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Teilnahme an der Fronleichnamsprozession

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Nachdem wir uns die Grunddaten für den allsonntägigen Kirchenbesuch vor Augen geführt haben, wollen wir jetzt etwas tiefer in di religiöse Praxis der befragten Jugendlichen eindringen.

Der Zeitpunkt unserer Erhebung war im Hinblick auf die Frage nach dem Sakramentenempfang günstig gewählt, da der Abstand zur österlichen Zeit, für welche die Verpflichtung zu Beichte und Kommunion besteht, gering war; somit mußte allen Befragten gut in Erinnerung sein, ob sie die von der Kirche zur Pflicht gemachte religiöse Übung mitvollzogen hatten oder nicht.

Die Antwort auf die Frage nach dem Sakramentenempfang ergab, daß 40 Prozent im Frühjahr gebeichtet und kommuniziert hatten. Erstaunlich war, daß auch hier nur sechs Burschen diese Frage nach einer persönlichen religiösen Praxis nicht beantworteten.

Dieses Ergebnis über den Sakramentenempfang weckt gleich den Wunsch, es mit den über den Gottesdienst gewonnenen Daten zu vergleichen. Dabei kommt man zu dem überraschenden Resultat, daß zwar nur 22 von 100 Burschen sonntags regelmäßig zur Kirche gehen, aber 40 von 100 die kirchliche Osterpflicht erfüllen.

Wie können wir diesen Unterschied erklären? Wieso gehen nicht alle diejenigen, die jährlich einmal beichten und kommunizieren, auch regelmäßig zum Gottesdienst? Die Antwort dürfte wohl darin liegen, daß der junge Mensch eher eine periodisch wiederkehrende, als seelische Reinigung und moralisch-religiöse Besinnung wertbare kirchliche Übung jährlich einmal auf sich nimmt, als Sonntag für Sonntag sich regelmäßig zum Gottesdienst zu begeben.

Unsere vergleichende Betrachtung von Gottesdienstbesuch und Sakramentenempfang kommt zum gleichen Resultat wie die amtlich-kirchlichen Zählungen. Auch sie ermitteln durchschnittlich mehr jährlichen Sakramentsempfang in Erfüllung der Osterpflicht als regelmäßigen Sonntags-Kirchgang2. Nicht nur von den Jugendlichen, so sehen wir, sondern von der gesamten katholischen Bevölkerung geht ein nicht unbeträchtlicher Teil jährlich einmal beichten und kommunizieren, doch finden sich nicht ebenso-viele zum Gottesdienst am Sonntag regelmäßig ein.

Die dritte Frage nach der religiösen Praxis bezog sich auf die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession. Sie lautete: „Gehen Sie gewöhnlich' bei der Fronleichnamspro-/ession mit?* 42 Prozent der katholischen Burschen bejahten sie; dies bringt ein gegenüber dem regelmäßigen Gottesdienstbesuch (22 Prozent) wesentlich höheres Ergebnis.

Die Erklärung dafür, warum die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession über dem regelmäßigen Gottesdienstbesuch liegt, ist verhältnismäßig einfach: die Fronleichnamsprozession findet jährlich einmal statt, während die Verpflichtung zum Gottesdienst für den Katholiken allsonntäglich besteht. Allerdings bringt die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession ein gewisses äußeres Bekenntnis zur katholischen Kirche mit sich, das je nach der in der Gemeinde, im Freundeskreis oder im Betrieb herrschenden Auffassung für den Betreffenden Vorteile oder Nachteile mit sich bringt.

Die weitaus höchste Bejahungsquote stellte sich bei der vierten Fragestellung ein, die sich auf die Firmung, ein einmaliges und un-wiederholbares Sakrament der katholischen Kirche, bezog. Die Firmung ist, zum Unterschied von Beichte und Kommunion, in Wien und Niederösterreich in der Regel eine mit Annehmlichkeiten und Geschenken verbundene religiöse Veranstaltung, so daß es wenig klare Widerstände dagegen gibt, soferne nicht bei einem jungen Menschen oder dessen Verwandten grundsätzliche Ablehnung von Religion oder Kirche oder beiden vorliegt. Wohl kann auch das Fehlen eines Firmpaten, der für die dem Sakrament folgende Festivität als Geldgeber in Frage kommt, an der Verschiebung oder an der Weglassung der Firmung die Schuld tragen; wir werden aber kaum fehlgehen, wenn wir behaupten, daß die überwiegende Mehrzahl derer, die als Katholiken nicht gefirmt sind, wohl die geringste Bindung zu ihrer Religion haben. Von 100 katholischen Burschen waren nach unserer Untersuchung 74 gefirmt.

