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Um die Katholische Aktion

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Mit sprühender Eloquenz vorgetragene „Erwägungen zum Stand der Katholischen Aktion in Österreich“, veröffentlicht in dem eben erschienenen Septemberheft von Wort und Wahrheit“, erheben berechtigten Anspruch auf die Aufmerksamkeit der verantwortungsbewußten Katholiken. Die Ausführungen tragen keine Namensfertigung oder sonstige Herkommensbezeichnung. Darin darf man die taktvolle Andeutung sehen, daß die zum Teil gewichtigen, sogar scharfkantigen Formulierungen verstand den sein wollen als Privatarbeit ohne Berufung auf bischöfliche Autorisation, also zur öffentlichen Diskussion gestellt sind. „Erwägungen“ sind eben Inhalt einer noch im Gange befindlichen Untersuchung, deren bleibende Frucht noch zu ermitteln ist. Ist schon die Form des Vorträgs der dargelegten Ideen eine Einladung zur Aussprache, so bewegt erst recht die hohe Bedeutung und Würde des zur Debatte gestellten Themas zu einem Gespräch, das freimütig brüderlich geführt sei, letztlich auf dasselbe hohe Ziel hingerichtet, das den Autoren der „Erwägungen“ vorschwebt: die praktische Verlebendigung des Christentums im Denken und Tun der Menschen,

An die Spitze der „Erwägungen“ stellt die zitierte Untersuchung mit Recht, die hohe Wertung der in der zweiten österreichischen Republik gewonnenen Freiheit der Kirche. Dabei nahm die Kirche durch den Verzicht auf staatliche Sub-sidien oftmals bittere empfindliche Armut bewußt in Kauf, eine Armut, die heute in vielen Pfarrhäusern zu Hause ist, aber sie errang mit ihrer Freiheit in der sogenannten Trennung der Kirche vom Staat ein kostbares Gut, das mit allen Kräften behütet werden muß, so sorgsam, daß auch die vielfältigen Mißdeutungen der Stellung der Kirche zur Politik, wie sie etwa in einer noch nicht lange zurückliegenden Zeit die öffentliche Meinung vergiften konnten, an der Klarheit und Eindeutigkeit der Zielsetzung, der Gebärde und des Handelns zuschanden werden. Wo diese Klarheit getrübt wird, mögen noch so vorsichtige Vorbehalte ein Konzept begleiten, dort werden Argwohn und erst recht bösartige Propaganda immer Spielraum finden, um den inneren Frieden der staatlichen Gemeinschaft zu stören. Beide liegen immer auf der Lauer. Vor allem das von der Kirche mit tiefer Sehnsucht erstrebte innere Verhältnis zur Arbeiterschaft, das Herzanliegen jedes Priesters und überhaupt jedes zeitaufgeschlossenen Katholiken, bedarf dieser vorsichtigen Hege. Denn nichts ist einem von Vorurteilen befangenen oder mit bewußter Tücke vorgehenden Angreifer heute leichter, als Verdacht auszustreuen und damit die leider noch so wenigen und so schmalen Stege zu den kirchenfernen Massen der Arbeiterschaft zu zerstören, die von Seelsorgern und dem Laiendienst der Caritas in demütiger Hingabe an ihr Apostolat gebaut worden sind. Und gerade hier stehen wir ja doch vor dem internationalen religiösen Kardinalproblem der Gegenwart, der Erfüllung des Königsgedankens der Katholischen Aktion in dem gefährdet-sten und niemals verloren zu gebenden Bereich der menschlichen Gesellschaft. Nicht umsonst zentriert die Katholische Aktion Italiens ihre bewundernswürdigen Anstrengungen praktischer sozialer Arbeit auf die Menschen der Werkstatt und der Scholle. Auf diesem geistigen Felde ist die große geistige Schlacht zu schlagen. „Zu spät“? Nur für diejenigen, die überall zu spät kommen. Was sagt nun das in Erwägung gestellte Konzept über Aufbau und Wirkweise der Katholischen Aktion?

Zwischen den zwei autoritativ genehmigten und angewandten Organisationsformen der Katholischen Aktion, der zentralen und der autonomistisch-födera-tiven, ist in den „Erwägungen“ die erstere gewählt worden; man möchte sonst „ein zerstückeltes Etwas“ befürchten, Kan-tönliarmeen und „eine Art von Föderativparlament mit fragwürdiger Festigkeit des Zusammenhalts“. Also keine „provinzielle Zerstückelung“, kein „falsch angebrachter Autonomie-Ehrgeiz“, sondern „ein Ganzes, zu dessen Wesen die Einheit, die Unteilbarkeit und die Hoheit über die Teile“ gehört. Denn das Konzept sieht einen „Vorrang der Katholischen Aktion vor den anderen bestehenden Organisationen vor“; „eine Reihe, wenn auch nicht alle organisatorischen Sondereinrichtungen, werden aufgehoben“, doch soll selbstverständlich durch die Katholische Aktion „die Kirchenregierung nicht ersetzt, die katholischen Orden sollen nicht absorbiert, die Stiftungen, kirchenrechtlichen Korporationen und frommen Bruderschaften nicht verdrängt werden“. Eine zentrale, wenn auch bei weitem nicht so straffgespannte Einrichtung hat auch die Katholische Aktion anderer Staaten. Unbedenklich hat aber die föderalistische Form zum Beispiel die in unübertroffener Lebensfülle und Fruchtbarkeit sich entfaltende Katholische Aktion der USA gewählt, die in den einzelnen Sektoren von Bischöfen persönlich geführt, heute noch in ihrem Ubertitel „National Catholic Weifare Conference“ das verfassungsmäßige Zusammenspiel initiativer autonomer Kräfte betont. Derselben Regel folgte die Katholische Aktion Frankreichs, über deren

