Kirchen baut man nicht irgendwohin. Sakrale Bedeutung und seelsorgliche Funktion verlangen für sie einen besonderen Platz. In den alten Dörfern und Städten markierte der Kirchturm den Mittelpunkt der Siedlung, und nur selten wurden an Stelle des zentralen Standortes auch andere Bauplätze gewählt. Dann geschah es aber immer aus einem bestimmten Grund: als Werkkirche, als Freyung oder dergleichen. Die meisten Kirchen dienen als Kultstätte für ein bestimmtes Gebiet, für eine Pfarre. Zwischen Pfarrkirche, und Pfarrgehiet besteht eine enge Wechselbeziehung. Die Kirche kann „günstig“ oder „ungünstig" für den Großteil der Gemeindebewohner liegen, ihr Fassungsraum kann im allgemeinen „genügen“; bei Hochfesten, zu Ostern zum Beispiel, kann er wieder zu gering seiitjv Die Pfarrkirche und; da| Pfarrgebiet hatten jedenfafe den Bed'ür Mn%ef?,öemiein3e zu entsprechen.
Das war nicht immer so. Im Mittelalter bestimmten die Grundherrschaften die Lage der Kirche und die Ausdehnung des dazugehörigen Gebietes sowie die damit verbundenen Pfründen für den Pfarrherrn. Dies führte schließlich zu Auswüchsen, welche durch Josefs II. Reformen korrigiert wurden. Auf Grund von Voruntersuchungen wurden, zahlreiche neue Pfarren gestiftet, die Grenzen der Seelsorgesprengel abgerundet und der Kirchenbau gefördert. Das 19. Jahrhundert, wieder baute Kirchen -vorwiegend nach ästhetischen Gesichtspunkten, um städtebauliche Dominanten zu setzen oder um das Repräsentationsbedürfnis zu befriedigen. Auf die zugehörigen Gemeinden und Gebiete wurde weniger Rücksicht genommen.
Seit einigen Jahrzehnten schon ist man sich der Bedeutung des Kirchenbaues für die Seelsorge in vermehrtem Maße bewußt geworden. Alle Bestrebungen richten sich deshalb darnach, genügend Seelsorgestellen und Pfarrkirchen, besonders für die Großstädte und wachsenden Industrieorte, zu schaffen. Diese neue Kirchenbaubewegung bedarf aber einer umfassenden Planung.
Ausgangspunkt der Kirchenplanung ist die präzise Kenntnis der Bevölkerungszahl, genauer der gegenwärtigen Verbreitung der Katholiken im Planungsgebiet. Dabei ist natürlich auch wieder zu klären, wer überhaupt als „Katholik“ arjzusprechen ist. Im allgemeinen wird die Zahl derjenigen als Grundlage für die Ueberlegungen genommen, die sich bei der Volkszählung beziehungsweise für die Kirchensteuer als „römisch-katholisch“ deklarieren. Damit hat man .ppktisch den weitesten Kreis der zur Pfarr gemeinde Gehörigen erfaßt: ein mehr oder minder großer Prozentsatz davon erfüllt regelmäßig seine Sonntagspflicht, diese werden als „Domini- cantes“ bezeichnet. Meist etwas größer ist die Zahl derer, die ihrer Osterpflicht nachkommen, die „Paschantes“. Den engsten Kreis um den Pfarrer bilden seine Helfer oder Aktivisten und die Mitglieder der kirchlichen Organisationen. Auf diese Gruppen ist bei der Planung der Kirche und der dazugehörigen Baulichkeiten, wie Pfarrheim und dergleichen, Rücksicht zu nehmen.
Die Pfarrkirche, besonders eine neu zu erbauende, soll nun an einem Platz stehen, der für alle Katholiken des Gebietes möglichst leicht erreichbar ist. Geometrisch gesprochen, wäre das bei einer idealen Fläche deren Mittelpunkt. Ideale Flächen gibt es aber in der Landschaft nicht, und so sind für die Standortwahl zunächst die Geländeverhältnisse zu begutachten. In hügeligem Gelände ist ausschlaggebend, daß die Kirche möglichst nicht auf einer Höhe liegt, sondern zumindest beim Hinweg zum Gottesdienst bergab erreichbar sei. Auch die Führung der Straßen, Bahnübergänge, Brücken usw. können den Zugang zur Kirche erleichtern oder erschweren. So haben zahlreiche Kirchenbesuchszählungen ergeben, daß die juridischen Pfarrgrenzen den Einzugsbereich einer Kirche nur zu einem geringen Maße bestimmen. Viel entscheidender für die Wahl des Kirchgängers, wo er die Messe besucht, ist die leichte Erreichbarkeit der Kirche in möglichst kurzer Wegzeit.
