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Südtiroler Kernprobleme

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In der letzten Zeit sind in Südtirol zwei Ereignisse eingetreten, die im ersten Augenblick den Anschein erwecken, als ob die italienische Regierung den Südtirolern gegenüber eine gemäßigtere Politik einschlagen werde. Da ist einmal die Bewilligung zur Errichtung von Schützenkompanien im ganzen Lande; in der nächsten Zeit werden 45 solcher Schützenkompanien mit rund 1500 Mann errichtet werden. Der zweite .Silberstreif“ ist die Ausschreibung von pragmatisierten Lehrerposten an den deutschsprachigen Volks- und Mittelschulen.

Die Zahl der derzeit definitiv mit Pensionsberechtigung angestellten Lehrer an den Volksund Mittelschulen mit deutscher Muttersprache ist an den Fingern abzuzählen. So unterrichtet zum Beispiel an der deutschen Handelsschule in Bozen mit 651 Schülern und rund 20 Klassen kein einziger deutscher Lehrer mit Pensionsberechtigung. Die meisten „Lehrer“, man kann ruhig sagen 70 bis 75 Prozent, sind Studenten, die sich damit das Studiengeld verdienen; daneben befinden sich aber Lehrer mit Familie, die von einem lahr zum anderen zittern müssen, ob sie wieder angestellt werden oder ohne einen Groschen Abfertigung vor die Tür gesetzt werden. Daß die italienische Regierung auf diesem Gebiet endlich eine gerechte Wandlung schaffen will, ist also anzuerkennen, aber im Grunde mehr als billig.

Das Kernproblem Südtirols liegt jedoch auf dem Gebiet der Bevölkerungspolitik.

Die Bevölkerung Südtirols weist eine ständige Zunahme auf. Vom Jahre 1869 bis 1951 ist die ortsansässige Bevölkerung um 145.000 Seelen gestiegen, das sind 74 Prozent, wovon auf die ersten 41 Jahre von 1869 bis 1910 nur 27,5 Prozent, auf die restliche Zeit von 1910 bis 1951 aber 46,5 Prozent entfallen. Bei dieser Steigerung fällt ins Auge, daß die höchste Steigerung die Wohnbevölkerung der Städte und vor allem die Bozens aufweist, und zwar ist die Bevölkerung Bozens von 1910 bis 1955 um 50.6 83 Seelen, das sind £irka ,17 P(o ent, gestiegen:- Der Anteil ef'Italienischen Bevölkerungsgruppe ist in dieser 2eit von 5,6 Prozent auf 79 Prozent gestiegen 1 Auf dem Lande kommt der stärkste Zuwachs aus der einheimischen deutschen und ladinischen Bevölkerung im Gröbner Tale und im Etschtal zwischen Bozen und Meran, wo die Steigerung 16 Prozent ausmacht.

Dieser Bevölkerungszuwachs ist natürlich in erster Linie auf die planmäßige italienische Zuwanderung zurückzuführen, zu der nur der erfreuliche Geburtenüberschuß der deutschen und ladinischen Bevölkerung ein gesundes Gegengewicht bildet.

In den Jahren 1950 bis 1953 waren in der Provinz Bozen durchschnittlich jährlich 6100 Lebendgeburten zu verzeichnen, denen rund 3000 Todesfälle gegenüberstanden, so daß ein Geburtenüberschuß von jährlich 3100 Seelen zu verzeichnen ist. Diese 3100 Menschen müssen mit der Zeit in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden, was aber unter der gegenwärtigen italienischen Politik unmöglich ist; die Arbeits- vergebung wird nämlich von den italienischen Arbeitsämtern gesteuert, die höchstens 3 bis 5 Prozent der deutschen Jugend in den Arbeitsprozeß eingliedern, während die restlichen

97 Prozent an italienische Arbeiter aus den alten Provinzen fällen.

So ergibt sich, daß sich jährlich zirka 3000 Deutsche auswärts Arbeit suchen müssen.

Von den 333.900 Einwohnern Südtirols sind 11,4 Prozent jünger als 6 Jahre, 15,5 Prozent jünger als 14 Jahre und 11,5 Prozent jünger als 21 Jahre; die an und für sich erfreuliche Tatsache, daß 38,4 Prozent der deutschen und ladinischen Bevölkerung jünger als 21 Jahre ist, wird oben von der düsteren Tatsache überschattet, daß für diesen Bevölkerungsüberschuß im eigenen Lande durch die italienische Unterwanderung immer weniger Arbeitsplätze zur Verfügung stehen und die deutsche Jugend langsam, aber sicher zur Auswanderung gedrängt wird. Reme- dur schaffen würde hier nur eine paritätische Besetzung der Arbeitsämter, die bisher zu

98 Prozent von italienischen Beamten besetzt sind. 61,6 Prozent der Bevölkerung ist älter als 21 Jahre und nur 6,6 Prozent älter als 65 Jahre. Wenn man diese Daten anderen Ländern gegenüberstellt, so kann man erfreulicherweise feststellen, daß die Südtiroler Bevölkerung verhältnismäßig weniger vergreist ist. Für die 61,6 Prozent von 21 bis 65 Jahren und für die 11,5 Prozent von 14 bis 21 Jahren könnte man leicht

Arbeitsplätze in Südtirol schaffen — wenn der gute Wille vorhanden wäre. Gegenwärtig werden 42,6 Prozent der Erwerbspersonen in der Landwirtschaft, 23,2 Prozent in Industrie und Gewerbe und 34,2 Prozent in anderen Wirtschaftszweigen als Hilfsarbeiter beschäftigt. In der Landwirtschaft sind die meisten Deutschen beschäftigt, und zwar rund 70 Prozent; die Italiener dagegen betätigen sich in erster Linie im Handel und in zweiter Linie als Erd- und Straßenarbeiter.

Nach der Landwirtschaft rangiert als wichtigster wirtschaftlicher Faktor in Südtirol der Obst- und Weinbau. Hier überwiegen die Klein- und Kleinstbetriebe: 70 bis 80 Prozent dieser Betriebe haben eine Ausdehnung bis zu höchstens 1 bis 5 Hektar Betriebsfläche. Man hat errechnet, daß von einem Hektar Weinland eine drei- bis vierköpfige Familie ordentlich leben kann und daß ein Hektar Obstland einen Ertrag von zirka 20 Tonnen erwarten läßt, was ebenfalls den Lebensbedingungen einer drei- bis vierköpfigen Familie entspricht.

Da die ausländische Konkurrenz auf dem Gebiet des Wein- und Obstbaues sehr groß ist, ist man darangegangen, große Kühlräume zu schaffen, deren Lager die empfindlichsten Preisschwankungen auffangen sollen. Die Provinz Bozen verfügt heute über einen Kiihlraum von

50.000 Tonnen, was ungefähr einem Drittel der Durchschnittsernte entspricht.

Die Aepfel- und Birnenernte betrug in den Jahren 1950 bis 195 5 154.000 Tonnen, wozu noch rund 10 Prozent Fallobst kommen; das entspricht ungefähr 12,7 Prozent der gesamten italienischen Obsternte (1,187.000 Tonnen). 70 bis 80 Prozent der Aepfel und 50 bis 70 Prozent der Birnen werden ausgeführt, in erster Linie nach Deutschland, Frankreich und Skandinavien. Die Ausfuhr nach diesen drei Ländern ist durch Kontingentierungen und Einfuhrbeschränkungen zurückgegangen, wogegen die Ausfuhr nach Afrika und der arabischen Welt im Steigen ist, so daß diese Länder bereit? ijn.,Jahre ..1,943.rund 21.Prozent de .Süd tiroler Obstexports aufgenommen habe .

Wirtschaftlich interessante Probleme wirft die Traubenernte auf. Durchschnittlich werden 51.450 Tonnen Trauben geerntet, wovon rund 3000 Tonnen als Tafeltrauben verkauft' werden, während der Rest in den Kellereien zu Wein verarbeitet wird, was eine jährliche Erzeugung von rund 330.000 Hektoliter ergibt. Diese

330.000 Hektoliter sind allerdings nur 0,6 Prozent der gesamten italienischen Ernte, aber wertmäßig bestreiten die Weine aus Südtirol mehr als 30 Prozent der gesamten italienischen Weinausfuhr. Dies ist darauf zurückzuführen, daß in Südtirol fast ausschließlich Spitzenweine erzeugt werden (St. Magdalena, Justiner, Traminer, Kalterersee usw.). 58 Prozent des Weinexports gehen nach der Schweiz, Oesterreich und Deutschland.

Eine entscheidende Rolle spielt in der Südtiroler Wirtschaft auch die Holzwirtschaft. 47 Prozent der land- und forstwirtschaftlichen Nutzfläche sind Wald, 'und zwar hauptsächlich Nadelhölzer (Tannen und Lärchen), im übrigen Italien sind nur 20 Prozent der land- und forstwirtschaftlich genutzten Fläche Waldbestand. Nur 50 Prozent des Waldbestandes ist Privatbesitz, während der Rest zum größten Teile , Gemeindewald, Kirchenbesitz oder Regionalbesitz ist.

Es sei nur noch erwähnt, daß Südtirol die drittergiebigste Steuerprovinz Italiens ist. Sicherlich ist es auch daraus zu erklären, daß Italien der Provinz Südtirol nicht die eigene Landesautonomie gewähren will, um sich die Steuerhoheit auf dem Gebiet der Regional- und Provinzialsteuern nicht entgehen zu lassen.

Die Kernfrage in Südtirol läßt sich daher in zwei großen Problemen zusammenfassen: einmal der gerechten Arbeitsvergebung und Schaffung von Arbeitsplätzen für die deutsche und ladinische Bevölkerung; sie kann wieder nur dadurch erreicht werden, daß die Arbeitsvermittlungsämter paritätisch von deutschen und italienischen Beamten gemeinsam besetzt werden. Zweitens müßte die deutsche Bevölkerung durch die eigene Landesregierung die Möglichkeit einer gerechten Besteuerung sowohl der deutschen als auch der italienischen Bevölkerung erhalten. Gerade auf diesem Gebiet ist die deutsche Bevölkerung bisher empfindlich benachteiligt worden.

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