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Stimme seiner Herren

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Die Dauerkrise des österreichischen Rundfunks ist vor allem eine Vertrauenskrise. Die beiden Koalitionsparteien, die in allen materiellen und sonstigen noch vorkommenden Fragen des Rundfunks seit jeher allein tonangebend sind, mißtrauen einander. Genauer gesagt, sie trauen einander in der heiklen Frage der Information, der Massenbeeinflussung, ja Massenbildung, nichts Gutes zu. Gäbe es dieses Mißtrauen nicht, wäre das vordergründige Problem des Rundfunks, das Problem der finanziellen Sanierung, der völlig unrealistisch gewordenen niedrigen Rundfunkgebühren, leicht zu lösen. Es konnte indessen nicht ausbleiben, daß diese Vertrauenskrise, die sich in allen Bereichen lähmend auswirkt und schon viele gutgemeinte Sanierungsvorschläge auf dem materiellen wie dem ideellen Sektor in das Reich der Utopien gewiesen hat, auch auf breitere Publikumskreise übergriff, die zuerst kopfschüttelnd von den allmählichen, teils angekündigten, teils, was noch viel schwerer wog, nicht einmal angekündigten Programmverschlechterungen Notiz nahmen und dann ihr Urteil etwa in dem Satz „Die Parteien sind an allem Schuld“ zusammenfaßten. Nichts wäre einfacher, als ihre Beurteilung der Lage gutzuheißen. Herrscht denn nicht in vielen Gremien des Rundfunks der Proporz? Schafft den unparteiischen Fachmann herbei, und alle Probleme werden rasch und gründlich gelöstf Die Parteifunktionäre sollen einmal ihre eigenen Parolen ernst nehmen und der Freiheit der Information freien Lauf geben!

Näher besehen, könnte jedoch ein solcher Verlauf der Dinge nur zu einer größeren, weil nicht mehr kontrollierbaren Abhängigkeit von anonymen Mächten und schließlich zu einem Chaos fuhren, denn die Erfahrung zeigt, daß in Ländern, wie etwa in den Vereinigten Staaten, wo Rundfunk und Fernsehen mit dem Staat und mit Parteien so gut wie nichts zu tun haben, das „Geschäft mit Mord und Totschlag“ blüht, und die Kulturkritiker die Vorgänge einbekannter-maßen mit Abscheu betrachten. Das Absinken des Niveaus beim Rundfunk und Fernsehen wird dort von niemandem auf Parteieneinfluß, Mangel an Geld oder gar an Talenten zurückgeführt, sondern geradewegs auf das System der Anonymität und der Verantwortungslosigkeit.

Die österreichischen Koalitionsparteien haben ihre Verantwortung in der Rundfunkfrage nicht rechtzeitig und niemals gleichzeitig erkannt. Zuerst, in der Besatzungszeit, waren alle Fragen der Sanierung und der Rationalisierung von der großen Sorge überschattet, daß es nur gelingen möge, den Rundfunk österreichisch zu erhalten. Die Frage der Gebührenerhöhung wurde von dem damals zuständigen Ressortminister zu einer Zeit erhoben — es war das Jahr 1954 —, als sich der Kampf um das „Königreich Wald-brunner“ seinem Höhepunkt näherte. Eine Einigung zur Güte war da nicht zu erwarten.

Jahre vergingen. Der Rundfunk konnte trotz beachtlicher Einzelleistungen, der fachlichen Qualitäten vieler technischer und künstlerischer Mitarbeiter, mit der zunehmenden Konsolidierung der Lage Österreichs in der Welt nicht mehr Schritt halten. Inzwischen brach die Zeit des Fernsehens an. Der Hörfunk wird von da an von vielen als veraltet abgetan, als etwas, worüber zu streiten es sich nunmehr erübrigt. Das ist wohl eine irrige Meinung. Nach wie vor ist der Hörfunk die einzige Quelle der Information, der Bildung, der beinahe einzige Kulturträger für die von der Glücksgöttin Hochkonjunktur weniger gesegneten Schichten. Wer also heute vom Rundfunk spricht, der spricht von einem wesentlichen Träger der Massenkultur in der über immer mehr Freizeit verfügenden Industriegesellschaft, die man seitens der schmalen Elite nicht verachten, sondern derer man sich annehmen sollte.