Die folgende Aufstellung über die verschiedenen Manifestationen der religiösen Praxis gibt uns einen vergleichenden Überblick.

Regelmäßiger Besuch

des Sonntagsgottesdienstes----22%

Beichte und Kommunion im

Frühjahr 1959 ............... 40%

Es nehmen gewöhnlich an der Fronleichnamsprozession teil .. 42% Regelmäßiger und gelegentlicher Besuch des Sonntagsgottesdienstes ................ 45%

Es sind gefirmt .............. 74%

Die Manifestationen der religiösen Praxis in ihrem Zusammenhang

Sehr interessant sind die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Manifestationen der religiösen Praxis, da sich nicht schlechthin eindeutige Verhaltensbilder, sondern auch Überschneidungen ergeben. So haben 92 Prozent derer, die regelmäßig zur Kirche gehen, im Jahre 1959 ihre „Osterpflicht“ erfüllt und die Sakramente empfangen; von den Burschen, die sonntags gelegentlich zur Kirche gehen, ist es die Hälfte, und bei denen, die nur zu den hohen Feiertagen die Kirche besuchen, ist es immer noch ein Viertel, welches die Sakramente empfangen hat!

Der Zusammenhang mit der Teilnahme an der Fronleichnamsprozession ist in anderer Hinsicht deutlich. Man entschließt sich, auch bei geringer Intensität des Kirchenbesuches, leichter zur Teilnahme an der Prozession als zum Sakramentenempfang. Die Hälfte der Burschen, die gelegentlich zur Kirche gehen, schließt sich der Prozession an, und ein fast gleicher Prozentsatz von jenen, die nur zu den hohen Feiertagen die Kirche besuchen, ist bei der Fronleichnamsprozession zu finden.

Wie steht es mit den Überschneidungen zwischen Gottesdienstbesuch und Gefirmt-Sein? Die Burschen, die regelmäßig zur Kirche gehen, sind zu 94 Prozent gefirmt. (Die sechs Prozent, die auf 100 Prozent fehlen, kann man leicht aus praktischen Schwierigkeiten erklären, zum Beispiel aus dem Mangel eines Firmpaten, der nach der Tradition auch ein Geschenk geben soll.) Die Burschen, die „fast nie“ sonntags zum Gottesdienst kommen, sind zu immerhin 54 von Hundert gefirmt, ein Beweis für die Richtigkeit unserer oben schon ausgesprochenen Vermutung, daß die Firmung zwar ein in der Volkskultur („culture populaire“) stark verwurzelter Brauch ist, aber nicht gewährleistet, daß der Jugendliche an anderen Veranstaltungen der Religionsgemeinschaft teilnimmt. Anderseits zeigt doch der Unterschied zwischen den beiden Prozentsätzen der „Ge-firmten“, 94 Prozent bei den regelmäßigen Gottesdienstbesuchern und 54 Prozent bei den Fernstehenden, daß der Anteil der Gefirmten bei den katholischen Jugendlichen sinngemäß mit den Frequenzstufen des Gottesdienstbesuches variiert.

Der Einfluß der sozialen Umwelt geht nicht nur von Familie, Haushalt, Wohnung und Nachbarschaft aus; diese unmittelbare Umwelt ist in einen räumlich-gesellschaftlichen Zusammenhang gestellt, der sein eigenes Gepräge hat. und diese räumlich-soziale Zone ist nach bestimmten Merkmalen charakterisierbar. Als diese „weitere Umwelt“ sehen wir die Gemeinden an, in denen unsere Burschen wohnen. Sie sind einerseits durch die Anzahl der Personen ihrer Wohnbevölkerung nach der Größe bestimmt und anderseits durch die Art der Zusammensetzung nach verschiedenen Typen der wirtschaftlichen Zugehörigkeit der Wohnbevölkerung.

Wir wissen heute allgemein nur wenig über die zwischen Stadt und Land bestehenden Unterschiede in der religiösen Praxis. Vor einem halben Jahrhundert, ja noch vor 25 Jahren galt das Land — vor allem die bäuerliche Bevölkerung — als Kraftquelle der Religion und des Glaubens. Seit wir jedoch aus französischen Untersuchungen wissen, daß es auch Religionen gibt, in denen die ländliche Bevölkerung den religiösen und religionsgemeinschaftlichen Veranstaltungen fern bleibt, sind sogar Hypothesen laut geworden, welche in der städtischen Bevölkerung Ausgangspunkte für die Erneuerung der Gläubigkeit und der religiösen Praxis zu finden suchen.

Das Hauptresultat unserer Befragung kann in Kürze festgehalten werden: je kleiner die Agglomeration der Wohnbevölkerung, je weniger städtisch ihr Charakter, desto stärker ist die Teilnahme am Gottesdienst.'

Die jugendlichen Arbeiter, die wir untersuchten, zeigen in den Gemeinden, die weniger als 20.000 Personen Wohnbevölkerung umfassen, eine weitaus intensivere religöse Praxis als in St. Pölten und in Wien. Dies gilt nicht nur für den Sonntagsgottesdienst, sondern ebenso auch für die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession und den Empfang der Sakramente.

Wir wollen uns zunächst dem Gottesdienstbesuch zuwenden. Hie-bei bietet Wien förmlich das Gegenbild zu den kleineren ländlichen Gemeinden Niederösterreichs. Das heißt, daß in Wien nur zehn Prozent der untersuchten Lehrlinge sonntags regelmäßig den Gottesdienst besuchen, aber 58 Prozent der Kirche mit einer gewissen Regelmäßigkeit fernbleiben, während in den kleineren niederösterreichischen Gemeinden 39 von Hundert regelmäßig in die Kirche gehen und weniger als ein Fünftel sonntags in der Regel die Kirche meiden.

Was nun Niederösterreich betrifft, haben wir für die Darstellung unseres Materials verfeinerte Gesichtspunkte der Aufgliederung vorgesehen. Es gelang uns eine Aufgliederung nach Gemeindetypen vorzunehmen, die nach der Größe einerseits und nach dem Grad der Verstädterung (gemessen an der Gliederung der wirtschaftlichen Zugehörigkeit der Bevölkerung) anderseits gebildet wurde.

Der Hauptgewinn aus dieser Darstellung ist, daß wir den Einfluß der Gemeindegröße von dem der Berufs-struktur ihrer Bevölkerung isolieren können. Der Gesichtspunkt der Berufsstruktur zeigt uns, daß der regelmäßige Gottesdienstbesuch unserer Burschen in dem Maße abnimmt, in dem der Anteil der landwirtschaftlichen Bevölkerung an der Gemeinde zurückgeht. Je mehr bäuerliche Bevölkerung in einem Ort ansässig ist, desto häufiger gehen auch die von uns untersuchten Burschen zur Kirche.

Zwar sind nur 17 der insgesamt 285 in den Landgemeinden wohnenden Lehrlinge Söhne von Landwirten — das bäuerliche Milieu fällt also für die Familienabkunft nicht wesentlich ins Gewicht — aber trotzdem können wir erkennen, daß der Einfluß der intensiveren religiösen Praxis der bäuerlichen Bevölkerung im Hinblick auf den Gottesdienstbesuch (und auch auf andere religiöse Praktiken wie zum Beispiel die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession) sich auch auf andere Berufsgruppen innerhalb der Gemeinde auswirkt; selbst auf die jüngeren, Jahrgänge dieser berufsmäßig und sozial differenten Gruppen.-Die bäuerliche religiöse Praxis schafft ein bestimmtes Klima im Ort, das auch auf den vielfach außerhalb des Ortes arbeitenden Lehrling seine Wirkung nicht verfehlt.

Überhaupt wird das Bild der religiösen Praxis stärker von der Art der berufsmäßigen Zusammensetzung der Bevölkerung in den kleineren Gemeinden bestimmt, vom Ausmaß der industriellen Tätigkeit und der damit häufig gegebenen „Verstädterung“ des Konsums, des Sozialverhaltens und der Freizeitbeschäftigungen in der Gemeinde als von der Gemeindeoröße, besonders dort, wo ein gewisser Verstädterungsgrad schon erreicht ist.

