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Statistik und Wahlkampf

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Vor den Propagandisten kommen bei den heuer im Herbst stattfindenden Landtagswahlen gewichtig die Statistiker zu Wort. Unter den verschiedensten Untersuchungen ist die interessanteste die, inwieweit dem gewaltigen Strukturwandel, den Oberöster- reich im Verlauf der letzten Jahrhunderte durchmachte, ein gleich bedeutsamer Wandel auf politischem Gebiet folgte oder noch bevorsteht.

Wenige österreichische Bundesländer haben im Verlauf der letzten dreißig Jahre einen solchen Wandel wie Oberösterreich mitgemacht. Verständlicherweise ist diese radikale Änderung der Bevölkerungsstruktur nicht ohne einen Einfluß auf die politische Struktur des Landes abgegangen — und doch: die politische Umschichtung erreichte nicht annähernd den Umfang und das Ausmaß des anderen Prozesses.

1869 betrug die Bevölkerung Oberösterreichs 736.856 Personen, nach den provisorischen Volkszählungsergebnissen dieses Jahres 1,131.378. Das bedeutet eine Zunahme von 50 Prozent im Verlauf der letzten 90 Jahre. Hand in Hand mit dieser rapiden Bevölkerungsvermehrung ging aber auch eine starke lokale Umschichtung vor sich: Um die Jahrhundertwende wohnten mehr als drei Viertel aller Bewohner Oberösterreichs auf dem flachen Lande und nur

13,6 Prozent der Gesamtbevölkerung in Orten mit mehr als 5000 Einwohnern. 1,951 waren es bereits 30 Prozent, 1958 mehr als ein Drittel. Allein im oberösterreichischen Zentralraum, im Dreieck Linz-Wels-Steyr, das rund zehn Prozent des Öberösterreichischen Bodens umfaßt, drängten sich 1951 bereits mehr als 37, heute mehr als 40 Prozent der Gesamtbevölkerung Oberösterreichs zusammen.

Dieser Zug zu Zusammenballungen wird noch durch ein bemerkenswertes — und keineswegs erfreuliches — Ergebnis der ersten Zusammenfassung der Volkszählungen 1961 ergänzt: Sichtbar werden in Oberösterreich die kleinen Gemeinden noch kleiner und die großen Gemeinden noch größer. Nicht weniger als 234 von insgesamt 445 oberösterreichischen Gemeinden haben zwischen 1951 und 1961 einen Bevölkerungsverlust erlitten, 174 Gemeinden zählen sogar weniger Einwohner als 1934! 76 Gemeinden stagnierten und 135 Gemeinden zeigen eine Bevölkerungszunahme.

Jeder vierte Oberösterreicher „pendelt”

Diese Zusammenballung aber wäre noch auffallender und drastischer, wäre sie nicht durch die in den neuen Industriezentren bestehende, sehr fühlbare Wohnungsnot abgebremst worden. Diese Tatsache schuf auf der anderen Seite das Pendlerproblem: allein jeder vierte Erwerbstätige.in Oberösterreich ist ein „Pendler” und hat einen — oft sehr langen — Weg zur Arbeitsstätte.

Noch bedeutsamer als dieser Prozeß der Zentralisierung und Zusammenballung ist die Bevölkerungsumschichtung, die aus dem reinen Bauernland innerhalb von einem halben Jahrhundert ein ausgesprochenes Industrieland — wenn auch mit einem starken bäuerlichen Einschlag! — gemacht hat. Die landwirtschaftliche Bevölkerung Oberösterreichs hatte 1890 mit 407.040 Personen einen Höchststand erreicht, der vor allem seit der Jahrhundertwende stetig abfiel. 1951 waren es nur noch 241.619 Personen, die gerade noch zwei Fünftel der Be völkerung ausmachten. Um die Jahrhundertwende waren es rund 50 Prozent der Gesamtbevölkerung, 1934 machte er nur noch 37,5 Prozent, fünf Jahre später nur noch ein Drittel aus, 1951 sank er auf ein Viertel und dürfte jetzt bereits unter 20 Prozent liegen.

Keine politische „Automatik”

Wie hat sich dieser Umformungsund Umwandlungsprozeß im politischen Bereich ausgewirkt? Bei den Landtagswahlen des Jahres 1930 erreichten in Oberösterreich jene Gruppen, die mit der heutigen Volkspartei vergleichbar sind, wie Christlichsoziale und Heimatblock, 56,5 Prozent aller Stimmen, 1955 die Volkspartei 48,1 Prozent. Beim Vergleich der Nationalratswahlen 1930 und 1956 ist der Abstand noch geringer; der Stimmenanteil dieser Gruppe sank nur von 54,0 auf 50,4 Prozent! Der Anteil der sozialistischen Stimmen stieg bei den Landtagswahlen von 1933 auf 1955 von 28,1 Prozent auf 39,5. Gleichzeitig stieg allerdings auch der Anteil der kommunistischen Stimmen von 0,8 auf 2,8 Prozent — ohne daß dies allerdings ausreichen würde, eine Vertretung im Landtag zu erzielen. Neben dieser in verhältnismäßig engen Grenzen vor sich gegangenen politischen Entwicklung ist der politische Strukturwandel am sichtbarsten beim national-freiheitlichen Bevölkerungsteil. Hier sank der Prozentsatz (Na. Wirtschaftsblock, Landbund, NSDAP, Parteilose, FPÖ) von 14,6 auf

9,6 Prozent.

So sehr solche sich über die Jahrzehnte hinziehende und verschiedenste Parteien umfassende Vergleiche auch hinken mögen, so sind sie doch wenigstens ein Wegweiser und Anhaltspunkt und zeigen in aller Deutlichkeit auf, daß dem gewaltigen Strukturwandel, dem die Bevölkerung Oberösterreichs in den letzten Jahren und Jahrzehnten unterworfen wurde, ein in engen Grenzen verbleibender Wandlungsprozeß im politischen Bereich gegenübersteht. Sie zeigen, daß keineswegs eine Automatik zwischen dem Wandel der Bevölkerungsstruktur und einer politischen Gesinnungsbildung besteht, und daß auch die kommenden Landtagswahlen in Oberösterreich kaum neue Nuancen auf der politischen Karte bescheren werden.

Abwehr gestoßen. Österreich bietet daher ein höchst widerspruchsvolles Bild. Die Regierung, die Koalition und die meisten Politiker unterstützen die EFTA als taugliche Brücke zur wirtschaftlichen Integration, aber die öffentliche Meinung, die an den Absatz in Westdeutschland und Italien denkt, sekundiert der EWG. Die zentrale Frage, die in Regierungskreisen einmal sehr klar formuliert worden ist, lautet: „Kann ein etwaiger Rückgang des Exports nach Westdeutschland und Italien durch erhöhte Exporte nach Skandinavien, Großbritannien und der Schweiz, Kanada und den Vereinigten Staaten ausgeglichen werden oder nicht?” Die Meinungen sind geteilt. Nach dem gegenwärtigen Stand der österreichischen Exporte besteht jedenfalls nicht der geringste Anlaß zu einer Panikstimmung, die nur den innerpolitischen Interessen der Opposition dienen würde.

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