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Digital In Arbeit

Umstrittener „Anti-Gewaltchip”

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Haben Filme mit Gewaltszenen Einfluß auf die Kinder? Und wie kann uneingeschränkter Gewalt-Konsum verhindert werden?

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Haben Filme mit Gewaltszenen Einfluß auf die Kinder? Und wie kann uneingeschränkter Gewalt-Konsum verhindert werden?

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Studien zufolge sitzen Kinder täglich zwischen zwei und sieben Stunden vor dem Fernsehapparat. Bis zu ihrem 14. Iebensjahr haben sie dabei rund 15.000 Morde gesehen, jedes weitere Lebensjahr kommen 4.000 Morde hinzu ...

Derartige Ergebnisse beunruhigen natürlich zunehmend die Eltern. Sie sind verunsichert und fragen sich, welchen Einfluß Fernsehfilme auf die Aggressivität ihrer Kinder haben. Oft wird geklagt, daß Kinder nach bestimmten Fernsehsendungen besonders aggressiv seien. Mütter verzweifeln angesichts des ständigen Streites um das Fernsehprogramm. Lehrer können Montag morgens nicht einen geordneten Unterricht halten, weil Rinder nur von den Fernseherlebnissen vom Wochenende erzählen ...

Hinzu kommen dramatische Ereignisse, die die Öffentlichkeit schockieren. Der letzte Fall: ein 15jähriger Hauptschüler erschoß im Mai in Zobern, Niederösterreich, eine Lehrerin. Der Jugendliche wollte wie „Rambo” seine Probleme mit Gewalt lösen.

Aber auch die Tat eines 14jährigen aus Passau, der mit einer Axt seine Cousine und eine 69jährige Nachbarin schwer verletzt hatte, ist vielen Menschen im Gedächtnis geblieben. Vorbild für die Tat des 14jährigen war angeblich der Grusel-Schocker „Freitag der 13.”.

Solche Ereignisse lassen immer wieder die Diskussion aufflammen, inwieweit Medien beziehungsweise unkontrollierter Medienkonsum Einfluß auf die Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen haben. Die OVP stellte jetzt diesbezüglich einen Entschließungsantrag an den Nationalrat, unter anderem mit den Forderungen: „Zu prüfende Maßnahmen sind insbesondere Technologien wie der ,V-Chip', Regulative über die zeitliche Beschränkung der Ausstrahlung bestimmter Gewalt darstellender Medieninhalte beziehungsweise ein generelles Verbot der Ausstrahlung besonders eindringlicher Gewaltszenen.” (V steht für „violence”-Gewalt)

Der V-Chip wird in den Fernseher eingebaut und kann Signale empfangen, die mit dem Fernsehprogramm gesendet werden. Programme, die etwa Gewaltszenen enthalten, können durch einen aktivierten V-Chip blockiert werden. Eltern können damit für Kinder ungeeignete Programme und unkontrolliertes Fernsehen verhindern. „Gesetzliche Veränderungen sind nur ein kleiner Teil von Maßnahmen, vielmehr geht es um eine freiwillige Selbstbeschränkung ,. bei Gewaltdarstellungen”, meint dazu Familienminister Martin Bartenstein. Diese persönliche Selbstbeschränkung solle aber zum Schutz der Kinder durch einen V-Chip ergänzt werden.

Gegen die Einführung eines solchen V-Chips gibt es allerorts zahlreiche Kritik.