Wir kommen daher zu der Auffassung, daß

a) die berufsgruppenmäßige Zusammensetzung der Bevölkerung einer Gemeinde sich stärker auf die religiöse Praxis auswirkt als deren Größe und daß

b) bei höherem Verstädterungsgrad die Einwohnerzahl keine besondere Rolle für die religiöse Praxis spielt, daß jedoch

c) diese Ergebnisse nicht ohne genaue Prüfung der Sozialstruktur und der kulturellen Verhaltensweisen auf andere, außerhalb unseres Untersuchungsgebietes in Niederösterreich gelegene Bereiche übertragen werden dürfen.

Worin sind nun die Unterschiede im Gottesdienstbesuch begründet, die wir zwischen den verschiedenen Gemeindetypen fanden? Wir können hier nicht im einzelnen soziologische Ursachenforschung treiben oder sozialgeschichtliche Quellen bearbeiten, doch ist es möglich, eine Reihe von vermutlichen Ursachen anzuführen, die wir kurz charakterisieren wollen:

1. In der kleinen ländlichen Gemeinde, in der die überwiegende Mehrzahl der Bewohner einander persönlich kennt, bietet die in kurzen Intervallen (wie beim Gottesdienst) oder längeren Perioden (wie zu Fronleichnam) wiederkehrende religiöse Veranstaltung einen sozialen Anlaß ersten Ranges. Die Religion schafft für eine Gemeinde das Forum, sich als eine Gemeinschaft mit ihrer bestimmten Gleichartigkeit und der sie differenzierenden sozialen Schichtung zu erleben. Die moderne Zivilisation dringt zwar in die kleinsten Gemeinden, durch maschinelle und verkehrsmäßige Erschließung, auch vielfach im Hinblick auf die Kleidung oder die In-formätions- und Massenkommunikationsmittel (Zeitung, Zeitschrift, Rundfunk, Fernsehen), aber der soziologische Rahmen bleibt innerhalb der kleinen Gemeinde in vieler Hinsicht vom städtischen und großstädtischen stark verschieden. Die soziale Vergegenwärtigung in der kleinen Gemeinde ist jedenfalls anderer Art als in der städtischen, und dies hat seine Bedeutung natürlich auch für die Religion, die ja sowohl Gemeinschaftslehre als auch Im Kult, in Gottesdienst und Fest Gemeinschaftsveranstaltung ist.

Schließlich war für die bäuerliche Bevölkerung durch Jahrhunderte hindurch die Kirche diejenige Institution, welche fast alle , über die Sippe hinausgehenden sozialen Anlässe, Feste und wiederkehrenden Zusammenkünfte mit einleuchtenden und verpflichtenden Inhalten zu füllen verstand.

2. Besonders lohnend und interessant war das Resultat unserer Forschung über die regional verschiedenen Verhaltensmerkmale im Gottesdienstbesuch unserer Burschen deswegen, weil die Intensität ihres Besuches, wie wir schon darlegten, nicht nur von der Größe, sondern von der Berufs- und Be-schäftigtenstruktur der Gemeinde insofern abhing, als stärkerer Gottesdienstbesuch mit höherem Landwirtschaftsanteil gekoppelt erschien. Wir ersehen daraus, daß der Stil einer religiösen Praxis, der einer Berufsgruppe eigen ist, auf Mitglieder anderer Berufsgruppen im gleichen Siedlungsverband übergreifen kann.

3. Wenn wir unsere Gemeindetypen auf ihre verschiedenartigen milieubildenden Qualitäten prüfen, so muß uns, besonders bei der Berücksichtigung der Größe, bewußt bleiben, daß mit der Bevölkerungszahl in der Regel auch die Unterhaltungsmöglichkeiten wachsen.

Durch die industrielle Tätigkeit der Bevölkerung (gegenüber der bäuerlichen Arbeit, Lebensweise und Arbeitsgesinnung) wird ein vielfältiges Einflußfeld von Bildungs-, In-formations- und Unterhaltungsstoff geschaffen, welches nun die Religion konkurrenziert und sie in den Hintergrund drängt, sie, die einst — neben ständischen und landesfürstlichen sowie grundherrlichen Kultureinflüssen, die sich mit ihr relativ leicht verbinden ließen — die einzige kulturelle Macht war, welche die bedeutenden festlichen Anlässe veranstaltete oder entscheidend mitformte.

Bedeutend ist auch die Gewichtsverlagerung I am Wochenende vom Sonntag auf den Samstag oder zumindest den Abend des Samstag. Diese zeitliche Verschiebung reißt natürlich auch Lücken in die Regelmäßigkeit des sonntäglichen Gottesdienstbesuches,

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