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Suche Almhaus, biete Festschmaus

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Wer will, zahlt in Kärnten mit Talenten statt mit Schilling. Kann aus dieser Idee mehr werden als ein Gesellschaftsspiel für Idealisten?

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Wer will, zahlt in Kärnten mit Talenten statt mit Schilling. Kann aus dieser Idee mehr werden als ein Gesellschaftsspiel für Idealisten?

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Lokalaugenschein in der Küche des Pfarrhofes St. Georgen am Längsee, Sonntag mittag: Der Pfarrer, Hans-Peter Premur, ist beschäftigt. Kr zerpfückt einen Salatkopf, wäscht sorgfältig die Blätter und rührt sodann im Kochtopf um. Kein ungewohnter Anblick, denn der Pfarrer ist ein talentierter Koch und lädt des öfteren Freunde und Bekannte zwecks Verkostung neuer Kreationen ein. Doch wenn Premurzu Tisch bittet, serviert er neuerdings einen Buchungsauftrag zum Dessert. Denn das Mittagessen hat seinen Preis, genauer: 150 pro Person. Aller dings nicht Schilling sondern Talente.

Elf riede Kohlweg aus Klagenfurt ist arbeitslos. Ihre Küche hätte dringend einen neuen Anstrich nötig, doch die Mutter zweier Kinder kann sich zur Zeit keine Benovierungsarbeiten leisten. Sie nimmt Kontakt mit Bobert Wenig auf, der in der „Talentezeitung” seine Dienste als Malermeister anbietet, und die beiden werden handelseins. Kostenpunkt: 600 Talente.

Zwei Beispiele eines erfolgreichen Dienstleistungstransfers auf Talentebasis. Was es damit auf sich hat, weiß Pfarrer und Hobbykoch Hans-Peter Premur, der Anfang diesen Jahres den ersten Kärntner Talentetausch-kreis initiierte. „Der Talentetausch geht der Erwerbslosigkeit an die Wurzeln”, ist Premur überzeugt. „Arbeitt gibt es genug, doch das Geld, um diese zu bezahlen, fehlt immer öfter”. Die Badioreihe „Geld frißt Welt” (Helmut Waldert) und der Bestseller „Faktor vier” (Ulrich von Weizsäcker) gaben den entscheidenden Anstoß, dann gings gemeinsam mit einem Organisationsteam an die praktische Umsetzung. Grundprinzip des Experimentes: „Mit dem Talentetausch klinken wir uns aus der Dynamik des Finanzmarktes aus und führen den Faktor Zeit als Alternativwährung ein.” Eine Stunde Arbeit „kostet” jeweils 100 Talente, die vom Talentekonto des Konsumenten abgezogen und auf das Konto des Gebers gutgeschrieben werden. Die Talente bleiben in einem lokalen Kreislauf erhalten und können sich nur durch Arbeit, nicht aber durch Zinsen vermehren.

Da eine Stunde in zehn Jahren noch immer aus sechzig Minuten bestehen wird, gibt es bei Talenten auch keine Inflation. Auf den Punkt gebracht: Die Währung „Talent” ist eine selbstgemachte, lokale und zinsfreie Zweitwährung, die eine ökologisch und sozial verträgliche Alternative zum Schilling darstellt. Sie bietet den Benutzern die Chance, sich kollektiv vom herkömmlichen, zinsfordernden Schuldgeld zu befreien und zeigt einen Weg auf, um den Kreislauf von Schulden und Zinslasten zu durchbrechen.

Zurück in die Praxis: Die (zur Zeit gezählten 106) Mitglieder des Kärntner Talentetauschkreises bieten in einer speziellen Marktzeitung ihre Dienste an. Das sieht etwa so aus: Herr Jordan erledigt einfache Tischlerarbeiten, Frau Michor streicht Möbel und Wände, Frau Schwartz kocht Festmenus, Frau Premur Sa-chertorten, Familie Kilian stellt ein Almhaus für Ferienaufenthalte zur Verfügung, Frau Gold opfert ihre Zeit für Gespräche. Im Gegenzug für die geleistete Arbeit können die Mitglieder Angebote anderer „Talentierter” in Anspruch nehmen: Also zurrraeispiel Mh- oder Bügelarbeit,

Schuhreparatur, Massage, Beitstun-den, Schminkberatung, Übersetzung oder Software-Schulung. Phantasie und Kreativität sind keine Grenzen gesetzt: Jeder kann anbieten, was er besonders gut kann oder gerne macht, von der Verhütungsberatung bis hin zur Altenbetreuung.