Die Krise der 1957 gegründeten Rundfunk Ges. m. b. H. — die sowohl Hörfunk als Fernsehen in sich schließt — wurde offensichtlich, als diese in ihrer Bilanz für das erste Geschäftsjahr, 1958, an die 60 Millionen Schilling, fast 30 Prozent der Einnahmen, als Abgang ausweisen mußte. Schon damals, also noch vor dei'lwwtspieligen Betriebsvereinbarung des Vorjahres, erreichten allein die Personalkosten rund 45 Prozent der Einnahmen.

Ein flüchtiger Blick auf die Zahlenkolonnen, ein Rundgang durch die Anlagen der Rundfunkgesellschaft müssen jeden überzeugen, daß es so nicht mehr lange weitergehen kann. Mitteleuropas einst modernstes Funkhaus in der Argentinierstraße in Wien trägt noch heute Spuren der schweren Bombenangriffe. Auf der Stelle des sogenannten, bis heute unersetzt gebliebenen Hörspielblocks ist noch immer gähnende Leere. Der Aufbau allein dieses Flügels würde an die 30 Millionen kosten. Der Kurzwellendienst ist in einer zum Abbruch verurteilten Holzbaracke untergebracht. Von hier aus strahlt er Programme, die allerdings meistens nur dem ln-landsprogramm entnommen werden, für die Auslandsösterreioher, für alle Freunde Österreichs. Allein seit 1960 liegen an die 10.000 Hörerbriefe vor, darunter rührende Loyalitätsbezeigun-gen von Emigranten. Wenn nun diese Hörer infolge der angekündigten Einsparungsmaßnahmen die Stimme Österreichs im Äther nicht mehr vernehmen würden, dann dürften sie eben „abwandern“.

Der Betrieb des Kurzwellendienstes kostet jährlich zehn Millionen Schilling. Für den notwendigen Ausbau wären 100 Millionen notwendig. Im vergangenen Jahr wurden für den Kurzwellendienst vom Staat ganze drei Millionen Schilling zur Verfügung gestellt. Das Bundesfinanzgesetz 1962 sieht Bundesgarantien in der Höhe von 18 Millionen für Kredite vor. Diese Kredite muß jedoch das Unternehmen, ebenso wie die bisher 270 Millionen Schilling, die für den Aufbau des Fernsehens aufgenommen wurden, einmal zurückzahlen. • Auf der Mittelwelle ist die Stimme Österreichs in allen Nachbarländern weit bis nach Rußland störungsfrei zu hören. Wenn die Sendeenergie nun ebenfalls aus Einsparungsgründen gedrosselt werden sollte, würden fremde Sender die österreichische Stimme sogar über österreichischem Gebiet übertönen. Ab 1. Februar soll das dritte, das UKW-Programm, das einst Österreichs hochrangiges „Drittes Programm“ hätte werden sollen, aus Einsparungsgründen eingestellt werden, ebenso das Erste Programm am späten Abend. In verschiedenen Teilen Österreichs hört man in diesen betriebsfreien Stunden auf der Wellenlänge von Wien I den deutschsprachigen Sender Stettin klar und deutlich

Die Fachleute des Rundfunks erklären, daß der Österreichische Rundfunk außerstande sein wird, die verschiedenen Festspielübertragungen zu bezahlen. Auch an internationalen Gemeinschaftsproduktionen wie Hörspielwettbewerben könne sich Österreich nicht mehr beteiligen. Das und viele ähnliche Maßnahmen werden zur Folge haben, daß an Stelle von Originalaufnahmen eben Schallplatten gesendet werden müssen, und das bedeutet das Ende von künstlerischen Experimenten, von jeglicher Talentförderung.

Als Voraussetzung jeder Sanierung wurde seit langem schon eine betriebswirtschaftliche Durchleuchtung der Rundfunk Ges. m. b. H. gefordert. Ein Vorbericht, den das Betriebswissenschaftliche Institut der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich unter Professor Daenzer fertiggestellt hat, liegt nunmehr „streng vertraulich“ dem Vorstand und dem Aufsichtsrat vor. Nur einige Feststellungen dieses Berichtes sind mittlerweile bekanntgeworden. Vergleiche mit den benachbarten Schweizer und bayerischen Rundfunkgesellschaften fallen im allgemeinen nicht zu Ungunsten des Österreichischen Rundfunks aus, nur das zu große Verwaltungs- und technische Personal wird beanstandet. Es wird ferner festgestellt, daß selbst nach Durchführung einer Betriebsrationalisierung die Erschließung neuer Einnahmequellen — aus Hörergebühren oder Subventionen — unvermeidlich erscheint.

Durch die für den 1. Februar angekündigten neuerlichen Programmeinschränkungen sahen sich alle Fraktionen des Zentralbetriebsrates veranlaßt, in der vergangenen Woche dem Bundeskanzler und dem Vizekanzler die Nöte des Rundfunks vorzutragen. Es wurde ihnen mitgeteilt, daß der Vorstand bis zum 15. Februar ein Budget für 1962 vorzulegen hat und daß die Generalversammlung sich dann mit der zukünftigen Gestaltung und Finanzierung der Gesellschaft zu befassen haben wird. Entlassungen werden bis dahin nicht vorgenommen. Damit wurde wieder einmal eine Sanierung des Rundfunks in Aussicht gestellt. Seither sollen Verhandlungen zwischen den Parteien hinter verschlossenen Türen stattfinden. Eine Zeitung wußte bereits von einer Annäherung der Standpunkte auf der Basis einer Gebührenerhöhung und verschiedener Rationalisierungsmaßnahmen zu berichten. Man hört in diesem Zusammenhang auch von einem angeblichen Wunsch der Sozialisten nach der „Alleinherrschaft“ im Studio Wien, wo 60 Prozent der Gesamtproduktion laufen. Niederösterreich und das Burgenland mit einem Viertel der Gesamtbevölkerung Österreichs melden dagegen stärkste Bedenken an. Die Volkspartei will hingegen einen neuen Programmdirektor für das Fernsehen bekommen, wo der sozialistische Einfluß bisher überwiegt. Vielleicht kommt dabei wieder einmal ein „Tauschgeschäft“ zustande .. .

Da wäre vielleicht angezeigt, auf die schwere Verantwortung hinzuweisen, welche die Koalitionsparteien hier zu tragen haben. Die wohl unumgängliche Tatsache, daß Parteipolitiker in wirtschaftlichen und weltanschaulichen Verbänden, wie auch der Rundfunk einer ist, führende Positonen einnehmen, ist nur dann, aber dann ganz gewiß, verderblich, wenn diese versäumen, sachlich gerechtfertigte Lösungen anzustreben. Eine kurzsichtige Politik der Parteiegoismen und des Griffes nach totaler Macht rächt sich freilich, erstens, weil der solchermaßen vergewaltigte Betrieb langsam, aber sicher zugrunde geht, und zweitens, weil sich die Bevölkerung diese Folgen einer Parteienwirtschaft merkt und bei den Wahlen vielleicht doch noch einmal darauf die Antwort gibt.

Kann man eine Lösung im Sinne eines durch die Verantwortlichen vorbereiteten Sanierungsplanes als den gangbaren Weg bezeichnen? Vielleicht überlegt man sich einmal da und dort, daß die Stimme Österreichs nicht mehr lange ungestraft die „Stimme seiner Herren“, der Parteien Stimme, bleiben darf. Diese Stimme wird, Wie man es genau weiß, von deutsch sprechenden Teilen der Bevölkerung in den Ländern der ehemaligen Donaumonarchie gehört, es wird da ein Strauß-Konzert, eine Sendung mit Grillparzer, ja mit Heinz Conrads,, mehr beachtet, als man es hierzulande glaubt. Schon allein um diese Freunde Österreichs nicht zu enttäuschen, müssen die dafür Verantwortlichen, also letztlich die Parteien, für ein klischeefreies und nicht im Zeichen der schwarz-roten Reichshälften stehendes Bild Österreichs vor aller Welt sorgen. Sie haben die Wirklichkeit, nichts als die Wirklichkeit, auszustrahlen, zu propagieren; eine Wirklichkeit, die wohl viele echte Gegnerschaften aufweist, in der aber die Kräfte, die diesen Staat, dieses Land erhalten, überwiegen. Starke Geister vermögen eben beides: den Versuchungen der totalen Macht in den eigenen Reihen, in der eigenen Position und gleichzeitig auch der Diktatur des schlechten Geschmacks zu widerstehen. Der Stimme Österreichs gegen Ost und West wären solche „dienstbaren Geister“ zu wünschen..

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