Innerhalb einer größeren Fläche wieder, die gelände- und verkehrsgünstig liegt (besonders natürlich bei Siedlungen in der Ebene), soll die Kirche im Bevölkerungsschwerpunkt stehen. Das heißt dort, wo die meisten Menschen wohnen oder an jenem Platz, der bei mehreren Siedlungsschwerpunkten allen am nächsten liegt. Dabei hat sich gezeigt, daß von der Bevölke- rung jene Standorte bevorzugt werden, die an den Linien des täglichen Verkehrs liegen. Bei einer Stadtrandsiedlung wird es sich also empfehlen, die Kirche an der Hauptstraße zu errichten, die etwa der Autobus benützt, und zwar nicht im geometrischen Mittelpunkt, sondern ein wenig in Richtung zur Stadt zu verschoben. Denn: der Werktätige, der täglich „zur Stadt hin“ fährt oder geht, ist so daran gewöhnt, daß es ihm als selbstverständlich erscheint, auch sonntags in dieser Richtung zu gehen. — Als besonders günstig ist die Lage zu bezeichnen, wenn eine Kirche zwar an den „Linien des täglichen Verkehrs", aber ein wenig davon abgerückt liegt, damit die Kirchgänger nach der Messe nicht direkt in den Verkehr hineinlaufen, und wegen der größeren Stille des Ortes.
Wir erkennen diesen Zug zum Zentrum in anderer Art auch in den Städten: In St. Pölten zum Beispiel gehen viele Bauern von auswärts am Sonntag in den Dom: in Linz wieder sind die alten Kirchen in der Nähe des Hauptplatzes und an der Landstraße von „Auswärtigen“ über-, füllt. Auch in Wien werden die Stadtkirchen sonntags von bestimmten Kreisen bevorzugt. Für diese gilt wieder das Gegenteil von dem, was oben für die Allgemeinheit gesagt wurde: Sie wollen einmal in der Woche „woanders“ hingehen. Damit erhalten Kirchen im Zentrum überlokale Funktionen, deren Wirkung auf die anderen Kirchen nicht ohne Einfluß bleibt.
Für eine weitschauende Kirchenplanung genügt selbstverständlich die Kenntnis der gegenwärtigen Bevölkerungs- und Siedlungsverhältnisse nicht — wenngleich es schon sehr viel wäre, wenn wenigstens bei allen Neubauten die heutige Situation richtig eingeschätzt würde! Wie die einzelne Standortplanung nicht für sich isoliert gesehen werden kann, sondern nur im Zusammenhang des ganzen „Kirchennetzes“, das sich über ein Gebiet spannt, so kann sie auch nur im Zuge der Entwicklung, die einmal neue Siedlungsgebiete mit starkem Bevölkerungszuwachs entstehen läßt, ein andermal Stadtviertel zum Verfallen bringt, beurteilt werden. Zunächst müssen wir von einer optimalen Seelenzahl pro Pfarre ausgehen, wovon das Bedürfnis an Kirchen schon weitgehend abgeleitet werden kann. In dem berühmten Buch von Professor Swoboda, „Großstadtseelsorge“ (1909), wird gesagt, daß auch in den größten Städten Pfarren mit mehr als 10.000 Seelen eigentlich nicht mehr tragbar sind, weil in der Seelsorge und im Organisationsleben die Situation dann nicht mehr überschaubar bleibt. Die Pfarren sollen also eher kleiner sein, so um 5000 bis 7000, aber auch nicht zu klein (weniger als 1000), da verschiedene Funktionen von einer so kleinen Gemeinschaft dann nicht mehr erfüllt werden können.