Einer der Kritiker ist der Medienreferent des Bistums Hildesheim und stellvertretender Vorsitzender der katholischen Filmkommission Deutschland, Wolfgang Hußmann. Bei einer ÖVP-Enquete zum Thema „Gewalt in den Medien” betonte Hußmann zwar, daß es nur konsequent sei, wenn diejenigen, die für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen verantwortlich sind, sich über die Folgen des Medienkonsums Gedanken machen. Es sei schon immer das vorrangige Ziel der Gesellschaft gewesen, Kinder und Jugendliche vor den schädlichen Einflüssen der Medien zu schützen. Eine Einstellung, die es auch schon früher gab: „Man kann nicht hinnehmen, daß Kinder ganz beliebige Märchen und von ganz Beliebigen erfundene Geschichten anhören und so in ihre Seelen Vorstellungen aufnehmen, die meistenteils denen entgegengesetzt sind, welche sie, wenn sie erwachsen sind, werden haben sollen. Deshalb müssen Dichter von Märchen und Sagen beaufsichtigt werden”, zitierte Hußmann einen Satz aus Piatons politeia. Selbst Goethe, so Hußmann weiter, mußte hinnehmen, daß die Aufführung seines Theaterstücks „Die Leiden des jungen Werther” in einigen Ländern verboten wurde. Schon damals wurde ein Zusammenhang zwischen einigen Selbstmorden von Jugendlichen und dem Drama hergestellt.

Die Auseinandersetzung mit dem Medium Fernsehen sei alleine schon deshalb so wichtig, sagt der Experte, weil das Fernsehen die beliebteste Freizeitbeschäftigung geworden ist. „Am Ende einer Schulzeit hat ein Schüler mehr Zeit vor dem Fernseher verbracht als auf der Schulbank. Die immer wiederkehrende Darstellung von erfolgreicher Gewalt kann besonders auf die Wertehaltung einen nachhaltigen Einfluß ausüben.”

Aber, so Hußmann: „Trotz dieser Gefahren darf jedoch nicht verkannt werden, daß den größten Einfluß auf die Medienwirkung und das Verhalten weiterhin das soziale Milieu hat, in dem ein Kind aufwächst.”

Hußmann befürchtet, daß restriktive Lösungen wie der V-Chip nur der

Beruhigung des schlechten Gewissens der Erwachsenen dienen könnten. Er unterstreicht daher die Notwendigkeit einer Medienerziehung: „Nur erzogene Kinder sind geschützte Kinder. Eltern, Erzieher und Lehrer brauchen dringend Fortbildungsangebote, die sie mit den Grundlagen der Medienkommunikation vertraut machen. Sie müssen den Kindern eine Medienkompetenz vermitteln, die zum aktiven und kreativen Umgang mit den Mitteln der modernen Kommunikationstechnik befähigt.” Denn, so ist Hußmann überzeugt, es wäre unverantwortlich, wenn Kinder des Medienzeitalters nicht die Sprache der Medien erlernen.

Für ziemlich sinnlos hält auch die Familienvertreterin in der Hörerund Sehervertretung des OBF, Ingeborg Schödl, die OVP-Forderung nach einem „Anti-Gewaltchip”. Was tun, wenn Eltern mehrere Kinder im Alter von vier bis 16 Jahren haben? Außerdem wäre der V-Chip sinnlos, wenn ein bestimmter Sender oder ein einzelnes Land solche Codes einführt, während via Kabel und Satellit die uncodierten Programme aus dem Ausland ins Haus flimmern. Besser wäre eine „breite Bewußtseinsbildung” und eine Medien-Erziehung vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung. Zusätzlich brauche es eine vermehrte Förderung guter Programme.

Eine Einstellung, die auch Peter Vitouch, Leiter des Ludwig Boltz-mann Instituts in Wien, teilt: „Ich befürchte, daß durch so einen V-Chip die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Problem der Gewalt in den Medien unter den Teppich gekehrt wird.” (siehe Interview rechts).

Seit Juni 1997 gibt es parallel zum Entschließungsantrag der OVP eine Initiative für Gewaltverzicht im Fernsehen. Sie richtet sich vor allem an Eltern, Lehrern, Kindergärtnerinnen, Kinder- und Jugendanwälte und Medienpädagogen. Unter der Wiener Telefonnummer (01) 524 82 40 wurde eine Hotline eingerichtet.

Hier können weitere Informationen angefordert, aber auch konkrete Beschwerden über Sendungen mit Gewaltdarstellungen deponiert werden.

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