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Übergang zum Bildungsstaat

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Nicht der Schlußstrich unter die Debatte um die „Hofübergabe“ war das Ereignis, das die letzte Semmeringklausur der ÖVP zum Markstein werden ließ, nicht die Vergatterung der Partei auf den Koren-Plan (gegen den heute bereits wieder hier und dort aufgemuckt wird). Das Entscheidende war wohl die Versicherung des Generalsekretärs und Vizekanzlers Withalm, die Jugend solle mehr als bisher in die praktische Politik einbezogen werden. Der Vorstoß für eine Herabsetzung des Wahlalters, die Bildung eines Forums für das Gespräch mit der Jugend innerhalb der Partei dürften nur ein erster Anfang sein. Denn hier wurde der Startschuß abgegeben für den Übergang vom Sozialstaat zum Bildungsstaat.

Zwei Jahrzehnte hindurch wurde dafür gesorgt, daß jeder Bürger dieses Staates — in anderen war es nicht wesentlich anders — die Sicherheit haben konnte, im Alter oder bei unverschuldetem Notstand von der Gesellschaft versorgt zu werden. Österreich steht heute in der Spitzengruppe der Staaten, die auf diese Weise für ihre Bürger sorgen — ein Erfolg, auf den es zweifellos stolz sein kann und der ebenso zweifellos wesentlich zum Abbau sozialer Spannungen mitgewirkt hat.

Dieser Erfolg aber konnte nur dadurch erreicht werden, daß während dieser zwei Jahrzehnte der überwiegende Teil des Zuwachses des Sozialproduktes in den Aufbau dieses Sicherheitssystems floß. Schon für die Wirtschaft, deren Produktion die wachsende Sicherheit finanzieren muß, blieb zu wenig übrig, um die Basis von heute zu verstärken. Viel zuwenig und zu spät aber wurde für die Basis von morgen gesorgt, für die Arbeitskräfte und Führungskräfte, die in zehn und zwanzig Jahren die Leitung einer grundlegend veränderten Volkswirtschaft werden übernehmen müssen. Für die Kinder und Jugendlichen von heute.

Im Heute stehengeblieben

Die ersten Zeichen eines Umdenkens machten sich in dem Auftrag bemerkbar, die Bildungsplanung auf 1975 auszurichten, festzustellen, welche Größenordnungen dann im Schul- und Hochschulwesen nötig sein würden — der OECD-Bericht des Unterrichtsministeriums mit seinen alarmierenden Zahlen hat seither wesentlich zur Beschleunigung des Umdenkens beigetragen. Die Proklamation des Vorrangs von Bildung und Forschung durch die Bundesregierung dokumentierten diesen Wandel — aber der Durchbruch durch die Barrieren der Gewohnheit braucht länger. Vielleicht wird er nun den Studenten zu danken sein.

Wenn nun tatsächlich der Übergang vom Sozialstaat zum Bildungsstaat vollzogen werden soll, wenn tatsächlich nun der Jugend die Aufmerksamkeit bei der Lösung der Probleme des Staates gewidmet werden soll, die ihr als der Generation von morgen zukommt, dann wird es wohl nötig sein, alle jene Komplexe neu zu durchdenken, die sie unmittelbar betreffen.

Auf den Hochschulen ist diese Neuformung bereits in vollem Gang. Wenn auch 120 Jahre alte Strukturen nicht in dem Tempo verändert werden können, wie es die studentische Opposition verlangt, will man nicht die letzten Dinge ärger werden lassen als die ersten — niemand negiert im Ernst die Notwendigkeit von Reformen, niemand weigert sich, an ihnen mitzuarbeiten. Die endgültige Form wird eine Sache der Diskussion sein.

Zeitlich vor der Hochschule rangiert im Leben des jungen Bürgers die höhere Schule, erst vor wenigen Jahren aus der Mittelschule entstanden und heute schon wieder — oder noch immer — umstritten gerade in jenem Punkt, der aus der Mittel- die höhere Schule werden ließ: das neunte Jahr. Im Zug der Schulver handlungen war es mit dem Argument begründet worden, doch ein Jahr der verlängerten Lebenserwartung „vorne“, in die Ausbildung zu investieren. Die Verlängerung der Schulzeit würde sich dann auch wohltuend auf die Hochschulen auswirken, die reifere Studenten bekämen.

Die Gegner weisen auf die weitere Verzögerung durch den Wehrdienst, wenigstens für die Burschen, auf die überlangen Studienzeiten, auf die durch spätere Einschulung oder Wiederholung ohnehin in allzu vielen Fällen bis zum 19. und 2Q. Lebensjahr ausgedehnte Gymnasialzeit ganz abgesehen davon, daß sich der Verwirklichung in den nächsten Jahren ein empfindlicher Lehrermangel entgegenstellen wird.

Es wäre nun Zeit, Argumente und Gegenargumente gegeneinander abzuwägen, ohne gleichzeitig auf ein „Paket“ junktimierter Proporzprobleme Rücksicht nehmen zu müssen. Es wäre Zeit zu überlegen, ob nicht wie in England versucht — eine vorschulische Pädagogik schon einen verspäteten Schuleintritt verhindern, ob nicht eine intensivere Schulbahnberatung und -betreuung, neue didaktische Methoden trotz der vermehrten Schülerzahlen, trotz der stärker ausgeschöpften Begabungspotentiale die Zahl der Wiederholungen vermindern könnten (ohne dabei aber das Niveau zu senken). Man sollte überlegen, ob die damit gewonnene Zeit nicht doch zugunsten vermehrter Bildung statt zugunsten früherer Berufstätigkeit verwendet werden sollte.

Man sollte aber auch überlegen, ob nicht rationellere Lehrmethoden, moderner gestaltete Lehrpläne, klarere Bildungsziele der einzelnen Schultypen das heute auf neun Jahre aufgeteilte Bildungsangebot trotzdem in acht Klassen vermitteln könnten. Man sollte erwägen, ob nicht für den mittleren Führungsdienst wie bisher die Matura nach acht Klassen geboten werden sollte, um das neunte Jahr ausschließlich und spezifisch der Universitätsvorbereitung zu widmen.

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