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Tür zur „Wohnung“ steht offen

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Die Schwierigkeiten, die sich der Regierungsbildung entgegenstellen, lassen auch die Hoffnung auf eine Einigung über jenes dornige innenpolitische Problem wieder geringer werden, das im Wahlkampf und bei den Wahlversprechen der beiden Regierungsparteien eine besondere Rolle gespielt hat, das Wohnungsproblem. Jene westeuropäischen Staaten, die eine durchgreifende Neuordnung der Woh-nungswirtschaft durchgeführt haben und so einer Beseitigung der Wohnungsnot zumindest nahegekommen sind, sind durchweg unmittelbar nach den Wahlen in die gesetzgebenden Körperschaften des Staates daran gegangen, diese neue Wohnungspolitik zu verwirklichen. Je länger sich die Verhandlungen um die Regierungsbildung hinausziehen, desto geringer werden bei uns die Hoffnungen, daß wir endlich in dieser Legislaturperiode in der Wohnungspolitik als letzter westeuropäischer Staat zu einer Neuorientierung kommen, daß wir von einer punktuellen und widersprüchlichen Politik zu einem wohnungspolitischen Konzept gelangen.

So sehr die Standpunkte der beiden Regierungsparteien in der gesamten Wohnungsfrage auch auseinandergehen, gibt es doch in beiden Lagern in wachsender Zahl einsichtige Politiker, die ernstlich bemüht sind, endlich zu einer Einigung zu kommen. Bei einer solchen Einigung wird man — unabhängig davon, ob sie im Wege von Koalitionsverhandlungen oder im koalitionsfreien Raum zustande kommt — in mancher Hinsicht Kompromisse eingehen müssen, insbesondere in der Mietenfrage, die aber doch nur ein Teilproblem innerhalb der gesamten Problematik der Wohnungswirtschaft darstellt.

Eine Neuordnung der Wohnung»-wirtschaft wird ja über die Mieten-firage hinaus besonders eine Neuregelung der Wohnbauförderung bringen müssen, ebenso eine Neuordnung der WohnHngsbeihilfe, weiter Maßnahmen der Wo'hnraumsioheruog und gewiß auch solche der Bodenpolitik. Dieser umfangreiche Fragenkomplex kann nur durch sachliche Beratung unter Heranziehung von Experten gelöst werden.

Vorschläge aus parteifreiem Raum

Gerade in letzter Zeit sind eine Reihe von Vorschlägen von Stellen gekommen, die über den Parteien stehen. Dazu gehört die Forschungsgesellschaft für den Wohungsbau, der Katholische Familienverband, der österreichische Familienbund, die Katholische Sozialakademie. Es ist kein Zufall, daß gerade von katholischer Seite der Ruf nach einer Neuordnung der Wohnungswirtschaft immer lauter wird. Sieht doch der Katholik in dem Chaos unserer Wohnungswirtschaft über die materiellen Schäden hinaus die noch viel schwerwiegenderen sittlichen und geistigen: Die Enge des Wohnraumes hindert die Familien an ihrer natürlichen Entfaltung, Ehen können nicht eingegangen werden, Ehen zerbrechen am Wohnungsproblem, Kinder kommen nicht zur Welt oder werden Opfer der Enge des Wohnraumes — wie immer wieder aus allzu traurigen Einzelschick-“ salen 'bekannt wird. Dabei ist die Wohnungsnot keineswegs unabwendbar; während auf der einen Seite bittere Wohnungsnot herrscht, wird auf der anderen Wohnraum verschwendet, stehen 100.000 Wohnungen leer, werden viele (in dieser Zahl nicht erfaßte Wohnungen) gehortet, in Geschäftsräume umgewandelt, als Absteigquartiere benutzt oder in anderer Weise zweckwidrig verwendet.