Von dieser Norm aus können die Bedürfnisse der Seelsorge für die Zukunft abgeschätzt werden, wenn es gelingt, durch eingehende Untersuchungen die voraussichtliche zukünftige Entwicklung der Bevölkerung und damit auch ihres katholischen Teiles zu prognostizieren. Für die Kirchenplanung wird es deshalb äußert wichtig sein, die Baubewegung zu beobachten und in engstem Kontakt mit der Stadtplanung in voraussichtlichen Siedlungsgebieten Kirchenplätze zu reservieren. Vorbildlich geschieht das in den englischen New Towns, wo, noch bevor ein Haus in der neuen Stadt steht, auf einer entsprechend ausgewählten Parzelle bereits ein Schild angebracht wird: „Methodist Church“ oder „Catholic Church“. - Nach einer allgemeinen „Makroplanung" für den Großraum werden „Mikroplanungen“ in den einzelnen Bezirken konkret die Bauplätze festzulegen haben als Voraussetzung für eine langfristige Bodenpolitik. Es ist aber einsichtig, daß auch in den gegenwärtig festverbauten Stadtteilen, in denen keine bedeutenden Neubauten zu verzeichnen sind, die Bevölkerung keineswegs stationär bleibt. Erstens wird die demographische Entwicklung der Bevölkerung Zahl und Glieder der zukünftigen Einwohner beeinflussen, zweitens werden Althäuserverfall, Wohnviertelsanierungen und auch allgemein der Prozeß der „Citybildung“, der in Wien die inneren Bezirke 1, 7, 8 entvölkert, weil dort immer mehr Geschäfte ' zuziehen, die äußeren Bezirke, wie 13, 14, 18, 19, 21, aber auf füllt, diesbezüglich wesentliche Aenderungen herbeiführen. Auch die Aende- rungen im sozialen Charakter der einzelnen Stadtteile und „Nachbarschaften“ sind nicht ohne Einfluß auf das kirchliche Leben.
Alle diese Entwicklungen sind bei der Kirchen- und Pfarrplanung zu berücksichtigen, sowohl um ein stets den Verhältnissen angepaßtes Pfarrnetz zu erreichen, als auch, und das ist ein sehr wichtiger Punkt, um die Größe (das heißt den Fassungsraum) der einzelnen projektierten Kirchenbauten und der Nebenanlagen (Pfarrheim, Kindergarten usw.) richtig zu bestimmen.
Für die Größe der Kirche mit der notwendigen Anzahl von Sitz- und Stehplätzen sind verschiedene Umstände maßgebend. Zunächst die Zahl der getauften Katholiken. Es wäre unreal, für alle diese den Raum zu bemessen, wichtiger ist vielmehr die sorgfältig erhobene Zahl der Dominicantes, der regelmäßigen Sonntagskirchengänger. Ihr Prozentsatz ist selbstverständlich bei verschiedenen Bevölkerungsschichten verschieden, doch gibt es große Aehnlich- keiten an analogen Milieus. Eine gewisse Reserve für unerwartete Bevölkerungszunahme und für apostolische Erfolge wird immer bereitzuhalten sein.
Weiter ist die Anzahl der Gottesdienste und ihr unterschiedlicher Besuch von großem Einfluß auf den Raumbedarf. Bei drei heiligen Messen in einer Kirche zum Beispiel können sich die Dominicantes wie 15:50:35 auf Früh-, Haupt- und Spätmesse verteilen. Das heißt also, daß ein Kirchenbau nicht so viele Sitzplätze haben müßte als Dominicantes gezählt werden, sondern, Reserven nicht eingerechnet, nur halb so viele. Für den Andrang bei Hochfesten müssen jedoch genügend Stehplätze vorhanden sein. Solche Ueberlegungen helfen besonders bei den Baukosten wesentlich einzusparen und Fehlinvestitionen zu vermeiden
Eine Bestätigung dieser Auffassung erhielt das „Intęrriationale Katholische Institut für kirchliche ’ Sozialforschung (IČAREŠ)“, dessen österreichische Abteilung, mit dem Sitz in Wien, seit 1952 für verschiedene Diözesen Vorschläge für die Kirchenbauplanung ausarbeitet, durch ein drastisches Beispiel: Für eine schon in Bau befindliche Stadtrandkirche sollte begutachtet werden, ob die Größe des Baues genüge. Trotz des Widerspruchs der lokalen Honoratioren mußte das Institut feststellen, daß der Bau zu groß geplant sei. Bei einem schon in Angriff genommenen Bau konnte man natürlich nicht mehr viel ändern. Wenige Wochen nach Eröffnung der Kirche ersuchte der zuständige Pfarrer jedoch das Ordinariat, den Pfarrsprengel zu erweitern, da die Kirche sonntags immer leer wirke ...
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß es, je komplizierter die gesellschaftliche Entwicklung wird, um so wichtiger erscheint, durch soziologische und planologische Studien die Unterlagen für eine verantwortliche Pfarr- und Kirchenplanung zu schaffen, um den kirchlichen Bauherren wie den Architekten die zweckmäßigste Lösung ihrer Aufgaben zu ermöglichen.