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„Um Klassen besser als früher“

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Als so geteilt wie die Meinung der Wähler erwies sich auch die Meinung jener, die eigentlich in der Lage sein sollten, ohne Emotionen, nüchtern, ein vom eigenen politischen Standpunkt ungetrübtes Urteil abzugeben, ob die Parteien in dem zu Ende gehenden Wahlkampf den Anforderungen der modernen Werbewissenschaft gerecht geworden sind. Einmal mehr hat das Ergebnis unserer Umfrage unter Wiener Werbefachleuten und Marktforschern bewiesen, daß solche „Objektivität“ weder zu fordern noch zu erreichen ist. Immerhin, wir hörten eine ganze Reihe interessanter Meinungen. Die Frage lautete: „Wie beurteilen Sie den jetzt zu Ende gehenden Wahlkampf in werblicher Hinsicht?“

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Als so geteilt wie die Meinung der Wähler erwies sich auch die Meinung jener, die eigentlich in der Lage sein sollten, ohne Emotionen, nüchtern, ein vom eigenen politischen Standpunkt ungetrübtes Urteil abzugeben, ob die Parteien in dem zu Ende gehenden Wahlkampf den Anforderungen der modernen Werbewissenschaft gerecht geworden sind. Einmal mehr hat das Ergebnis unserer Umfrage unter Wiener Werbefachleuten und Marktforschern bewiesen, daß solche „Objektivität“ weder zu fordern noch zu erreichen ist. Immerhin, wir hörten eine ganze Reihe interessanter Meinungen. Die Frage lautete: „Wie beurteilen Sie den jetzt zu Ende gehenden Wahlkampf in werblicher Hinsicht?“

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Daß die beiden Großparteien ihre Positionen recht klar formulieren konnten, findet Dipl.-Kfm. Otto Hofbauer, Chef der Werbe-Wien. Wobei er allerdings das Fernsehen, das er für ein „Kampfmedium“ hält, ausspart:

„Etwas klüger, mit etwas besser absehbarem Erfolg, taktierte die SPÖ, die Bundesheer-Inseratenwerbung war taktisch ein sehr kluger Zug, wenn er auch nicht “anz logisch abgelaufen ist. Die ö \ P zeigte in der Anzeigenwerbung einen Stil, den man anerkennen und unterstreichen kann. Die SPÖ stellte einzelnes taktisch klüger heraus. Franz Späth, heiter der Wiener Niederlassung von J. W. Thompson, fiel auf, daß dieser Wahlkampf bisher „unglaublich fair über die Bühne gegangen ist“. Er hat wenig Fälle von persönlicher Diskreditierung festgestellt. „Vielfach“, so meint er, „hat man sich der Techniken der Markenartikelwerbung bedient, wenn ich auch der Meinung bin, daß man das System noch nicht ganz beherrscht. Aber man wird sicher weiter üben.“ Die Kapuzenmänner — auf die meh-

rere unserer Gesprächspartner wie von ungefähr zu sprechen kamen — hält Späth für „von der Idee her sehr gut, richtig, aus einer offensichtlichen Schwäche des Gegners einen Vorteil für sich zu machen, aber in der Umsetzung schlecht gemacht, so daß eher eine Gegenreaktion zu erwarten ist“.

Oskar Czapek (Czapek-Kreativ, Marktinformationen), Herausgeber der Monatszeitschrift „Up to date“, findet den SPÖ-Wahlkampf diesmal um Klassen besser als bei der letzten Nationalratswahl: „Im letzten Wahlkampf der SPÖ hat man noch den Stil von 1934 gespürt, die ganze Art und Weise der Wahlwerbung war antiwerblich und antikommunikativ. Diesmal haben die Sozialisten den Anschluß gefunden, geben sich kommunikativ. Noch besser war in Text und Graphik die Werbung der ÖVP, sowohl im Endeffekt als auch intellektuell. Während die SPÖ eine gute, professionelle Werbung gemacht hat, wie man sie auch für ein Waschmittel betreiben könnte, verschrieb sich die ÖVP ganz dem Stil der neuen Werbung, operierte mit

