Spielwiese Schulpolitik

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Während wir ständig mit so komplizierten Dingen wie Wirtschaftskrise und Eurostabilisierung behelligt werden, gönnt uns die Regierung Entspannung auf einem Nebenschauplatz: Es gibt wieder einmal eine Schuldebatte.

Die ÖVP hat ein doppeltes Problem: Immer wenn sie modern sein will, wirkt das irgendwie peinlich. Hallo, also … ähm … wir sind ja eigentlich gar nicht so … Stichworte dazu wären: Perspektivenprozess, „moderne konservative Volkspartei“, Andrea Kdolsky. Das ist die eine Seite. Das ginge noch an, stünde dem ein nennenswerter Flügel gegenüber, der ein klar konturiertes liberal-konservatives Profil zeigte. Aber da ist nicht viel. Stattdessen steht dort – symbolisch – Fritz Neugebauer. Und das ist die zweite Seite des Problems. Mit seinesgleichen verkommt das konservative Prinzip, wonach die „Beweislast“ beim „Veränderer“ (O. Marquard) liegt, zur Strategie der Besitzstandswahrung. Statt offensiv für Bewährtes in neuen oder adaptierten Formen zu werben, wird bloß defensiv an Überkommenem festgehalten.

Das Gesamtbild ist verheerend: Als Ergebnis dieser Doppel-„Strategie“ entsteht für den Beobachter der Eindruck, es gehe nur noch um das möglichst unauffällige Räumen längst unhaltbar gewordener Bastionen ohne allzu großen Gesichtsverlust.

Zerrbild des Schulsystems

Besonders schön lässt sich dieser Befund anhand der eben wieder ausgebrochenen Bildungsdebatte exemplifizieren. Seit Jahren eiert die ÖVP hier herum, irgendjemand prescht mit etwas vor, was dem Sinn nach „Gesamtschule“ bedeutet, wie immer es gerade heißt, der Parteichef wiegelt ab, beruhigt, die SPÖ jubelt (aus taktischen Gründen nur verhalten), Alt-ÖVP-ler nicken zustimmend – und Fritz Neugebauer sagt „Njet“. Die üblichen Unverdächtigen greifen zur Feder, um ein Zerrbild des gegliederten Schulsystems, sprich: der AHS, zu zeichnen, vor dem sich dann umso lichtvoller die soziale, durchlässige, integrative, nicht diskriminierende … Schule der Zukunft abhebt. Einigen wenigen Lehrern und anderen Meinungsbildnern bleibt es vorbehalten, ein paar kritisch-skeptische Fragen zu stellen.

Zum Beispiel: Wer garantiert, dass diese gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen auch all das hält, was sie verspricht? Woher kommt eigentlich die Zuversicht, dass die Arbeit in einer Klasse mit Kindern aus unterschiedlichsten sozialen Milieus, mit unterschiedlichsten Kenntnissen der deutschen bzw. der Muttersprache, mit oder ohne Migrationshintergrund, funktioniert, wenn schon der Unterricht selbst an „guten“ Privatschulen, in relativ homogenen Klassen, immer wieder aus dem Ruder zu laufen droht?

Gewiss, die Hauptschule in der Stadt (vor allem in Wien) ist zur Ghetto-Schule geworden, die jeder meidet, der nur irgendwie kann – was sich natürlich auch negativ auf das Gymnasium auswirkt. Aber wenn ich diese „Ghetto-Schule“ mit der AHS-Unterstufe zusammenführe, entsteht doch daraus keine „Neue Mittelschule“, die diesen Namen verdient, geschweige denn ein „Gymnasium für alle“. Im übrigen war sogar einem ORF-Bericht kürzlich zu entnehmen, dass Finnland, das Mekka aller Bildungsexperten, seine Top-Plätze in den einschlägigen Rankings nicht unbedingt der Gesamtschule verdankt, sondern der Tatsache, dass dort weniger Kinder mit Muttersprachproblemen in den Klassen sitzen – und die bei uns vielgeschmähten Sekundärtugenden einen höheren Stellenwert haben.

Ideologisches Ungleichgewicht

Das Grundproblem der Schule heute – und zwar aller Schulformen – ist der geringe Stellenwert, der ihr zukommt und der sich nicht zuletzt in einer gesellschaftlichen Geringschätzung des Lehrberufs, die paradoxer Weise Hand in Hand mit völlig überzogenen Erwartungen geht, manifestiert. Das ideologische Ungleichgewicht der Debatte besteht darin, dass Freiheit, Leistung und Wettbewerb nicht annähernd so engagierte Anwälte haben wie Gleichheit und Integration.

Die neue Schule, die Österreich bildungsmäßig an die Spitze bringt, beginnt in den Köpfen, nicht in sozialtechnokratisch inspirierten Strukturreformen. Diese würden bestehende gravierende Probleme nur verschärfen, ohne dass irgendjemandem damit geholfen wäre.

* rudolf.mitloehner@furche.at

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