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Marian Heitger - der eben seinen 80. Geburtstag feierte - über Sinn und Ziel der Lehrerausbildung.

Spät aber doch ist man in der Diskussion um Schule und Bildungsreform auf den nahe liegenden Gedanken gekommen, dass deren Gelingen weitgehend von der Person des Lehrers bzw. der Lehrerin abhängig ist. Das provoziert die Frage, wie sie beschaffen sein soll. Wieder mangelt es nicht an Vorschlägen. Da ist die Rede von Standfestigkeit, von Güte, von Geduld, von Strenge und Milde, Hingabebereitschaft an die Aufgabe, von Verständnisfähigkeit - und, wer seinen Pestalozzi im Kopf hat, spricht von der pädagogischen Liebe, von der Parteinahme für das Kind und dessen "recht verstandenes Wohl".

Neuerdings hört man des Öfteren, zukünftige Lehrer sollten sich vor der Entscheidung zu diesem Studium einem Eignungstest unterziehen. Offensichtlich traut man dem Studium und der Lehrerausbildung nicht so recht zu, dem Studierenden die für seinen Beruf notwendigen Kompetenzen zu vermitteln. Das wäre eine Konkurserklärung der bestehenden Einrichtungen der pädagogischen Ausbildung und Bildung der Lehrer und Lehrerinnen.

"Enge Pforte zur Weisheit"

Es drängt sich unausweichlich die Frage auf, wie diese zu organisieren sei, welche Inhalte zu vermitteln wären, welche Rolle ein wissenschaftliches Studium haben sollte, welcher Stellenwert einem Praktikum zukäme etc.

Die genannten Eigenschaften des Lehrers scheinen durchaus berechtigt, und noch manch andere wäre zu nennen. Die alles entscheidende Frage ist, wie man jene denn dem Lehrer vermittelt: Was muss oder kann man tun, damit die Lehrperson standfest und verständnisvoll ist? Man hat die pädagogischen Akademien zu pädagogischen Hochschulen gemacht, wohl in der Hoffnung, dass Wissenschaft, wie Kant seinerzeit formulierte, die "enge Pforte zur Weisheit" werde, wenn man Weisheit auch zum Inbegriff pädagogischer Haltung machen kann.

Aber auch die so genannte Wissensgesellschaft zeigt deutlich, dass die bloße Vermehrung von Wissensbeständen nichts oder nur wenig zur Kultivierung der Gesellschaft beiträgt. Also schränkt sich die Frage dahingehend ein, welches Wissen denn dem Lehrer zur pädagogischen Weisheit verhilft. Offensichtlich muss es um ein Wissen gehen, das die Studierenden in ihrem Inneren ergreift. Das klingt ein wenig pathetisch, sollte aber deshalb nicht als idealistische Träumerei abgetan werden. Was hilft dem Lehrer all das Wissen, wenn er nicht begeistert ist, wenn er nicht leidenschaftlichen Anteil an der Bildung der ihm anvertrauten Kinder und Jugendliche zu nehmen bereit ist?

Für die Lehrerbildung ist ein Wissen gefordert, das dem Wissenden Verbindlichkeit abfordert. Verbindlichkeit aber ergibt sich nur aus einem Wissen, das man nicht wie eine Ware erwirbt und mit sich herumträgt, sondern aus einer philosophischen Reflexion, in der einen das Wissen selbst etwas angeht.

Zu diesem Wissen gehört z.B. das Staunen, dass Lernen überhaupt möglich ist; dass dieses nur möglich ist, wenn der Lernende selbst Einsicht in die Wahrheit des zu Lernenden gewonnen, er die Ethik des Dialogs eingesehen hat, wenn er das Recht auf gegenseitige Argumentation anerkennt, wenn er die Individuallage des anderen versteht und diese nicht nur als Hindernis für schnellen Fortschritt sieht.

Natürlich werden erfahrene Pädagogen alsbald mit dem Hinweis kommen, das sei alles romantischer Idealismus. Ihnen muss man entgegenhalten, dass Reform sich gerade nicht mit den bestehenden Zuständen als einer unabänderlichen Realität zufrieden geben will, dass eine Idee nicht deshalb falsch ist, weil sie nicht oder nur unzureichend befolgt wird.

Wahre Menschenbildung

Erst wer von der Idee wahrer Menschenbildung durchdrungen ist, der kann auch den Aufforderungscharakter von Tatsachenerhebungen begreifen und empfinden; für den ist eine empirische Untersuchung über die Benachteiligung von "Unterschichtkindern" oder Kindern aus schwierigen familiären Verhältnissen nicht eine interessante Studie, aus der man Kausalitäten ableiten kann, sondern eine Aufforderung, das pädagogisch Gesollte noch dezidierter zu überlegen, und - wenn nötig und sinnvoll - auch an den Strukturen zu arbeiten, ohne von ihnen allein die Lösung zu erwarten. Erst wer von der Idee der Menschenbildung durchdrungen ist, wird das notwendige Handwerkszeug des Unterrichtens und Erziehens nicht zu seiner Bequemlichkeit, sondern für den Fortschritt von Bildung des jungen Menschen einsetzen.

Konsequenz dieser Überlegungen: die wissenschaftliche Pädagogik ist für die Lehrerbildung unerlässlich. Allerdings darf sie sich nicht in Information über die tatsächlichen Verhältnisse erschöpfen, sondern muss nach Grundsätzen fragen, die das pädagogische Handeln zu verantworten vermag. Denn immer bleibt auch die Frage: Woher nehmen wir das Recht unsere Kinder pädagogisch beeinflussen zu dürfen, woher nehmen wir die Pflicht, ihnen pädagogische Hilfe zukommen zu lassen?

Der Autor ist emeritierter Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Wien.

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