6661091-1960_07_04.jpg
Digital In Arbeit

Strafrecht und Humanität

Werbung
Werbung
Werbung

Ist unser Strafrecht human? Zuwenig human sagen die einen: Die vorgesehenen Strafen sind zu streng, es wird noch bestraft, was nicht mehr zu bestrafen wäre; man denkt dabei an die Homosexualität, an leichte Fälle der Abtreibung und dergleichen mehr. Die Tatbestände sind zu eng gefaßt! Ja sogar bei der vorsätzlichen Tötung sollte man privilegierte Deliktsformen schaffen, um dem verschiedenen Unrechtsgehalt der Tat bei Tötung aus niedriger Gesinnung, Tötung auf Verlangen oder gar Tötung aus Mitleid Rechnung zu tragen. Und nun der Strafvollzug. Er sei zu rückschrittlich. Mehr Auflockerung, mehr Berücksichtigung der verschiedenen Arten der Gesetzesübertreter, Scheidung nach Gruppen von besserungsfähigen Schwerverbrechern und ansprechbaren Kriminellen wird für erforderlich gehalten. Weiter noch eine bessere Unterbringung, eine bessere Betreuung, allenfalls eine bessere Verpflegung und vor allem eine sorgfältigere Einwirkung in der Richtung der Resozialisierung der Strafgefangenen.

Zuviel human sagen die anderen. Es geht doch um die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung, um die Bewährung alles dessen, was uns recht und heilig erscheint, wenn notwendig durch den Vollzug der Strafe. Sollen wir vergessen, daß der Abwehrwille der menschlichen Gesellschaft sich im Strafrecht geradezu manifestiert? Haben wir nicht vor noch nicht allzu langer Zeit gesehen, daß die leitenden Prinzipien der Gerechtigkeit, ja auch der Humanität und der Rechtssicherheit einer rein staatlichen Zweckmäßigkeit geopfert wurden, so daß selbst Anhänger des Positivismus, wie der langjährige sozialistische Justizminister und bedeutende Rechtslehrer Radbruch, soweit es die Gesetzgebung betrifft, nach der m a t e-riellen Gerechtigkeit riefen. Zeigt nicht die offenbare Zunahme der Kriminalität, ^a^beftfSTWanisierung des “Strafrechts, zu-“mindest sofern es das Ausmaß betrifft, Vorsicht am Platz ist? Warum eine Verniedlichung des Mordes? Warum allenfalls sogar eine Straffreiheit bei der leichtfertigen Abtreibung der Leibesfrucht? Zu strenge Strafen! Nein! Sogar zur Todesstrafe wollen wir zurück. Täterstrafrecht? Soll damit nicht die Wertung der besonderen Tat und auch der einzelnen Tatschuld aufgegeben werden und zur Lebensführungsschuld und Gefährlichkeit des Täters hinübergeleitet werden, womit erreicht würde, daß die Tat nicht mehr die Grundlage, sondern nur noch der Anlaß zur Bestrafung wäre. Zum Strafvollzug. Radiosendungen für Strafgefangene! Arbeit! Ja, aber kein Anspruch des Strafgefangenen auf ein Entgelt, das der Entlohnung in der Freiheit allzu nahe kommt.

So und ähnlich wird von gegensätzlichen Standpunkten aus argumentiert, wobei die Lautstärke der einen oder anderen Gruppe davon abhängt, ob gerade eine Reihe eindrucksvoller Ereignisse, sei es auf Seite der Verbrecher, besonders verwerfliche Bluttaten und dergleichen, sei es auf Seite der Justiz, eine Reihe von Fehlurteilen in großen Strafsachen, die zur Wiederaufnahme geführt haben, vorliegt, Je nachdem schlägt das Pendel in der einen oder in der anderen Richtung aus.