Im Bewußtsein dieser erschreckenden Tatsachen haben die österreichischen Bisohöfe wiederholt in sachlicher und offener Weise zum Wohnungsproblem Stellung genommen, zuletzt Kardinal Dr. König. Diese Stellungnahmen wollten vor allem einer so notwendigen Gesinnungsreform den Weg weisen: Es war keineswegs der Ehrgeiz der Bischöfe, ein Konzept zur Lösung der Wohnungfrage zu geben. Das ist die Aufgabe des Staates und der Verbände mit politischen Zielsetzungen. Aber es ist die Aufgabe der Kirche und ihrer Bischöfe, in jenen sozialen Fragen, von denen das sittliche und religiöse Leben entscheidend beeinflußt wird, ein klares Wort zu sprechen. Das hat Kardinal König ebenso getan wie andere österreichische Bischöfe. Wenn es nun ein bekannter Funktionär eines Hausbesitzerverbandes für zweckmäßig findet, unter Anspielung auf diese Äußerungen unserer Bischöfe in der Zeitung „Der österreichische Hausbesitz“ festzustellen, daß „den Würdenträgern der Kirche sehr schwierige Fragen des Wirtschaftslebens nicht liegen“, so ist dies eine Feststellung, die die katholische Öffentlichkeit zutiefst befremden muß. Die Bischöfe haben keinen Ehrgeiz, als Wirtschaftsexperten zu wirken. Die Stellungnahmen zum Wohnungsproblem waren aber sehr sachlich und haben sich auf das Wesentliche, eben die Fragen der Gesinnungsreform beschränkt, und nur die Notwendigkeit aufgezeigt, endlich dieses dornige Problem einer Lösung zuzuführen.

Recht und Pflicht der Kirche

Wir sind gewohnt, daß gerade rn dieser Frage mit sehr scharfen Argumenten die Auseinandersetzung geführt wird, daß auch alte Ressentiments immer wieder aufgewärmt werden. So dienen gewiß die geistreichen Zeich-«ongen einer Tageszritrfrig zur Haus-hetfreTilegende' mehr zur' Klärung des Wohnungsproblems, ebenso wenig andere, seit Jahrzehnten immer wieder, vorgebrachte Anschuldigungen, für die gerade die Jugend kein Verständnis hat. Bei allen bisherigen gegenseitigen Verunglimpfungen geschah es aber niemals, daß man jene Persönlichkeiten angetriffen hat, die, ohne für irgendeine Gruppe Partei zu nehmen, das Wort ergriffen haben, eben die Bischöfe. Mit stärkstem Befremden muß es daher zur Kenntnis genommen werden, daß offensichtlich nun von einer Interessentengruppe versucht wird, der Kirche das Recht zu bestreiten, sich in solchen Fragen überhaupt zu Wort zu melden. Dieser Rückfall in den Geist des Altliberalismus muß gleich von allem Anfang an mit dem nötigen Nachdruck bekämpft werden: In einer Zeit, in der die Stimme des kirchlichen Lehramtes in sozialen Fragen weit über die katholische Welt hinaus Anerkennung findet, wie der Widerhall der Enzyklika „Mater et magistra“ zeigt, braucht sich auch die katholische Öffentlichkeit von keiner Seite, weder von einem Hausbesitzerfunktionär, noch von einer anderen Stelle, einen derartigen Angriff auf die Bischöfe gefallen lassen. Es ist besser, derartigen Versuchen gleich von Anfang an entgegenzutreten, bevor es Sitte wird, die Kirche wieder in den politischen Tageskampf zu zerren.

Dieser Vorfall zeigt deutlich, daß wir in der Wohnungsfrage nur weiterkommen, wenn endlich die gegenseitigen Verunglimpfungen aufhören, wenn die betreffenden Stellen, Interessengruppen und politischen Parteien sich Sprecher wählen, die zu einer sachlichen Diskussion bereit und fähig sind. Wie schon gesagt, hat gerade die Jugend kein Verständnis dafür, daß die bestehenden Gegensätze in dieser Frage noch durch alle möglichen Quertreibereien vertieft werden. Gerade unter den jungen Funktionären der beiden Regierungsparteien gibt es nicht wenige, die Auffassungen vertreten, die zu einer Einigung führen können. Dies allerdings nur, wenn dafür Sorge getragen wird, daß jene Kräfte zurückgedrängt werden, die die Methoden des Klassenkampfes auf die Auseinandersetzungen über das Wohnungsproblem ausdehnen wollen.

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