interessanten headlines und gags, nahm den Wähler als erwachsenes und mündiges Wesen. Alles in allem war dieser Wahlkampf um Klassen besser als früher. Er wird die Wähler sicher beeinflußt haben.“ Dr. Walter Fessel (Marktforschungsinstitut Dr. Fessel) geht weniger von den einzelnen Plakaten und Inseraten aus als davon, wie ihr Inhalt auf die tatsächliche oder vermutete Zielgruppe wirkt. Von diesem Standpunkt aus findet er, daß die ÖVP-Werbung „recht gut zielführend war“, die SPÖ-Kampagne „nicht im

gleichen Maß ins Ziel ging“ und die FPÖ am Ziel vorbeigeschossen hat. „Mehr zu sagen verbietet mir die Tatsache, daß ich selbst verschiedene Untersuchungen durchgeführt habe.“ Daß die Wahlwerbung in erster Linie die Loyalität der eigenen lauen Anhängerschaft mobilisieren und erst in zweiter Linie die noch nicht entschiedenen Wähler erreichen soll, erläuterte Karl Blecha, Direktor des Instituts für empirische Sozialforschung: „Die noch unentschlossenen Wähler rekrutieren sich, obwohl in Österreich der Anteil an denkenden und an Sachfragen interessierten Menschen zunimmt, noch immer meist aus den politisch Uninteressierten. Wenn ich mir den Wahlkampf so anschaue, bedauere ich es, daß man so wenig auf Sachfragen, um deren Lösung es letztlich geht, Bezug nimmt, und wie sehr man glaubt, sowohl die Loyalität lauer Anhänger als auch die politisch Desinteressierten durch das Wecken von Emotionen aktivieren zu müssen.“

Blecha sieht bei der ÖVP einen krassen Widerspruch zwischen Plakat-und Anzeigenwerbung: „In der Plakatwerbung ist man zu einem in der normalen Wirtschaftswerbung unmöglichen Stil zurückgekehrt, sei es mit der Porträtmalerei der beiden Spitzenpolitiker, sei es bei der Darstellung einer an die zwanziger Jahre gemahnenden Faust, die nach der rotweißroten Fahne greift. Ich kann mir nur vorstellen, daß man damit die älteren Kernschichten in Schwung bringen wollte, bei den Jungwählern hat dieser Stil nur Kopfschütteln ausgelöst.“ Von den „Sackmännern“ meint Blecha, daß diese Werbung völlig danebengegangen ist, weil sie eher Reaktionen gegen die Produzenten als Angst vor dem politischen Gegner provozierte. „Zum Beispiel drängen da Rocker auf Motorrädern einen dicken Opelfahrer von der Straße — ich glaube, daß sich da die jungen Leute eher mit den Sack-

mandeln als mit dem behäbigen Autofahrer identifizieren.“

Die SP-Werbung kam Blecha zufolg überhaupt erst richtig zur Geltung, als die VP-Plakate im „old-fashio-ned style“ angeschlagen wurden. Di FPÖ dürfte die psychologischen und assoziativen Elemente völlig falsch kalkuliert haben, als sie glaubte, das in England überaus aussagekräftige Daumen-Symbol nach Österreich übertragen zu können. Allgemein findet Blecha, daß „die wirklich zündende Parole gefehlt hat und die Umsetzung der von den Parteien getrommelten Parolen ins Plakative nicht gelungen ist“.

Professor Otto König, der Chef der Biologischen Station auf dem Wil-helminenberg, findet vom Standpunkt des Verhaltensforschers aus die gesamte Wahlwerbung naiv und verfehlt: „Jedes Tier, das Propaganda macht, arbeitet mit Kontrasten, es gibt sich bunt in einer farbarmen und ausgesprochen bescheiden in einer besonders bunten Umgebung.

Als Führer einer Großpartei hätte ich gar keine Wahlpropaganda gemacht und ein paar Tage vor der Wahl das für die Kampagne vorgesehene Geld für einen vernünftigen Zweck gespendet. Denn mit den alten Hüten, den freundlichen Leuten, Riesenporträts und so weiter, kann man die Leute nimmer beeinflussen.“

Nicht genannt werden möchte der Leiter einer Wiener Werbeagentur, der uns erklärte: „Ich habe den Aufkleber ,Wer FPÖ wählt, nützt Kreisky!' auf den großen Klaus-Plakaten (,Ein echter Österreicher') als einen unfairen, freilich nicht besonders effektvollen Schlag unter die Gürtellinie bewertet. Die Adresse macht klar, was gemeint ist. Das Plakat an sich geht so weit in Ordnung, aber durch diesen Aufkleber setzt sich ein echter Österreicher ab. Was absolut unnötig war.“

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