Zusammenschluß der großen katholischen Werke und Verbände Kardinal Verdi e r einmal bei feierlichem Anlaß sagte: „Nos oeuvres sont sorties de leur isole-ment sans rien sacrifier de leur autono-mie.“ Die Diözesaneinteilung in Österreich deckt sich zumeist mit alten föderalistischen Länderindividualitäten, die sich zumal im Denken des Volkes unserer Alpenländer tief eingeprägt haben und ihre Besonderheit lieben. Das rechte Maß der Dinge wird sich hier von selbst ergeben.

Die Gedankenfolge konsequent weiterführend, sehen die „Erwägungen“ in der Katholischen Aktion Österreichs eine Institution, die der „Macht“ bedarf, wie die Kirche der .Macht“ bedürfe, allerdings einer „gewaltlosen Macht, die sich wesensgerecht nur auf die ethisch und religiös relevanten Willensbestimmungen erstreckt“. Diese Einschränkung wird verschiedentlich wiederholt. An anderer Stelle wird die als nötig erscheinende

Kompetenz als universale'Ordnungsmacht bezeichnet, sie soll befähigt sein, „disziplinare Mittel anzuwenden, zu beschließen und anzuordnen“.

In diesem Sinne habe die Katholische Aktion „auch mit Politik zu tun“. Als Institution „muß sie einen Platz in der öffentlichen Ordnung inne haben oder anstreben oder verteidigen. Jedes auf die Gestaltung der öffentlichen Ordnung gerichtetes Bemühen aber ist Politik, ...die tätige Sorge um das Gemeinwohl, um die Herrschaft des Rechtes, um die Vollkommenheit der Ordnung des gesellschaftlichen Seins der Menschen. Weder die Kirche noch die Katholische Aktion können sich der Mitsorge um diese Güter entziehen. Sie

Dieser Ausdruck wird besser vermieden, seit ihn in seiner blutrünstigen Schrift „Das Reich als Ordnungsmacht Europas“ der Apostat K. G. Ganzer prägte, der seinerzeit die KA als Diktaturwerkzeug Roms hinstellte und damit für Moskau das Stichwort gab. müssen mitwirken, deren Geltung in der Gesellschaft zu erhöhen — das ist schon Politik.

So gesund der Wahrheitskern dieser Sätze ist und eine richtige Auslegung zuläßt, so ist doch die Frage zu beantworten, ob diese Begriffsbestimmung nicht Deutungen und Handlungen gestattet, die in den Raum der wirklichen, der rein weltlichen Politik gehören und in denen es also nicht mehr i\m religiöse und ethische Werte geht. Man könnte sich zum Beispiel sehr wohl vorstellen, daß die Katholische Aktion eich zugunsten des Wohnungseigentums aus grundsätzlichen ethischen Erwägungen ausspreche; .tätige Sorge um das öffentliche Wohl“ wird sich aber auch in der Art der praktischen Durchführung, etwa der Finanzierung, geltend machen. Und doch wäre es gewiß nicht Sache der Katholischen Aktion, für oder wider die Heranziehung der Marshall-Hilfe zur Aktivierung des Wohnungseigentums Stellung zu nehmen. Wo die Scheidelinie zwischen dem Ethischen und dem rein Weltlichen verläuft, wird auch nicht immer leicht und ohne Streit festzustellen sein. In der Weitmaschigkeit von Begriffsbestimmungen im Räume der beanspruchten politischen Aktivität läge für die Katholische Aktion ein außerordentlich kritisches Moment, das sich in jedem Falle wiederholen müßte, in dem irgendeine Aktion des öffentlichen Wohles aus dem Theoretischen und Prinzipiellen in die Schwierigkeiten der nüchternen politischen Praxis übersiedelt. Die Wesensbestimmung, mit der Pius XI. gegenüber Kardinal Bertram die Katholische Aktion umschrieb, ist auch für uns in Österreich nicht zu vergessen: „Actio ejusmodi non externa prorsus, sed spiritualis, non terrena, sed caelestis, non politica, sed religiosa d i c en d a est“.

Als „politische Mittel der Katholischen Aktion bezeichnen die Erwägungen“ .das Wort, das Urteil, den Rat, den Protest, den Vorschlag und so fort“.

