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Stehen wir vor Neubewertung der Dinge von damals?

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Wiederholt sich heute die Geschichte unserer Großväter? Die FURCHE befragte den Wiener Tiefenpsychologen Wilfried Daim.

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Wiederholt sich heute die Geschichte unserer Großväter? Die FURCHE befragte den Wiener Tiefenpsychologen Wilfried Daim.

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Wilfried Daim durchleuchtet die Terroranschläge der jüngsten Zeit in Österreich und meint, daß die Geschichte der Großväter wieder auftaucht. Das beginne schon damit, daß man fordere, man müsse innerhalb des Faschismus „differenzieren”; das gleiche verlangten manche auch gegenüber dem Kommunismus. Daim zur FURCHE: „Gegenüber den Großvätern bestehen bei den Jungen nicht die gleichen Aggressionen wie gegen die Väter. Daher geschieht so etwas wie eine überspringende Identifikation mit der Großvätergeneration!” Was Pelinka (siehe oben) mit dem Begriff „Entt-abuisierung des Nationalsozialismus” beschreibt, ist für Daim eine Art „Neubewertung” der Dinge von damals, die Kunst und Ideologie der Eltern werde abgelehnt, man befasse sich eben mit den Großeltern. Ähnlich deutet der Tiefenpsychologe auch den momentanen Rückgriff in der Kirche auf die Autorität beziehungsweise das Aufkommen eines gewissen Fundamentalismus in der Kirche.

Hinsichtlich der Täter von Terrorakten wie jenen von OberwaVt oder Stinatz im Burgenland verweist Daim auf einen gewissen Nachahmungstrieb bei Verrückten, politisch Fehlgeleiteten oder sich als deklassiert Fühlenden.

Der Anschlag im kroatischen Stinatz ist für Daim aber insofern nicht „logisch”, als es zwischen „Deutschen” und Kroaten eine alte traditionelle Verbundenheit - bis hin zum kroatischen Ustascha-Staat - gegeben habe. Zudem seien die Kroaten im Burgenland weitestgehend integriert, ja liefen sogar Gefahr ihrer Identität verlustig zu gehen durch zu starke Assimilation.

Den Anschlag gegen die Roma in. Oberwart ordnet Daim in einen allgemein bestehenden Rassismus ein. „Weil es bei uns kaum mehr Juden gibt, richtet sich dieser Rassismus heute gegen Roma und Sinti.” Nicht in der alten, jetzt eben auf Zigeuner übertragenen Nazipropaganda von der „Verschwörung des Weltjudentums” ortet Daim den Hintergrund für den Ober-warter Anschlag („daß Zigeuner Österreichs Banken übernehmen, wäre ja wirklich ein propagandistischer Blödsinn”), sondern „in der internationalen Geschichte mit den Ausländern”. Auf dem Hintergrund von Abschiebungen von Ausländern, die man zuvor ins Land geholt habe, wachse die Aggression gegen ausländische Arbeitskräfte.

In diesem Zusammenhang verweist Daim darauf, daß gegenüber Ausländern jetzt auch vermehrt mit dem Hygienestandpunkt vorgegangen werde. Beispielsweise habe unter diesem Aspekt Helene Partik-Pable gefordert, den Wiener Brunnenmarkt, fest im Griff von „Ausländern”, zu räumen. „Es ist wahr, daß am Brunnenmarkt vieles dreckig ist, aber dem kann man doch nicht mit der Forderung ,Schickt's es ham' begegnen. Die Vorstellung, daß die auch ein Recht haben, da zu sein, kommt erst gar nicht durch.” Und dann sagt der Tiefenpsychologe ein sehr ernstes Wort: „Natürlich sind diese Dinge keine Aufforderung, Leute umzubringen, aber es besteht da in letzter Konsequenz etwas, was Mord möglich werden läßt.” Aggression und Todeswünsche seien verbreiteter als tatsächlicher Mord. Zwischen Tötung und wohlwollender Distanz gebe es eine Menge Zwischenstufen.

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