Selbstverständlich treten alle Staatsbürger für die Humanität ein. Aber nicht alle verstehen darunter das gleiche. Es ist doch ein zu relativer Begriff. Viele meinen daher, daß Gerechtigkeit und Rechtssicherheit verläßlichere Grundlagen für ein künftiges Strafrecht seien. Wenn die anderen es mit der sozialen Zweckmäßigkeit halten, so treten einander gegensätzliche Anschauungen gegenüber. Wir Katholiken halten an einer letztlich metaphysisch verstandenen Gerechtigkeit fest und können uns mit einer Auffassung wohl nicht befreunden, wie wir sie in Nord- und Westeuropa antreffen — wir sprechen von einer „soziologischen Strafrechtsauffassung“, die in diesen Ländern vertreten wird —, wonach es die Aufgabe des Strafrechts wäre, der Verbrechensverhütung durch angemessene Maßnahmen gegen den, der ein Verbrechen begangen hat, zu dienen. Für uns ist das Strafrecht die Sichtbarmachung der ethischen Grundordnung der Gemeinschaft. Vielleicht ist gerade die Auflockerung des Verhältnisses von Moral und Recht Ursache dafür, daß nicht alle Glieder der Gemeinschaft sich in sittlicher Verantwortung zum Recht bekennen und sich in zunehmendem Maße Gesetzesübertreter finden, die sich in bewußter Weise gegen die Rechtsordnung stellen oder ihr nur gleichgültig gegenübertreten.

Auch wir wissen, daß die strafrechtliche Dog-matik sich geändert, die juristischen Begriffe sich verfeinert haben und die jahrhundertelange Erfahrung österreichischer Rechtsprechung zu neuen Ausformungen und Prägungen von Unrechtstypen, also der Tatbestände, führen kann, ja soll, die den veränderten Anschauungen über Recht und Unrecht entsprechen. Daß 'is! sith hierbei nicht um den Kern des Strafrechts handeln kann, scheint mir klar. Daß hier Bestrebungen, die auf krasse Auflockerungen des Mordbegriffes abzielen und ihre Ausstrahlung finden bei der Abgrenzung der leichtfertigen Abtreibung, mit besonderer Vorsicht begegnet werden muß, liegt auf der gleichen Ebene.

Ähnliches gilt für die Auseinandersetzung über Tat- oder Täterstrafrecht. Verstehen überhaupt alle das gleiche darunter? Es ist sicherlich bereits zu einem mißverstandenen Schlagwort geworden. Es begann am Anfang des 20. Jahrhunderts mit den sogenannten Symptomatikern T e s a r und Kollmann. Sie erblickten den Angelpunkt des Strafrechts nicht in der strafbaren Handlung und ihrem Erfolg, nein, für sie waren beide nur ein Symptom, nämlich nur ein Erkenntnismittel für die eine Strafe allein begründende Schuld. T e s a r löste sich dann sogar so weit von der Tat los, daß er dem äußeren Verhalten des Delinquenten nur insofern Bedeutung beimißt, als es eine besondere psychische Beschaffenheit des Täters enthüllt. Diese Gedankengänge, in Konsequenz verfolgt, führen dazu, daß die Tat nur noch als Symptom größerer oder geringerer Sozialschädlichkeit des Täters gewertet wird, ethisch jedoch völlig indifferent ist. Die Notwendigkeit einer scharfen Abgrenzung der einzelnen Deliktstatbestände könnte dabei fallengelassen werden. Diese letzten Folgerungen wurden in Österreich, wenn man vom Tat- oder Täterstrafrecht spricht, nicht gezogen, und ich glaube, sie sind auch nicht gewollt. Es soll bei strafbaren Tatbeständen bleiben. Damit ist das Prinzip der Rechtssicherheit gewahrt. Differenzen können sich allerdings darüber ergeben, ob auch im künftigen Strafrecht Ausgangspunkt für die Bestrafung die Tat ist, das heißt der Unrechtsgehalt der Tat und die Schuld des Täters hinsichtlich dieser strafbaren Handlung. Die Anhänger des Täterstrafrechts wollen allzu gerne die sogenannte L e-bensführungsschuld hereinspielen lassen, auch bei der Bemessung der Strafe und nicht nur, wo es angemessen erscheint, bei den sogenannten Maßnahmen der Besserung und Sicherung. Hier soll keineswegs einer Vertiefung der psychologischen Persönlichkeitsforschung widerraten werden und soll auch nicht behauptet werden, daß die Handlung nicht auch als Produkt der Persönlichkeit zu verstehen ist, und daß deshalb eine Tat, wie zum Beispiel der Diebstahl, ganz anders wiegt, wenn er von einem bisher unbescholtenen Gelegenheitsverbrecher, als wenn er von einem vorbestraften Gewohnheitsdieb begangen wird. Hier ist es eine Forderung der Gerechtigkeit, dieselbe Tat, je nach Verschiedenheit der Person, die sie gesetzt hat, zu bestrafen. Im Grunde wird hierbei, so sagt bereits Wilhelm Sauer, doch immer nur die Tat bewertet, die lediglich in verschiedener Schwere erscheint, je nach dem Persönlichkeitswert ihrer Urheber.“

