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Digital In Arbeit

Teamwork anstatt Wettbewerb

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Die Arbeit mit Ausländerkindern hat engagierte Lehrer inspiriert, auch für inländische Kinder bessere Lernbedingungen zu entwickeln.

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Die Arbeit mit Ausländerkindern hat engagierte Lehrer inspiriert, auch für inländische Kinder bessere Lernbedingungen zu entwickeln.

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Die Kinder, die im Steyrer Stadtteil Münich- holz die Hauptschule (165 Schüler, 19 Lehrer) besuchen, zählen nicht gerade zu den Privilegierten. Sie sind viel sich selbst überlassen, suchen soziale Zuwendung und Nestwärme. Meist arbeiten beide Eltern, so sie noch Arbeit haben. Es gibt viele Ausländerund Teilfamilien.

Als vor zwei Jahren der Anteil der ausländischen Schüler in der Schule hinäufschnellte, reagierten die Lehrer mit vermehrtem Engagement. Man schickte die sprachunkundigen Kinder so wenig wie .möglich aus den Klassen, dafür einen zweiten Lehrer als Begleitung hinein. Die Ausländer sollten viel Deutsch hören, die Lehrer bei Verständigungsund Auffassungsproblemen helfend eingreifen. Dieses System der Förderung bewährte sich.

Die positive Erfahrung und ein immer größer werdendes Unbehagen an den Begleitumständen, die die Einteilung der Schüler in Leistungsgruppen mit sich bringt, veranlagte ein Lehrerteam unter Mitwirkung von Direktorin Christa Farkas und Federführung von HS-Leh- rer Norbert Tänzer ein neues Konzept auszuarbeiten.

Norbert Tänzer: „Die Leistungsgruppen sind zwar gut, weil sie eine differenziertere Beurteilung der Leistung eines Schülers erlauben und dem Lehrer größeren Spielraum für Anforderungen lassen. Aber sie sind sehr unbefriedigend für das Zusammenleben in der Schule. Dadurch,

daß alle Kinder nur mehr in sieben oder acht Stunden in der Woche beisammen sind, gibt es keinen Klassenverband mehr, in dem sich Gemeinschaft entwickeln und der Lehrer erzieherisch Einfluß nehmen könnte. Der Klassenvorstand ist in seiner Funktion eingeschränkt. Unsere Kinder überfordert zum Teil auch der ständige räumliche Wechsel von Gruppe zu Gruppe. So haben wir überlegt, wie wir den differenzierten Unterricht sinnvoller machen können.“

Der laufende Modellversuch in der ersten Klasse sieht nun so aus, daß alle Kinder im Klassenzimmer bleiben und in den Hauptgegenständen von zwei gleichberechtigten Lehrern, die sich ihre Arbeit selbst aufteilen, unterrichtet werden. Ein Lehrer trägt den Basisstoff vor, dann wird in Gruppen gearbeitet. Der zweite Lehrer wiederholt, arbeitet nach, erklärt. Die Schüler helfen sich gegenseitig bei den gestellten Aufgaben und können so ihre verschiedenen Talente einbringen. Das sichert auch dem schwachen Schüler einen anerkannten Platz in der Klassengemeinschaft.

Direktorin Christa Farkas: „Einer unserer wichtigsten Lerninhalte ist die Zusammenarbeit zu fördern. Die unguten Wettbewerbssituationen werden ausgeschaltet.“ Deshalb gibt es auch keine Schularbeiten, sondern nach bestimmten Stoffabschnitten „Lemstoffkontrollen“, die dem Lehrer zeigen, was die Schüler kapiert haben und wo eine Nacharbeit notwendig ist.

Die sieben Lehrer, die an diesem Modell beteiligt sind, sind sehr motiviert und zufrieden mit der neuen

Lematmosphäre. Den Kindern geht es gut dabei. Und die Eltern interessieren sich, da es ja plötzlich etwas Neues gibt, nach langem wieder für die Schule. Natürlich soll der Schulversuch fortgesetzt werden. Er hat gute Chancen auf weitere Genehmigung, denn er verursacht keine zusätzlichen Kosten.

ATTRAKTIVE SCHWERPUNKTE

Ihrer Aufgabe, Grundlagen für die Ausbildung von Facharbeitern zu schaffen, werden die Hauptschulen auf dem Land zwar noch gerecht, ihre Attraktivität hat aber auch da merkbar nachgelassen. Bis zum Schuljahr 1980/81 kamen in Oberösterreich auf eine(n) AHS-Schü- ler(in) noch fünf Hauptschüler(in- nen). Heute hegt der Landesdurchschnitt bei sehr unterschiedlichen

Anteilen in den Bezirken, bei 1:3,5. Signifikant ist, wenn es in leicht erreichbarer Nähe eine AHS gibt, wandern die Schüler dorthin ab, auch wenn eine gute Hauptschule vorhanden ist.

So führen zum Beispiel in den Bezirken Freistadt, Braunau und Rohrbach noch deutlich die Hauptschulen gegenüber den AHS (Schülerverhältnis 1:7,3 und 1:9), im Bezirk Steyr aber kommen nur mehr 1,3 Hauptschüler auf einen Schüler der AHS- Unterstufe. 1992/93 wählten 88 Prozent der rund 750 Volksschüler im Bezirk Steyr-Land eine Hauptschule, von den 434 Schülern im Stadtschulbezirk waren es 69,5 Prozent.

„Schwerpunkte zu setzen, ist im städtischen Bereich nahezu die einzige Möglichkeit, die Hauptschule wieder attraktiv zu machen“, sagt der Steyrer Bezirksschulinspektor

Heinz Hack. Von den neun Hauptschulen (zwei davon sind privat) in der Stadt Steyr haben die Ganztagsschule, die Sport- und die Musikhauptschule enormen Zulauf. Es gibt Pläne für weitere Schwerpunkte: Technik und Gesundheit (Ernährungslehre, Haltungsturnen und Bewegungsschulung). Ein Standort soll durch eine Rudergruppe und gezielten Eislaufunterricht (Hockey und Kunstlaufen) anziehender werden.

LEHRERBILDUNG ERNEUERN

Ein Kooperationsversuch mit der HTL und der Lehrwerkstätte der Steyr-Werke wird den Haupt- schülem Einblick in die Arbeitswelt und die Metallverarbeitung geben. „Ein besonderes Anliegen für die Zukunft sind auch Integrationsklassen für Behinderte“, betont der Bezirksschulinspektor.

Heinz Hack plädiert für die Entwicklung neuer Schulformen. Er ist überzeugt, daß auch einer mittelgroßen Stadt wie Steyr eine Schulverbundslösung guttäte, in der HS- Lehrer und AHS-Lehrer miteinander zwei, drei Jahre lang eine „unsortierte“ Schar von begabten und weniger begabten, ausländischen und behinderten Kindern unterrichten, um so Erfahrungen für eine neue Art von Schule zu sammeln. „Dazu müßte schon bei der Lehrerbildung angesetzt werden. Jeden Lehrer müßte man in den ersten Jahren in jedem Schultyp unterbringen können. Genauso wie jeder einmal Behinderte unterrichten sollte. Das würde den Blickwinkel der Lehrer ungemein öffnen.“

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