Im Wesen des Talentesystems liegt es, daß die Teilnehmer nicht wechselseitig Dienstleistungen und Produkte tauschen, sondern „quer durch den Gemüsegarten”. Also: Frau Dellemeschnig bäckt etwa Herrn Jordan eine Torte und erhält dafür von Frau Wernig Brennholz; diese läßt sich wiederum von Herrn Hlavka das Fahrrad reparieren, der seinerseits eine Torte bei Frau Dellemeschnig bestellt. Der Talentetauschkreis schließt sich. Keiner hat genommen ohne zu geben, keiner hat gegeben ohne zu nehmen: Ein „vollendeter Tausch”, der im Gefensatz zum „unvollendeten JÄprozeß” irf**der Geleit *siut%rteht. Zugleifljp fördert dasjfa-lentetauschsystem die Gleichwertigkeit von Arbeit: Da der Zeitaufwand das wichtigste Maß für den Preis ist, verringern sich die Unterschiede zwischen Kopf- und Handarbeit; Frauen- und Männerarbeit wird gleichwertig. Die eingebrachten Fähigkeiten müssen zudem nicht im Zuge einer Ausbildung erworben sein, deshalb wird auch das Spannungsfeld zwischen qualifizierter und nichtqualifizierter Arbeit abgebaut. „Es handelt sich dabei aber nicht um Schwarzarbeit”, betont Premur, „sondern um eine Form der erweiterten Nachbarschaftshilfe.” Das „Selbsthilfepotential” werde gestärkt, die Lebensqualität „aus eigener Kraft” verbessert. Und nicht zuletzt tragen lokale Vernetzungen zur Förderung der Kommunikation bei: „Man lernt durch den Talenteaustausch Leute kennen, die man sonst nie getroffen hätte”.

Das Prinzip des Talentetausches wurde freilich nicht im idyllischen Fleckchen St. Georgen am Längsee geboren. In der Tat existieren heute weltweit rund 2500 alternative Tauschkreise; alleine in Österreich sind derzeit zwanzig Gruppierungen registriert. Vorbilder sind das „Talent-Experiment” von Aarau (Schweiz) und die Kanadischen LET (Local Exchange and Trading)-Sy-steme, die auf der Basis von Verrechnungsgeld funktionieren. Die Erfolge der Tauschkreise sind dabei in erster Linie vom Grad ihrer Begionali-sierung abhängig. „Wenn ein Fahrtweg von einer halben Stunde in Kauf genommen werden muß, um sein Kleinkind bei einem Babysitter unterzubringen, funktioniert das ganze nicht mehr”, sagt die Pastoralassistentin Bosa Windbichler-Oberno-sterer, die auf Talentebasis Kinder hütet. Der nächste Schritt der Kärntner Talente-Organisatoren besteht daher im Aufbau von Regionalstellen: für den Herbst sind Informationsveranstaltungen und Werbekampagnen in allen größeren Städten Kärntens geplant.

Ob sich das Talente-Experiment als tatsächliche Hilfe für Randgruppen etablieren kann oder ein Gesellschaftsspiel für Idealisten bleibt, wird erst langfristig beurteilt werden können. Initiator Premur ist jedenfalls von der Durchsetzungskraft des Systems überzeugt: „Es wird generell größerer Phantasie und Kreativität privater Gruppierungen bedürfen, um der Erwerbslosigkeit zu begeg-

Dann geht er in den Garten, um Gemüse zu ernten. Das Jäten hat schon einer vor ihm besorgt. Für Talente - ganz klar.

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