Entscheidend ist für das neue Strafrecht die Auffassung von der Strafe. Sie bleibt ein Vergeltungsvorgang. Ihr Sinn liegt also vor allem darin, neben der bereits oben angeführten Aufgabe, die Rechtsordnung zu bewähren, die Schuld des Täters auszugleichen. Durch diese Beziehung von Strafe und Schuld finden wir nicht nur einen Weg zu einer im Volke lebendigen Vorstellung, sondern iegen in die Hand des Richters die Entscheidung, die darin besteht, durch seinen Spruch zugleich einen sittlichen Wertungsvorgang innerhalb der Rechtsgemeinschaft vorzunehmen.

Hierbei wollen wir nicht verkennen, daß die Strafe, wie einmal H e n t i g ausführte, zum Schutz der menschlichen Gesellschaft eine von der Gesellschaft aufgerichtete künstliche Gefahr, ein bereitgestellter, von Menschenhand gefertigter Schmerz ist, wobei die Erwartung der menschlichen Gesellschaft dahin geht, daß das Individuum vor der Drohung zurückscheut und den einmal zugefügten Schmerz als Hemmung in den Mechanismus seiner Antriebe einbauen wird.

Damit kommen wir zum generalpräventiven Zweck der Strafe, der also durch die Strafandrohung eine Abschreckung herbeiführen soll. Wenn wir den tieferen Sinn darin erblicken, daß nicht die Furcht, sondern das sittliche Bewußtsein und die gesellschaftlichen Vorstellungen über Gut und Böse, Erlaubt und Unerlaubt die entscheidenden Antriebe und Bewegungen des Menschen bestimmen, so brauchen Wir uns des Abschreckungszweckes der Strafe auch in einem modernen Strafrecht nicht zu schämen. Von einer höheren Warte aus gesehen, dürfen wir — weil es bereits P l a t o n in seinem Dialog Gorgias festhielt — nicht der Sühnewirkung der Strafe im Sinne der Hinführung des Verbrechers zur Sühne vergessen, weil die innere Umkehr des Verbrechers am besten seine dauernde Besserung garantiert.

Damit soll allerdings nicht geleugnet werden, daß der Resozialisierung als einem, und zwar einem bedeutsamen Zweck der Strafe eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Auf Erden ist sicherlich mehr Freude über 99, die infolge der Strafdrohung nicht zu Verbrechern wurden, als über den einen, der durch Resozialisierung der menschlichen Gesellschaft zurückgeführt wird. Damit will ich keineswegs sagen, daß der Resozialisierung nicht ein entsprechender Erfolg eingeräumt werden kann. Sie wird allerdings nicht bei allen Kriminellen durchgreifen.

Es gibt nach wie vor gefährliche, nicht ansprechbare Verbrecher, auf deren Resozialisierung die staatliche Gemeinschaft verzichten kann. Ihre Schuldverstrickung war zu groß und ihre Gefährlichkeit ist so bedeutend, daß man nicht mit Fug und Recht das Wagnis auf sich nehmen könnte, anständige Staatsbürger den rechtswidrigen Angriffen solcher Zeitgenossen weiterhin auszusetzen. Hier ist es am Platze, einer dringenden Änderung der geltenden Bestimmungen, welche eine bedingte Entlassung auch bei lebenslänglichem Kerker zulassen, das Wort dahin zu reden, daß lebenslänglich eben lebenslänglich bleibe und keiner Institution — außer dem Bundespräsidenten — das Recht eingeräumt werden dürfe, diese Strafe zu verkürzen. Fast ein Jahrzehnt ist vorübergegangen, seitdem ich in der „Furche“ dafür eingetreten bin. Allerdings vergeblich I Im Jahre 1956/57 habe ich mich gegen die bedingte Entlassung bei lebenslänglicher Strafe in einem Aufsatz in den „Juristischen Blättern“, ebenfalls vergeblich, ausgesprochen. Nun scheint die Zeit für diese mir angemessen erscheinende Änderung der gesetzlichen Bestimmungen reif geworden zu sein.