„Dieses Wort in vielfacher Gestalt... muß das ganze öffentliche Lebenbegleiten und es soll nicht allein nachträglich ein, ein ethischer Kommentar der Zeitgeschichte, sondern die Wirklichkeit mitgestalten und in die Zukunft geleiten. Die Katholische Aktion braucht zweierlei: Erstens Körperschaften, welche die Situation ständig prüfen und die erforderlichen Kundgebungen vorbereiten bis zur Reife des Entschlusses; zweitens eine Stelle, die diesen Körperschaften das Material für ihre Überlegungen aufschließt und liefert, Entwürfe vorbereitet, Gutachten und Analysen ausarbeitet. Diese Stelle muß das gesamte öffentliche Leben beobachten, der Entwicklung zugleich voraus und auf den Fersen sein, die Gesetze schon im Werden prüfen, die Veränderungen der sozialen Struktur, die kulturelle Lage erforschen.“

Dies alles mit seinen vielfältigen Verschränkungen und Fadenkreuzungen mit rein weltlichen Interessen unter Kontrolle eines mächtigen, mehr oder weniger, aber auf die Dauer unausbleiblich bürokratischen Zentralapparats — greift das nicht ins Uferlose, verlieren wir damit nicht die wichtigsten, nächstliegenden und dringendsten Aufgaben aus den Augen?

Wenn sich in dieser Programmatik auch die Gedanken und Erwägungen stoßen, so gibt sich doch gleichzeitig das leidenschaftslose Abmessen der Argumente als unveräußerliches Element des Fortschrittes zu erkennen. In diesem Sinne sind auch die Impulse zu schätzen, die von den mit kühnem Schwünge vorgetragenen „Erwägungen“ ausgehen. Selbstverständlich genügen, um eine neue institutionelle Ordnung der Katholischen Aktion ausreichend vorzubereiten, nicht literarische Auseinandersetzungen, noch viel weniger würden dies Oktroys vermögen. Wo es sich um ein so großes Anliegen in Österreich handelt, um ein neues Grundgesetz der Katholischen Aktion, abzielend auf die stärkere Vertiefung der Mitarbeit des Laientums an der apostolischen Mission der Kirche, wäre es zu wünschen, daß ein Kollegium Berufener, ausgestattet mit der Autorität und der Willenskundgebung der österreichischen Bischöfe, mit den erforderlichen Entwürfen und deren Vorlage an den Episkopat betraut würde.

Dabei werden wir niemals übersehen können: Die Theorie um delikate Organi-sations- und Kompetenzfragen ist nicht alles. Und auch die am besten ausgeklügelte Organisation kann ein Totengerippe sein. Was wir doch alle wollen, das sind die Taten, die wir aus dem

Glauben und der Liebe zu Gott und den Menschen noch schuldig sind.

Am Rande

Es ist nicht Zweck des obenstehenden Aufsatzes, das in den besprochenen „Erwägungen“ herausgestellte kulturgeschichtliche Bild zurechtzurücken, es sei deshalb nur am Rande bemerkt, daß das „Staats-Kirche-Verhältnis in Österreich“ nicht „von christlichsozialen Regierungen“, sondern vom Josephinismus begründet wurde, gegen dessen letzte Ausläufer die junge christlichsoziale Bewegung noch zu ringen hatte. Wenn gesagt wird: „Nach dem Sturze des Kaisertums bot sich die christlichsoziale Partei als neue politische Schutzmacht der Kirche an, ... eine moderne Massenpartei mit völlig anderen, rein kalkulatorisch utilitaristischen Gesetzen des Handelns“, so verlangt doch wohl die Gerechtigkeit, festzustellen, daß diese Partei die im öffentlichen Leben vom Grund auf erwachsene organisierte christliche Volkskraft war, welche zum Beispiel die Herrschaft des

übermächtigen weltanschaulichen Liberal lismus im Zentrum des Reiches zwei Jahr“ zehnte zuvor zerbrochen, dann die vehementen kulturkämpferischen Angriffe eines militanten Freisinns auf Schule und Ehe und den alldeutschen Kirchenstunn der Los-von-Rom-Bewegung mit ungeheurer Wucht abgewehrt hat, Und in der Männer, wie Schindler, Abel, Freund, Gustav Piffl, der spätere Kardinal, um nur wenige zu nennen, mitgewirkt haben. Diese Kraft hat sich 1918/19 nicht „angeboten“, sie war einfach da und man brauchte s i e, und unabsehbar ist, was geschehen wäre, wenn sie etwa in den Wahlen für die, konstituierende Nationalversammlung im Frühjahr 1919, als bolschewistischer Umsturz mit bewaffneter Hand Wien bedrohte und in Ungarn und Bayern schon gesiegt hatte, zu bestehen aufgehört, hätte. Zu sagen, daß diese Partei „rein kalkulatorisch, utilitaristischen Gesetzen“ unterlag, verletzt bei aller Freiheit der Kritik das Andenken führender Priestergestalten aus ihren Reihen, Männer von der Reinheit eines Aemilian Schoepfer oder Ignaz S e i p e 1.

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