltend zugenommen. Ihr Wachstum ist zwar, weil der Geldwert nicht stabil geblieben ist, zum Teil nur nominell. Insgesamt sind aber die angesparten Beträge auf jeden Fall und trotz der Geldentwertung mit 46,4 Milliarden Schilling (Juli 196?) um ein Vielfaches größer als etwa Ende 195? (5,1 Milliarden Schilling). Erfahrungsgemäß schreckt die Geldwertminderung, solange sie sich in gewissen Grenzen bewegt, die Sparfähigen und Sparwilligen nicht ab. Auch und vielfach gerade jene nicht, die bereits in früheren Inflationen schmerzliche Verluste hinnehmen mußten.

Die Entwicklung der Spareinlagen wird gerne als Meinungsbarometer des „Volkes“ über die voraussichtliche Entwicklung von Wirtschaft und Währung angesehen. Der diesbezügliche Aussagewert ist allerdings nur sehr beschränkt, da es sich eben um allgemeine Gefühle und nicht um rationale Prognosen handelt. Ein vermindertes Wachstum der gesamten Spareinlagen, wie wir es zuweilen in den letzten Monaten beobachten konnten, bedeutet daher noch keine Hiobsbotschaft.

In der unmittelbaren Zukunft werden wir allerdings auf jeden Fall vermehrten freiwilligen Konsumverzicht gut brauchen können. Nicht nur zur Finanzierung dringender Investitionen in Industrie und Gewerbe. Es geht auch darum, das Defizit im Staatshaushalt soweit als möglich im eigenen Land zu decken. Eine Budgetlücke von 4 oder 5 Milliarden Schilling in der derzeitigen, keineswegs so ungünstigen konjunkturellen Lage wie noch vor wenigen Monaten vorausgesagt, bedarf zu ihrem Ausgleich einer gewissen Verminderung der privaten Konsumgüternachfrage, soll nicht ein neuerlicher kräftiger Inflationsimpuls unsere zaghaften Stabilisierungsansätze zunichte machen. Wenn wir schließlich auf das zitierte „Paradoxon des Sparens“ zurückgreifen, so lautet seine Aussage für die aktuelle Situation in unserem Land: Eine merkliche Erhöhung der gesamten Ersparnisse ist volkswirtschaftlich zweckmäßig, weil dadurch die Finanzierung der privaten und öffentlichen Investitionen gesichert und die Erhaltung der „relativen“ Geldwertstabilität in den Bereich der Möglichkeit gerückt wird.

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