Nun zurück zur Resozialisierung. Bei Gelegenheit s- und Zufallstätern ist, falls nicht eine Mahnung in Form einer nur bedingt ausgesprochenen Strafe genügt, voller Erfolg zu erwarten. Ähnliches gilt bei kriminell Gefährdeten sowie bei anfälligen und ansprechbaren Kriminellen. Sie werden durch Heranziehung zur Arbeit in die soziale Gemeinschaft rückgeführt werden können. Die Heranführung des Strafgefangenen an die Arbeit oder, wenn notwendig, die Zurück-führung zur Arbeit läßt ihn erkennen, daß die Arbeit eine unbedingte Voraussetzung für ein redliches Fortkommen ist. Betätigung ist natürlich und zur Erhaltung der leibseelischen Gesundheit notwendig. Dies hat schon Goethe gewußt: „Seelenleiden, in die wir durch Unglück oder eigene Fehler geraten, sie zu heilen, vermag der Verstand nicht, die Vernunft wenig, die Zeit viel, entschlossene Tätigkeit alles.“

So gesehen, ist die A r b e i t nicht nur Mittel zum Broterwerb, also nicht allein ausgerichtet auf einen ökonomischen Vorteil, sondern besitzt auch einen sittlichen Wert, weil sie dem Menschen hilft, seine innere Freiheit zu finden, und damit seine Würde hebt.

Einer menschlichen Behandlung im Strafvollzug, wozu eine allseitige Betreuung von Strafgefangenen in sanitärer Beziehung durch Arzt vnd Einräumung gesunder Unterkünfte, Gewährung einer angemessenen Verpflegung und auch einer Erziehung durch Zugänglichmachen von geeigneten Rundfunkübertragungen — es können auch Länderwettspiele sein — gehört, und nicht zuletzt durch religiöse Betreuung — Exerzitien —, die den Seelsorgern obliegt, muß das Wort geredet werden.

Zusammenfassend sei folgendes festgestellt: Das Strafrecht ist die unüberschreitbare Schranke jeder Sozialpolitik und damit auch der Spezialprävention. Das Besserungs- und Re-sozialisierungsprinzip findet seine Grenze in der Generalprävention, also in der Bewährung der Rechtsordnung. Es dürfen daher bei der Resozialisierung die anderen oben angeführten Zwecke nicht vergessen werden, weil eine maßlose Übertreibung auf diesem Gebiet weder das Verständnis der anständigen Staatsbürger findet noch auch den notwendigen bessernden Einfluß auf den Verbrecher herbeiführen würde. Es wäre ein Fehler, wenn die Resozialisierung in eine sogenannte Humanitätsduselei ausarten wollte, weil man zwar nicht hart sein soll, aber festbleiben muß, denn fest sein heißt ebensowenig hart sein, wie milde sein schwach sein heißen muß.

In den meisten Fällen wird die notwendige Strenge zur Besserung und damit letztlich auch zur Resozialisierung beitragen, weil der Verstand und die Vernunft dem Strafgefangenen sagen, er solle sich unterordnen, wie es die Mehrzahl der Staatsbürger zum Wohle der Gemeinschaft tut.

Damit scheint sich mir der Kreis zu schließen. Auch oder gerade im Wohlfahrtsstaat muß sich der Verbrecher, selbst wenn man nur der soziologischen Strafrechtsauffassung huldigt, der Gemeinschaft einordnen. Tut er es nicht, wird er aus ihr vorübergehend oder dauernd ausgeschlossen. Wir wollen au:h im Verbrecher einen Menschen für die Familie, für die Allgemeinheit und für den Sttilt zurückgewinnen. Aber nicht um jeden Preis.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung