6693711-1962_49_05.jpg
Digital In Arbeit

Treffpunkt Elternversammlung

Werbung
Werbung
Werbung

Einsichtige Pädagogen fordern heute immer wieder, daß die Schulreform im Elternhaus beginnen müsse. Sie sagen, der Lehrer hätte jede neue Einführung ir. der Schule, jede neue Methode im Elternhaus vorzubereiten, und er könne nur damit das schon sprichwörtlich gewordene Unbehagen der Eltern gegenüber der Schule abbauen. Ich stimme diesen Forderungen durchaus zu, glaube aber, man müsse daneben noch mehr als bisher bedenken, daß diese Emanzipation der Elternschaft, diese geplante Befreiung aus dem Zustand der Abhängigkeit von Schule und Lehrer, diese Gleichstellung der Erziehungspartner und diese Verselb-ständigung der Hauserzieher sowie jede Emanzipation den von ihr be-ti offenen Menschen auch mehr Verantwortung und einen größeren und tiefergreifenden Pflichtenkreis zumißt.

Wenn die Schulreform tatsächlich im Elternhaus beginnen soll, wenn man tatsächlich haben will, daß auch der einzelne Lehrer in den Elternhäusern für seine Maßnahmen und für seine Methoden um Verständnis wirbt, dann muß man wohl auch haben wollen, daß diesem Werben des Lehrers ein bißchen entgegengekommen wird.

Es kann nicht verschwiegen werden, daß es neben der großen Zahl der gerne mitarbeitenden Eltern heute auch viele gibt, die sich keinen Deut um die Mühen des Lehrers kümmern, die die Diskussionen um den Rahmenplan in Deutschland oder um das neue Schulgesetz in Österreich viel weniger interessiert als die in Frage kommenden Partner irgendeiner Prinzessin, und die wohl die neue Ganzheitsmethode beim Lesenlernen nicht verstehen, sich aber dennoch von diesem Nichtverstehen überhaupt nicht beunruhigen lassen, die nichts anderes von der Schule wünschen, als daß sie sie möglichst wenig belästigt und ihr Kind mit einem möglichst geringen Aufwand durch die einzelnen Schulstufen durchschleust und ihm schließlich in Form eines halbwegs guten Zeugnisses den Berechtigungsschein für den Besuch einer höheren Schule und später für die Ausübung eines gehobenen Postens ausstellt. Es muß gesagt Werden, daß heute die ganze Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus vor allem an deT Lethargie der Erziehungspartner krankt. Der Verfasser hat in seinem Buch, „Der Lehrer und die Eltern“, immer wieder den Lehrern gesagt: „Ihr müßt mehr als bisher von den Eltern her denken lernen, ihr dürft nicht gleichgültig sein für ihre Wünsche, für ihr soziales Aufstiegsstreben, für ihren Bildungswillen!“ Hier möchte ich den Eltern sagen: „Auch ihr dürft natürlich nicht blind und taub dafür sein, was der Lehrer mit eurem Kinde macht, ihr müßt euch mehr als bisher für die Schule interessieren, und ihr müßt auch ein bißchen lernen, von der Seite der Schulerzieher her zu denken!“

Der Weg, der damit vorgeschlagen wird, ist freilich unbequem. Er fordert Mühe und Anstrengung, manchmal Opferbereitschaft zugunsten der Schule und des Kindes. Er verlangt aber vor allem eine viel größere Aktivität der Eltern, ein wirkliches Mit-tätigsein, das sich vor allem in einer größeren Aufgeschlossenheit allen Fragen der Schule gegenüber äußert. Es soll doch wirklich nicht vorkommen, daß sich die Eltern dazu verurteilt fühlen, zu warten, bis sie der Lehrer zum Nachfragen oder zu einer Elternversammlung ruft. Das Kind und seine Erziehung ist doch viel zu wichtig, als daß wir ziemlich gleichgültig darauf warten könnten, bis man uns einlädt, zu kommen oder mitzuhelfen.

Bei einer Elternversammlung, die schon meist im vorhinein vom Lehrer einberufen wird, spürt man doch heute - wenn wir ganz ehrlich sind - noch recht wenig von einer Gleichberechtigung und einer Gleichwertigkeit der Erziehungspartner. Hier ist doch meist der Lehrer tonangebend. Er hält ein Referat, er versucht nachher eine Diskussion anzukurbeln, er bereitet sich darauf vor, er steuert mit seiner Schülergruppe zur Verschönerung des Abends bei usw. Die Eltern gehen hin und hören zu. Schon nach außen hin wirken sie passiv und teilnahmslos.

Auch sie müßten mithelfen, den Elternabend vorzubereiten. Der Lehrer müßte ihnen dazu Gelegenheit geben. Freilich, in der äußeren Gestaltung, in der Vorbereitung des Raumes und in der Organisation ist ihnen das meist nicht möglich. Aber sie müßten sich zumindest geistig auf das Thema des Abends einstellen und vorbereiten. Jede Elternversammlung steht unter einem bestimmten Thema, das der Veranstalter vorher bekanntgibt. Die Eltern müßten sich nun überlegen, welche Erfahrungen sie selbst auf dem Gebiet haben und wie sie diese Erfahrungen dem Lehrer und den anderen Eltern zugänglich machen könnten. Sie müßten sich auf die Diskussion, auf das Gespräch, vorbereiten.

Außerdem könnte der Lehrer — ohne fürchten zu müssen, seine Autorität damit einzubüßen — den Eltern einmal zeigen, mit welcher Genauigkeit und Mühe er selbst sich auf den Abend vorbereitet, wie er selbst, das, was er hier vielleicht in einer halben Stunde sagt, oft in monatelanger Arbeit gesammelt, ausgewählt und vorbereitet hat.

Mehr als bisher müßten sich die Eltern von den Fragen der Schule, des Unterrichts, der Erziehung und der Bildung innerlich aufwühlen lassen. Und immer müßten sie offen sein für die Frage, immer müßten sie sich beunruhigen lassen von allem, was sie nicht verstehen, von allem Neuen, von allem Ungewohnten. Immer müßte sie diese Unruhe zur Frage und zur Klärung treiben. Nur so könnte ein wirklich fruchtbares Zusammenwirken der Erziehungspartner Zustandekommen, nur so würde dieses Zusammenwirken aber auch zu einer Selbstbildung der Erzieher beitragen. Gerade die Eltern müßten genauso wie der Lehrer ständig an ihrer Selbstbildung arbeiten. Sie müßten auch ständig bestrebt sein, bessere Erzieher zu werden, um durch dieses Streben mehr Verständnis für die Bildung ihres Kindes zu erhalten, um sein Bildungs-streben besser, anschaulicher und intensiver miterleben zu können, um dadurch selbst zu steigen und mit diesem Steigen auch ihr Kind emporzuführen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung