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Trennung vom Brauchtum

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Bis vor einigen Jahren hat die überwiegende Mehrheit der ausgebildeten Menschen ihr Wissen von der Schule bezogen und im Berufsleben noch praktische Erfahrung gesammelt. Die Erwachsenenbildung war eine Angelegenheit für jene, die bei der schulischen Ausbildung zu kurz gekommen waren, oder aber für jene, die sich Bildung als Freizeitbeschäftigung, aus welchen Motiven immer, erwählt hatten.

Im gleichen Maße wie die Erwachsenenbildung, durch die Unmöglichkeit, alle Kenntnisse einer sich rasch ändernden Gesellschaft durch die Schule zu vermitteln, an Bedeutung gewinnt, wird die bisherige staatliche Organisation unhaltbarer. Dieser Vorgang wurde durch die zunehmende Bedeutung des Fernsehens noch außerordentlich beschleunigt. Die Wissens- und Bildungsexplosion läßt sich nicht durch eine beliebige Verlängerung der Schulzeit bewältigen. Man muß endlich auch in Österreich zur Kenntnis nehmen, daß die Ausbildung heute ein sich über das ganze aktive Berufsleben hinziehender ständiger Vorgang ist. Diese Erkenntnis ist aber nicht nur für die Erwachsenenbildung, sondern genauso für die Gestaltung der Lehrpläne aller Schultypen und Schulstufen wichtig.

Eine vordringliche und zugleich in die Zukunft weisende Aufgabe wäre die Erstellung eines Systems der Erwachsenenbildung unter Berücksichtigung der privaten und öffentlichen Initiativen und Gegebenheiten. Ein solches System kann niemals die Geschlossenheit des Schulsystems erreichen. Eine geeignete Abstimmung privater und öffentlicher Maßnahmen und eine Koordinierung des Vorgehens bei der Bewältigung dieser großen Aufgabe wäre aber möglich. Solche Arbeiten können nur erfolgreich sein, wenn man sich bereit findet, endlich eine strikte Trennung | zwischren Volkstunwflege ndaBil-. dung als Freizeitbeschäftigung oder , s -als-’Konsum auf der1 einen- Säite’und Bildung als lebensnotwendige Investion in den Menschen zur Bewältigung des Lebens in unserer Zeit auf der anderen Seite zu ziehen.

Warum keine Zeugnisse?

Die optimale Gestaltung des Systems der österreichischen Erwachsenenbildung ist keine Frage einer Ideologie, obwohl schon heute versucht wird, daraus eine solche zu konstruieren. Nicht philosophische Theorien, die unter der Bezeichnung Andragogik als Zweig der Pädagogik heute an Österreichfischen Hochschulen geboten werden, helfen das Problem lösen. Nur eine empirische Bildungsforschung, wie sie erstmals in Österreich für die Hochschule in Klagenfurt vorgesehen ist, wird in der Lage sein, die erforderlichen Entscheidungsunterlagen den zuständigen Politikern und Wirtschaftsfüh- rem zu unterbreiten. Der Bund könnte aber schon einen ersten Schritt zur Koordinierung vornehmen und die verteilten Kompetenzen zusammenführen. Da die Erwachsenenbildung nicht isoliert vom Schulsystem gesehen werden kann, müßten die Bundeskompetenzen beim Unterrichtsministerium zu- sammengeführt werden. Es ist wirklich nicht einzusehen, daß das Sozialministerium für die Umschulung von Arbeitskräften und das Handelsministerium für die Wirtschaftsförderungsinstitute zuständig sein muß. Allerdings müßte die Abteilung für Erwachsenenbildung des Bundesministeriums für Unterricht im eigenen Bereich einen Trennungsstrich gegenüber der Brauchtumspflege ziehen.

Es galt als Prinzip der alten Volksbildung, keine Zeugnisse über Lehrveranstaltungen auszustellen. Genau diese Zeugnisse, und ihre Einordnung in ein System .und weiteste Anerkennung sind aber das wichtige Anliegen moderner Bildung. Der Sachzwang zur Weiterbildung wird immer größer. Großftnmen haben ein eigenes betriebliches Ausbildungswesen organisiert. Gerade ein Mittelstaat wie Österreich mit kleineren Firmen müßte sich bemühen, nötige Doppelgeleisigkeiten zu vermeiden und für eine weite Anerkennung erworbener Zeugnisse sorgen. Über kurz oder lang wird sich wohl auch die Frage des Verhältnisses von Zeugnissen der Erwachsenenbildung zu Schulzeugnissen stellen. Welchen Wert hat ein Diplomzeugnis einer Hochschule noch nach zwanzig Jahren, wenn der Inhaber jede Weiterbildung seit Verlassen der Hochschule unterlassen hat? Wird man vielleicht seine Zeugnisse nach einer Anzahl von Jahren erneuern müssen? Schon heute gilt bei Großkonzernen die Praxis: Weiterbildung ist zwar freiwillig, wer sich aber nicht weiterbildet, wird nicht befördert.

Auch die Forderung nach stärkerer Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb steht und fällt mit einer entsprechenden Ausbildung der von den Betriebsräten in die Aufsichtsräte entsandten Vertreter. Der Gewerkschaftsbund unternimmt schon jetzt erfolgreiche Bildungsarbeit auf diesem Gebiet. Für die erfolgreiche Weiterentwicklung der demokratischen Einrichtungen Österreichs ist ein hoher Ausbildungsstand und eine hinreichende Information über staatsbürgerliche Fragen essentiell.

Der Grundsatz einer freiwilligen Erwachsenenbildung wird auch in Hinkunft aufrechtzuhalten sein. Es ist aber durchaus denkbar, daß die Gesellschaft die Notwendigkeit sieht, einzelne Bereiche einer Regelung zuzuführen. Im weitesten Sinn kann ja iatW ‘die” Pflicht zur Ablegung eines Führerscheines als Zwang zu einer bestimmten Form’der Erwachsenen-’ bildung aufgefaßt werden.

Rat für Erwachsenenbildung

Mit der Ausarbeitung eines umfassenden Systems der österreichischen Erwachsenenbildung sollte ehestens begonnen werden. Für die Vorgangsweise empfiehlt sich die Einsetzung einer Kommission von Fachleuten. Es hat wenig Sinn, die in Vereinsgeschäften und Traditiopen vjerbšftęiėh,EwWipaarederbis-. herigen Verbände mit dieser Aufgabe zu befassen. Es würde nur der Wunsch nach höheren Subventionen herauskommen. Aber die 19 Millionen Schilling, die der Bund schon jetzt jährlich gibt, könnten besser angelegt werden. Man müßte vor allem auch die Wirtschaft hören. Der Arbeitgeber Staat könnte auch sofort praktisch mit der Weiterbildung seiner Beamten beginnen. Da hätte er bereits viel zu tun.

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